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Reformen bei der Bundeswehr Pistorius opfert bürokratischen Doppelkopf

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Bundeswehrsoldaten üben das Bergen eines im Gefecht Verletzten.

Bundeswehrsoldaten üben das Bergen eines im Gefecht Verletzten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Verteidigungsminister Pistorius und Generalinspekteur Breuer gehen einen Schritt weiter in Richtung "Kriegstüchtigkeit": Ihre Reform der Bundeswehrstrukturen schafft grundlegende Veränderungen und stößt zugleich an ihre Grenzen.

Wenn die Neuigkeit des Tages ist, dass die Bundeswehr in Zukunft ein operatives Führungskommando haben soll, also eine Stelle, die im etwaigen Verteidigungsfall die Streitkräfte führen würde und Ansprechpartner für NATO-Verbündete wäre, dann wird vor allem eines deutlich: Die Bretter, die Boris Pistorius für seine Reform der Streitkräfte bohren musste, müssen dick gewesen sein. Denn die sinnvolle Frage, die sich einem interessierten Laien an dieser Stelle aufdrängt, lautet: "Ach, und das war bisher nicht so?"

Tatsache: Seit Oktober 2022 leistet sich die Bundeswehr zwei Führungsstrukturen: Zum schon seit 2001 bestehenden Einsatzführungskommando kam ein sogenanntes Territoriales Führungskommando hinzu. Das erstgenannte plant und führt laut Definition der Bundeswehr alle Einsätze der Truppe und "ist damit die operative Führungsebene der Bundeswehr". Die zweite Führungsstelle wurde vor anderthalb Jahren eingerichtet "als höchstes nationales Kommando für Operationen der Bundeswehr in Deutschland", also Landes- und Bündnisverteidigung, Katastrophenhilfe, aber auch Truppenverlegung von deutschem Boden aus in Einsatzgebiete. Kompetenz-Überschneidungen bei dieser Doppelspitze scheinen kaum vermeidbar. Und das Zuständigkeitsgerangel, das daraus resultieren könnte, mag man sich in einem Ernstfall gar nicht erst vorstellen.

Vorgänger versenkten Reformpläne in der Schublade

Nur folgerichtig, dass dieser Doppel-Kopf bei der Strukturreform von Boris Pistorius als erstes dran glauben muss, da der Minister sich laut eigener Aussage das Ziel gesetzt hat, "die Strukturen so anzupassen, dass sie schlanker werden, das wir weniger Verantwortungsstellen haben, dass wir weniger Verantwortungsdiffusion haben, klarere Verortung". So verkündete Pistorius am Donnerstag in Berlin also zukünftig ein operatives Führungskommando anstatt zwei - mit Blick auf das bisherige System ist das tatsächlich eine Schlagzeile. "Absolut positiv", bewertet CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter diese Entscheidung gegenüber ntv.de.

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Überhaupt bekam Pistorius für seine Entscheidung, die Bundeswehr nun doch in ihrer Grundstruktur zu reformieren, sehr viel Zuspruch. Womöglich auch, weil vor ihm schon so viele Ministerinnen und Minister mit diesem Anspruch gescheitert sind oder die fertig ausgearbeiteten Reformideen - wie die unmittelbare Vorgängerin Christine Lambrecht - direkt in einer besonders tiefen Schublade versenkten. Auch Pistorius lehnte es monatelang ab, bei einem Schiff in voller Fahrt die Segel auszutauschen. So umschrieb er den Umfang einer solchen Reform. Was ihn dazu brachte, seine Meinung in dieser Frage um 180 Grad zu ändern, konkretisierte der Minister auch am Donnerstag nicht.

Wohl aber weitere Pläne, um die Struktur der Truppe, die von vielen, auch intern, als zu verzweigt und kopflastig kritisiert wird, zu verschlanken: Der Sanitätsdienst und die Streitkräftebasis werden zu einem Unterstützungskommando zusammengefasst, ABC-Abwehrkräfte, Feldjäger und Logistik werden jeder Teilstreitkraft einzeln zugeteilt. So reduziert man die Zahl der Säulen, auf denen die Truppenstruktur ruht, von sechs auf fünf, ebenso die Zahl der zuständigen Inspekteure: Neben Heer, Marine und Luftwaffe wird es nur noch einen zentralen Unterstützungsbereich geben und neu hinzukommend die Teilstreitkraft "Cyber- und Informationsraum".

