Kopfschütteln über China Nobelpreis liegt auf leerem Stuhl
10.12.2010, 13:27 Uhr
Der Stuhl für Liu blieb unbesetzt.
(Foto: REUTERS)
Der Stuhl der Hauptperson bleibt leer. Während in Oslo der Friedensnobelpreis an ihn verliehen wird, sitzt Liu Xiaobo in einer chinesischen Gefängniszelle. Der Chef des Nobelkomitees, Jagland, verlangt die sofortige Freilassung des Preisträgers. China blockiert indes die Live-Übertragung von ausländischen Nachrichtensendern.
In Oslo ist der Friedensnobelpreis in Abwesenheit des chinesischen Preisträgers verliehen worden. Der Bürgerrechtler sitzt in seiner Heimat eine elfjährige Haftstrafe ab, weil er öffentlich Meinungsfreiheit und Demokratie verlangt hat. Der Stuhl für den 54-Jährigen im Osloer Rathaus blieb leer, weil Chinas Behörden auch Lius Frau und anderen Vertrauten die Ausreise nach Norwegen verweigert haben. In Stockholm wurden derweil die wissenschaftlichen sowie der Literaturnobelpreis verliehen.
Der Chef des norwegischen Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, verlangte die sofortige Freilassung des Friedensnobelpreisträgers. "Liu hat nur seine Bürgerrechte ausgeübt. Er hat nichts Falsches getan", sagte Jagland. Nun sei Liu zu einem Symbol für den Kampf um die Menschenrechte in ganz China geworden.
"Ich verstehe es nicht", kommentierte ein sonst wohlwollender, hoher deutscher Unternehmens-Repräsentant in Peking Chinas harten Kurs. "Selbst die besten Freunde schütteln den Kopf."
"Große Schande für China"
Der chinesische Dissident und Biograph Lius, , nannte die Reaktion Pekings "eine große Schande für China". Zugleich ist der Dissident überzeugt: "Der Nobelpreis wird einen äußerst großen Einfluss auf China ausüben." Schon jetzt würden immer mehr Chinesen ihre Furcht verlieren und die Oppositionsbewegung wachsen, sagte Bei Ling n-tv.de. Die westlichen Staaten kritisierte er scharf für ihre "sehr schreckliche Politik gegenüber China".
Die Schauspielerin Liv Ullman verlas bei der Zeremonie eine Ansprache Lius, die dieser während seines Prozesses im Dezember 2009 gehalten hatte: "Erfüllt mit Zuversicht, erwarte ich den Beginn der Zukunft eines freien Chinas. Es gibt keine Macht, die die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit stoppen kann und am Ende wird China eine Nation werden, in der Rechtstaatlichkeit herrscht und in der Menschenrechte als Oberstes gelten."
Preisgeld bleibt in Oslo
Jagland sagte, China drohten wirtschaftliche und soziale Krisen wenn es weiter die Menschenrechte nicht in vollem Umfang gewährleiste. Die Dotierung von umgerechnet 1,1 Millionen Euro sowie das Nobeldiplom sollen in Oslo verbleiben, bis Liu Xiaobo selbst oder eine Person seines Vertrauens darüber verfügen kann.
Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurde mehr als 200 Personen verboten, ins Ausland zu reisen. Andere stünden unter Hausarrest oder seien festgenommen worden. Es ist das erste Mal seit der Auszeichnung des deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky 1935, dass weder der Preisträger noch einer seiner Vertreter die Ehrung entgegennehmen konnte. Liu widmete bereits im Vorfeld den Preis den Opfern, die bei den Studentenprotesten 1989 ums Leben kamen. Augenzeugen und Menschrechtlern zufolge sollen dies mehrere hundert gewesen sein.
Russland und Afghanistan bleiben fern
Einschließlich China blieben etwa 20 Staaten der Zeremonie in Anwesenheit von Norwegens König Harald V. fern. Die meisten unterhalten enge wirtschaftliche oder militärische Verbindungen zur Volksrepublik, wollen Peking nicht verärgern oder verfolgen selbst einen harten Kurs gegen Regierungskritiker im eigenen Land.
