Politik

Partisanen greifen Russen-Jet an "Wir haben uns für Kamikazedrohnen entschieden"

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Satellitenaufnahme zeigt die russische A-50 nach dem Angriff vom Sonntag. Nach Angaben von BYPOL wird die Maschine nicht mehr abheben.

(Foto: picture alliance/dpa/Maxar Technologies/AP)

Am vergangenen Sonntag haben sich auf einem Militärflugplatz unweit der belarussischen Hauptstadt Minsk mehrere Explosionen ereignet. Die oppositionelle Initiative BYPOL, in der sich ehemalige Mitarbeiter belarussischer Strafverfolgungsbehörden organisiert haben, spricht von einer von Partisanen durchgeführten Drohnenattacke auf ein russisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Berijew A-50 und beansprucht die Vorbereitung des Sabotageaktes für sich. Die an der Maschine entstandenen Schäden seien schwerwiegend, "das Flugzeug wird definitiv nicht mehr fliegen", erklärte die Initiative wenige Stunden nach dem Angriff.

Sollten die Angaben stimmen, wäre dies der größte Einzelverlust der russischen Streitkräfte nach dem Untergang des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte "Moskwa" im April vergangenen Jahres. Eine Berijew A-50 kostet nach Angaben der Militärwebsite "Military Today" zwischen 330 und 500 Millionen US-Dollar. Der Kreml verfügt über nur wenige Exemplare dieses Überwachungsflugzeugs, das unter anderem für die Planung und Durchführung von Luftangriffen auf die Ukraine von großer Bedeutung ist.

Aliaksandr Azarau, Gründer der Initiative BYPOL, spricht im Interview mit ntv.de darüber, warum die Aktivisten ausgerechnet dieses Flugzeug ins Visier genommen haben. Er erläutert Details der Vorbereitung und Durchführung des Sabotageaktes. Und nennt auch die Motive.

ntv.de: Wie haben Sie diese Aktion organisiert? Wie viel Zeit hat die Vorbereitung in Anspruch genommen? Woher hatten die Partisanen die Sprengladung für die Drohnen?

Aliaksandr Azarau: Die Vorbereitung dauerte rund vier Monate. Es ist sehr schwer, eine solche Aktion vom Ausland aus zu organisieren, während die Partisanen in Belarus sind. (Anm.: Das Hauptquartier von BYPOL befindet sich in Warschau.) Wo und wie wir an die Sprengladung kamen, kann ich nicht sagen. Wir haben uns für Kamikazedrohnen entschieden. Es gab zwei Explosionen, bei denen der vordere Teil des Flugzeugs und der mittlere Teil des tellerförmigen Radars schwer beschädigt wurden. Nach vorläufigen Informationen ist die Maschine außer Betrieb und wird nicht mehr fliegen können. Es gibt auch Informationen, wonach andere russische Flugzeuge, die in Belarus stationiert sind, das Land verlassen haben und auf russische Flugplätze verlegt wurden.

Meinen Sie nur Flugzeuge, die auf dem Flughafen Matschulischtschy stationiert sind oder auch auf anderen Militärflughäfen?

Anscheinend alle, aber diese Information ist noch nicht bestätigt. Das überprüfen wir noch. Es wurde außerdem spezielle Technik beobachtet, die aus Russland nach Matschulischtschy geschickt wurde, um das Flugzeug auseinanderzubauen.

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Aliaksandr Azarau ist einer der Gründer der Inititive BYPOL, in der sich ehemalige belarussische Sicherheitskräfte organisieren.

Warum haben Sie ausgerechnet dieses Flugzeug ins Visier genommen?

Nach unseren Informationen verfügt Russland über nur noch vier Exemplare dieses Modells. Die A-50 ist eine Art fliegendes Hauptquartier. Dieses Flugzeug überwachte das Territorium der Ukraine und der EU-Länder und übertrug Koordinaten der potenziellen Ziele an Kampfjets, die dann diese Ziele angriffen. Diese Maschine ist einzigartig und sehr teuer, sie kostet rund 330 Millionen US-Dollar. Wegen der Sanktionen ist es nahezu unmöglich, sie wieder instand zu setzen.

Sie sprechen von schwerwiegenden Schäden, die bei dem Angriff entstanden. Woher wissen Sie, was genau und wie stark beschädigt ist? Haben Sie Informanten auf dem Flugplatz Matschulischtschy? Oder haben Sie Foto- oder Videoaufnahmen, die ihre Angaben bestätigen würden?

Aufnahmen haben wir zurzeit nicht, möglicherweise bekommen wir sie aber etwas später. Aber wir verfügen über solche Informationen. Gestern wurden zudem Satellitenaufnahmen veröffentlicht, die unsere Angaben bestätigen. Darauf sind schwarze Flecken auf dem vorderen und mittleren Teil des Flugzeugs zu sehen.

Die Aufnahmen zeigen aber, dass das Flugzeug im Grunde genommen ganz geblieben ist. Kann es sein, dass nur der Rumpf beschädigt wurde, während die teure Technik, wie der Radar zum Beispiel, erhalten geblieben ist?

Nein, nach unseren Informationen wurde das Flugzeug schwer beschädigt. Wir werden sehen, ob es irgendwann nochmal abhebt oder nicht. Wir werden beobachten, was mit ihm geschehen wird, wohin es gebracht wird.

Wie viele Menschen waren unmittelbar an der Durchführung des Angriffs beteiligt? Wo sind sie jetzt?

Es war eine Gruppe von Partisanen. Wie viele Personen beteiligt waren, kann ich nicht sagen. Bei der Vorbereitung des Angriffs haben wir großen Wert darauf gelegt, Fluchtwege auszuarbeiten. Die Partisanen haben unmittelbar nach der Durchführung der Aktion Belarus verlassen. Sie befinden sich in Sicherheit.

Warum äußert sich das Verteidigungsministerium nicht zum Angriff?

Das deutet darauf hin, dass die Aktion bedeutend war. Sie sind im Schockzustand und wissen nicht, was nun zu tun ist.

Nach eigenen Angaben steht BYPOL auch hinter zahlreichen Sabotageakten an der belarussischen Eisenbahn. Der "Schienenkrieg" in den ersten Wochen des russischen Überfalls trug unter anderem dazu bei, die Einnahme Kiews durch Russland zu vereiteln. Warum gibt es aktuell keine Aktionen an der Eisenbahn?

Der "Schienenkrieg" dauerte rund einen Monat. Dann begann eine massive Welle der Festnahmen. Einige von unseren Leuten landeten hinter Gittern. Doch das Ziel wurde erreicht: Die Russen zogen sich aus der Region Kiew zurück. Und wir begannen, nach anderen Objekten zu suchen. Zumal das Regime zahlreiche Militärs zur Überwachung der Bahnanlagen schickte, was die Durchführung von Aktionen dort erschwert.

Warum gibt es in Belarus eine aktive Widerstandsbewegung gegen den Krieg und in Russland nicht?

Auch in Russland werden Bahngleise auseinandergenommen und Brücken gesprengt. Ich kann aber nicht für die Russen sprechen. Und was die Belarussen angeht - nun, Belarus ist aktuell von russischen Truppen besetzt. Lukaschenko hat unser Land praktisch an Russland verkauft. Er ist ein Verbrecher, der illegal die Macht ergriffen hat. Und Belarussen wollen sich das nicht gefallen lassen. Wir kämpfen für die Unabhängigkeit unseres Landes.

Die Initiative BYPOL wurde im Jahr 2020 nach der Niederschlagung friedlicher Proteste gegründet. Ursprünglich war Ihr Ziel, das Regime zu Fall zu bringen. Jetzt konzentrieren Sie sich aber auf Sabotage von militärischen Einrichtungen. Warum?

Es ist nicht so, dass wir einfach Lukaschenko stürzen wollen. Wir wollen Recht und Ordnung in Belarus wiederherstellen. Lukaschenko ist ein Verbrecher, und jeder Belarusse hat laut Verfassung das Recht, ein Verbrechen, dessen Zeuge er geworden ist, zu stoppen. Sein Verbrechen ist die illegale Machtergreifung. Unsere Pflicht als Bürger ist es, ihn aufzuhalten und von der Macht zu entfernen. Außerdem befinden sich in unserem Land russische Soldaten, die unser Territorium, das ihnen Lukaschenko zur Verfügung gestellt hat, für Angriffe auf die Ukraine benutzen. Wir sind keine Verbündeten Russlands. Wir stehen auf der Seite der Ukraine. Russland hat die Ukraine überfallen und deswegen helfen wir ihr, wie die ganze zivilisierte Welt.

Was kann man von Ihnen in naher Zukunft erwarten? Planen Sie weitere Aktionen?

Darüber sprechen wir besser, nachdem wir sie durchgeführt haben. Aber eins kann ich sagen: Wir werden nicht untätig rumsitzen. Wir werden kämpfen, bis zum Sieg.

Mit Aliaksandr Azarau sprach Uladzimir Zhyhachou

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 01. März 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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