Politik

Keine Mehrheit für Prüfantrag Nach Merz-Eklat streitet Bundestag über AfD-Verbot

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Stephan Brandner und weitere AfD-Abgeordnete zeigen sich empört über das Ansinnen, ihre Verfasungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Stephan Brandner und weitere AfD-Abgeordnete zeigen sich empört über das Ansinnen, ihre Verfasungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Bundestag könnte das Bundesverfassungsgericht bitten, die Verfassungsmäßigkeit der AfD zu prüfen. Doch ein fraktionsübergreifender Antrag hierzu findet weiter keine Mehrheit. Die Debatte aber verläuft hochemotional - auch weil der Vortag Spuren hinterlassen hat.

Die AfD bestimmt weiter die politische Debatte im Bundestag. Einen Tag nach der erstmaligen Mehrheitsbeschaffung eines Unionsantrags mit AfD-Stimmen debattiert der Bundestag am Abend den fraktionsübergreifenden Antrag, wonach der Bundestag einen Prüfantrag für ein Verbot der AfD vorbereiten solle. Über das Verbot selbst müsste das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden. Der Bundestag kann aber, neben Bundesregierung und Bundesrat, die Richter um Prüfung bitten - und Beweismaterial zuliefern. Dass es absehbar dazu kommen wird, scheint aber unwahrscheinlich, trotz 124 Bundestagsabgeordneten aus SPD, Grünen, CDU und Linken, die sich hinter den Antrag gestellt haben.

"Wir als Antragstellende sind überzeugt davon, dass die AfD keine Partei ist, die mal eben ein bisschen rechts ist", sagt der sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz als erster Redner in der Debatte. "Sie sind Verfassungsfeinde. Sie sind Feinde der freiheitlichen Demokratie. Sie sind Menschenfeinde." Wanderwitz gehört zu den Initiatoren des Antrags, ist aber in der eigenen Fraktion weitgehend isoliert - nicht nur mit diesem Ansinnen. Entsprechend hatte er auch nicht mit der Union für den Fünf-Punkte-Plan von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz gestimmt, dem die AfD zum Entsetzen von SPD, Grünen und Linken zur Mehrheit verholfen hatte.

Wanderwitz, der auch wegen permanenter Anfeindungen gegen sich und die mit ihm verheiratete CDU-Abgeordnete Yvonne Magwas nicht erneut kandidiert, sieht die Verfassungsfeindlichkeit der AfD belegt. Er beruft sich unter anderem auf ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Dieses hatte AfD-Klagen gegen ihre Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz abgewiesen - und sich dabei unter anderem auf das völkisch-kulturelle Staatsbürgerverständnis der AfD berufen, das nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehe.

Amthor: Union ist Prüfantrag zu riskant

Darauf verweist auch die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge: "Sie offenbaren ein ethisch-kulturelles Volksverständnis, das der elementaren Rechtsgleichheit zuwiderläuft", sagt Wegge in Richtung AfD-Fraktion. Doch auch in den Reihen der Sozialdemokraten gibt es keine Mehrheit für den Prüfantrag. Die SPD-Abgeordnete Maja Wallstein, die in ihrem Wahlkreis in und um Cottbus permanent mit Rechtsextremisten konfrontiert ist, kann das nicht nachvollziehen: Es sei ein "Minimum an Serviceleistung", für die Wählerinnen und Wähler sicherzustellen, dass mit der AfD keine verfassungswidrige Partei auf dem Wahlzettel stehe. Und in Richtung der AfD fragt Wallstein: "Welche demokratische Partei fürchtet die Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit?"

Doch in der Debatte wird auch deutlich, warum es bei SPD, Union und FDP bisher keine breite Unterstützung gibt für das Ansinnen eines Verbotsprüfantrags durch den Bundestag. "Meine Fraktion hält in ihrer Mehrheit den Weg eines Verbotsverfahrens gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes für zu risikobehaftet", sagt der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern. "Es ist langwierig, es ist aufwendig und wir sind überzeugt, es gibt bessere Antworten unserer wehrhaften Demokratie." Wallstein widerspricht: Man könne unabhängig voneinander die AfD inhaltlich bekämpfen und zugleich ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen.

Amthor macht wiederum deutlich, dass er trotz anderer Meinung als die der Antragsteller deren Einschätzung zur AfD grundsätzlich teilt: "Die AfD und ihre führenden Funktionäre sind in großen Teilen - und das in den letzten Jahren eher noch zunehmend - antisemitisch, rassistisch, ausländerfeindlich, frauenverachtend und einfach rechtsextrem."

FDP besorgt um AfD-Wähler

Ähnlich klingt Konstantin Kuhle, der für die FDP-Fraktion spricht: "Ich selber bin überzeugt davon, dass die AfD heute in wesentlichen Teilen von Personen geprägt wird, die unserer Verfassungsordnung und der demokratischen Nachkriegsentwicklung unseres Landes feindlich gegenüberstehen." Er verstehe deshalb die Überlegungen hinter dem Verbotsprüfungsantrag. Aber sehr viele AfD-Wähler seien eben nicht rechtsextrem, sondern "Menschen, die sich Sorgen machen". Mehr Kontrolle in der Migrationspolitik, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung seien "legitime Anliegen", sagt Kuhle. "Heute diesen Anträgen zuzustimmen, das hieße, das Gespräch mit diesen Menschen von einem Tag auf den anderen abzubrechen." Der Frust dieser Menschen würde durch ein Verbotsverfahren nur noch stärker.

Weitere Redner der Union verwiesen zudem auf eine Unsicherheit des Verfahrens und ein kontraproduktives Signal, wenn der Bundestag kurz vor einer Bundestagswahl ein Verbotsprüfungsverfahren anstrenge.

AfD: nur "lächerliche anekdotische Evidenz"

Aus den Reihen der AfD kommt erwartungsgemäß Empörung über das Ansinnen eines Prüfantrags. Es gebe keine Beweise für eine Verfassungsfeindlichkeit der AfD, empört sich der AfD-Abgeordnete Peter Boehringer, sondern nur "lächerliche anekdotische Evidenz". Es bleibt unklar, ob Boehringer damit auch die Rolle von AfD-Funktionären bei den mutmaßlichen Reichsbürger-Terroristen um Prinz Reuß oder bei den mutmaßlichen Rechtsterroristen "Sächsische Separatisten" meint. Ein Verbot seiner Partei sieht Boehringer jedenfalls in weiter Ferne: "Für eine Ausgrenzung von zwölf Millionen Wählerstimmen durch ein Parteiverbot bedürfte es nach dem Grundgesetz noch unendlich viel mehr."

Boehringer zweifelt ferner die Unabhängigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz an, nachdem dessen Leiter, Thomas Haldenwang, für die CDU in den Bundestag einziehen will. "CDU-Haldenwang müsste nach dieser Logik sofort den CDU-Extremisten Friedrich Merz beobachten", mokiert sich Boehringer mit Blick auf das gemeinsame Abstimmen von AfD und CDU am Vortag.

Routiniert scharf tritt der Thüringer AfD-Abgeordnete Stephan Brandner ans Rednerpult: Er unterstellt den Antragstellern "pathologischen Frust über bereits geschehene und/oder anstehende Mandatsverluste". Dann steigert Brandner sich: "Sie sind eine auf uns neidische abgehobene Clique von Politfunktionären und Hofschranzen der Mächtigen, die alles tun würden, um uns loszuwerden", sagt Brandner. "Sie wollen nicht um die besten Lösungen ringen. Sie wollen uns vernichten. Sie wollen Blut sehen."

Wohl keine Abstimmung vor der Wahl

Brandner handelt sich im Verlauf der Debatte einen Ordnungsruf von Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau ein. Er hatte von der Fraktionsbank aus Abgeordnete als "Sozialfaschisten" beschimpft. Zwischenrufe gibt es aus fast allen Richtungen im Verlauf der Debatte. Die Stimmung ist aufgeheizt, weil eben auch Redner von SPD und Grünen die Reihen von Union und FDP immer wieder an ihr gemeinsames Abstimmen mit der AfD erinnern.

Grünen-Politikerin Ricarda Lang fragt die Unionskollegen, was es mit ihrer "Selbstachtung" mache, nachdem diese sich am Tag des Holocaustgedenkens im Bundestag zum "Handlanger" der AfD gemacht hätten. Merz habe gar nicht versucht, für seine migrationspolitischen Forderungen eine Mehrheit ohne AfD zu bekommen. "Wenn Friedrich Merz sagt 'Friss oder stirb, sonst mache ich es mit den Nazis'", sagt Lang, sei das "kein Angebot, das ist Erpressung."

Nach dem vorangegangenen Tag ist der Weg zu einer Mehrheit für einen Verbotsprüfungsantrag erkennbar unwahrscheinlicher geworden. Erfahren wird man es wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr. Angesichts fehlender Zustimmung haben sich die Antragsteller bereit erklärt, ihre Anträge zurück in den zuständigen Ausschuss überweisen zu lassen. Denn es gibt auch einen zweiten Antrag, der zumindest die Erstellung eines unabhängigen Gutachtens zur AfD vorschlägt. Doch auch hierfür: keine Mehrheit. Dass nun noch etwas vor der Bundestagswahl am 23. Februar geschieht, ist beinahe ausgeschlossen. Und wie die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl im Bundestag aussehen werden, kann nach dieser turbulenten, geschichtsträchtigen Plenarwoche niemand mit Sicherheit voraussagen.

Quelle: ntv.de

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