Dass der bisherige Organisationsbereich "Cyber und Informationsraum" nun zu einer eigenen Teilstreitkraft wird, auf einer Ebene wie Heer, Marine und Luftwaffe, bedeutet nicht automatisch mehr Personal, sondern eine Aufwertung innerhalb der Truppenstruktur. "Es gibt kaum eine Gefechtssituation in der Ukraine, wo nicht digitale Führungsfähigkeit eine zentrale Rolle dafür spielt, dass ein Gefecht erfolgreich bestritten werden kann", sagt Pistorius. Deswegen habe man das "bei jeder Frage mitgedacht", auch mit Blick auf das Thema Drohnen, bei dem besonders Generalinspekteur Carsten Breuer Druck macht, dass Deutschland sich weiterentwickeln müsse. Wie Drohnen im Moment in der Ukraine eingesetzt werden, ist für Breuer "state of the art". Doch sieht er den Cyberbereich als neue Teilstreitkraft so angelegt, "dass wir Anknüpfungspunkte auch weiter nach vorne haben werden. Und genau darum muss es gehen, dass wir Krieg auch weiterdenken als das, was wir im Moment machen".

Bislang wird noch kein Dienstposten eingespart

Zukunftsfähigkeit, Kriegstauglichkeit - diese Begriffe fallen unweigerlich, wenn Breuer oder Pistorius sich dazu äußern, wo sie die Truppe in den kommenden Jahren hinführen wollen. Doch bei den konsequenten Entscheidungen und tiefgreifenden Veränderungen an der Spitze des Apparats wird zugleich deutlich, wo die Grenzen der Reform liegen: Wenn sich etwa die tragenden Säulen der Truppen von sechs auf fünf reduzieren und Verantwortung dort gebündelt werden soll, bräuchte man auch nur noch fünf Sechstel der Dienstposten - Kommandeure, Generäle. Ein Sechstel könnte eingespart werden.

Von diesen Posten fällt aber bislang noch kein einziger weg, das heißt, die ranghohen Soldaten werden versetzt und müssten an der neuen Stelle theoretisch ihrem Rang entsprechend erneut Verantwortung haben. Genau das, was Pistorius eigentlich nicht mehr will. Auch CDU-Mann Kiesewetter sieht "die Verschlankung von Kommando-, Stabsstrukturen noch nicht konkretisiert", inwiefern diese tatsächlich umgesetzt werde, bleibe abzuwarten. Doch wäre es erstaunlich, wenn den Minister an dieser Stelle nicht starker Gegenwind erwarten würde - welche Führungsstruktur schafft sich schon freiwillig selbst ab?

Auch die fehlenden Finanzen sind ein Problem, denn ein umfangreicher Strukturumbau ist teuer. "Wir brauchen etwa 6,5 Milliarden Euro mehr nächstes Jahr", beziffert Pistorius die Kosten, und das ist eine Zahl, die gering anmutet. Kiesewetter bemängelt denn auch, dass "der planerische Umfang - derzeit 203.000 Soldaten und Soldatinnen einschließlich derzeit rund 4500 Reservistenstellen -unverändert" bleibt. Es fehle der Wille, leistungsfähige und aufwuchsfähige Reservestrukturen aufzubauen. Wie auch, wenn die Mittel fehlen?

So ist die Tatsache, dass bei Pistorius' Reformplänen nicht der große Wurf herauskommt, sondern eher eine Mixtur aus dem, was am dringendsten nötig und am billigsten machbar war, womöglich nicht dem Minister anzulasten, sondern eher seinen fehlenden Ressourcen und einem Verteidigungshaushalt, aus dem sich ein wirkliches Reformvorhaben schlicht nicht finanzieren lässt. Doch dafür ist letztlich die Ampelkoalition zuständig.

Quelle: ntv.de

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