Eingeladen zu der Verleihung werden traditionell die 65 Länder, die in Oslo Botschafter akkreditiert haben. Abgesagt haben neben China Afghanistan, Ägypten, Algerien, Irak, Iran, Kasachstan, Kolumbien, Kuba, Marokko, Pakistan, die Philippinen, Russland, Saudi-Arabien, Sri Lanka, Sudan, Tunesien, Venezuela und Vietnam. Argentinien wollte dem Nobelkomitee zufolge fernbleiben oder zumindest nicht mit seinem Botschafter daran teilnehmen.
Die Ukraine lehnte eine Teilnahme zunächst ab, sagte nach Angaben des Direktors des Nobelinstituts, Geir Lundestad, dann aber zu. Auch Serbien kündigte an, doch bei der Zeremonie in Oslo durch seinen Ombudsmann für Menschenrechte vertreten zu sein. Die Europäische Union hatte Serbien wegen dessen ursprünglicher Boykottankündigung heftig kritisiert. Russland, das mit China im vergangenen Monat ein milliardenschweres Handelsabkommen unterzeichnet hatte, begründete seine Nicht-Teilnahme mit Terminschwierigkeiten.
Websites gesperrt
China ging unterdessen gegen Bürgerrechtler im eigenen Land vor. Die Volksrepublik bezeichnete die Ehrung des Literaturprofessors als Farce und als Einmischung in die inneren Angelegenheiten.
Am Freitag verschärfte die Regierung nochmals die Restriktionen. Zentrale Orte in der Hauptstadt wurden stärker bewacht, mehr Polizisten und Offiziere gingen auf Streife. Eine Gruppe deutscher Diplomaten wurde daran gehindert, das Haus von Liu zu besuchen, wo sich seine Ehefrau aufhalten soll. Ausländische Internetseiten, beispielsweise von BBC und CNN, wurden in China gesperrt oder waren schwer zu erreichen.
Naturwissenschaftler und Vargas Llosa geehrt
Schwedens König Carl XVI. Gustaf hat derweil die wissenschaftlichen Nobelpreise in Stockhalm verliehen. In Anwesenheit von Königin Silvia wurden neun durchweg männliche Preisträger ausgezeichnet. Den Medizinnobelpreis für die Technik der künstlichen Befruchtung konnte der Brite Robert G. Edwards allerdings nicht persönlich entgegennehmen - er musste krankheitsbedingt absagen. Den Physiknobelpreis teilen sich die beiden in Russland geborenen Entdecker des "Wundermaterials" Graphen, Andre Geim und Konstantin Novoselov. Graphen ist eine Art superstabiler atomarer Kaninchendraht aus Kohlenstoff.

Geballte Nobelpreisträger in Stockholm. Hier wurden die wissenschaftlichen Preise verliehen sowie der Literaturnobelpreis.
(Foto: REUTERS)
Der Nobelpreis für Chemie ging zu gleichen Teilen an drei Wissenschaftler, die natürliche Wirkstoffe gegen Krebs und andere Leiden nachgebaut haben. Mit den chemischen Reaktionen des US-Amerikaners Richard Heck (79) sowie der Japaner Ei-ichi Negishi (75) und Akira Suzuki (80) lassen sich komplexe Substanzen aus Kohlenstoff herstellen.
Den erst nachträglich gestifteten Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften teilten sich ebenfalls drei Forscher. Die US-Ökonomen Peter Diamond (70) und Dale Mortensen (71) sowie der britisch-zypriotische Forscher Christopher A. Pissarides (62) wurden für ihre Untersuchungen der Mechanismen des Arbeitsmarkts ausgezeichnet.
Bei der Feier im Stockholmer Konzerthaus erhielt außerdem der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa den Literaturnobelpreis. Er ist der sechste lateinamerikanische Autor mit dieser Auszeichnung. Im vergangenen Jahr hatte die in Rumänien geborene und in Berlin lebende Herta Müller den Literaturnobelpreis erhalten.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts