Stolpersteine hin zum Endlager Politik sucht den großen Konsens
24.04.2012, 14:30 Uhr
Im sogenannten Erkundungsbergwerk Gorleben werden ständig Instandhaltungsarbeiten durchgeführt.
(Foto: dpa)
Die Gefahren der Atomkraft sind bekannt. Aber nicht nur die AKW an sich sind ein Problem, sondern auch der radioaktive Müll, der dort entsteht. Spitzenpolitiker von Bund und Ländern wollen jetzt in einem jahrelangen Prozess bundesweit nach möglichen Endlager-Alternativen zum Salzstock Gorleben suchen. Das heißt aber nicht, dass Gorleben beerdigt ist.
Wo soll Deutschlands Atommüll gelagert werden? Über die Suche nach einem Standort für ein Atommüllendlager wollen jetzt in Berlin Spitzenpolitiker von Bund und Ländern beraten. Neben Sozialdemokraten und Grünen nehmen auch Vertreter von Union und FDP sowie einige Länderregierungschefs teil. Geplant ist eine bundesweite Endlagersuche. Bei dem Gespräch geht es darum, welche Rolle der bereits erkundete Standort Gorleben künftig spielen und wie bei der Standortfindung generell vorgegangen werden soll.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht noch viele Hürden für eine parteiübergreifende Einigung. "Der bisher vorgelegte Entwurf des Bundesumweltministeriums klärt nicht den Umgang mit Gorleben, wir sind der Auffassung, es muss hier einen kompletten Bau- und Erkundungsstopp gehen", sagte Trittin. Der Salzstock im niedersächsischen Gorleben ist seit 1977 die einzige Endlager-Option.
Es müsse eine weiße Landkarte ohne jegliche Vorfestlegungen geben, verlangte Trittin. Er und SPD-Chef Sigmar Gabriel nehmen erstmals an den Bund-Länder-Gesprächen für ein sogenanntes Standortauswahlgesetz teil. Laut Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) steht das Gesetz zu 90 Prozent: Aber bisher ist offen, ob der angestrebte Konsens mit den Ländern sowie SPD und Grünen gelingt.
Zu viele Fragen für die restlichen 10 Prozent
Zudem sind sich die Grünen auch untereinander nicht einig. Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann für ein neues Bundesinstitut für die Endlagerung plädiert, will die Grüne-Spitze das nicht an. Sie sieht ein Institut, das an Weisungen gebunden sein soll, sehr skeptisch. Trittin will daher wie Gabriel, dass das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das sich etwa beim maroden Atommülllager Asse viel Respekt bei den Bürgern erworben habe, die Federführung bei der Suche bekommt, und nicht ein Endlager-Institut.
Aber auch Röttgen steht vor ähnlichen Problemen. Er müsste erst noch das schwarz-gelbe Lager von einem zu findenden Kompromiss überzeugen. Denn hier galt jahrelang, Gorleben könnte eine gute Wahl sein. Röttgen braucht den großen Konsens, da nur so bundesweit Unterstützung für den Neustart erreicht werden kann.
Atomwirtschaft hält an Gorleben fest
Die Atomwirtschaft sieht das anders. Sie hat ihr Festhalten am Salzstock im niedersächsischen Gorleben bekräftigt. "Es gibt kein technisch begründetes Argument gegen Gorleben", sagte der Präsident des Atomforums, Ralf Güldner, in der ARD. Der Standort sei in den 70er Jahren einvernehmlich zwischen Bund und Niedersachsen festgelegt worden, um ihn auf seine Eignung zu prüfen. Seitdem seien 1,6 Milliarden Euro in Untersuchungen gesteckt worden, und 2013 werde ein internationaler Sicherheitsbericht erwartet. "Wir sehen im Moment keinen Grund, hier auf der Zielgeraden stehenzubleiben", sagte Güldner.
Derweil zeigt ein neues Rechtsgutachten von Greenpeace, dass das von Bund und Ländern geplante Gesetz zur Standortsuche für ein Atomendlager nicht verfassungskonform ist. "Umweltminister Röttgen und die Ministerpräsidenten Kretschmann und McAllister singen in holder Eintracht das Lied der Bürgerbeteiligung, in Wahrheit planen sie die Entrechtung der Bürger bei der Endlagersuche", sagt Tobias Riedl, Atomexperte bei Greenpeace.
"Keine Notwendigkeit für so ein Vorgehen"
Die infrage kommenden Standorte und das abschließend ausgewählte Endlager sollen durch Bundesgesetze bestimmt werden. Den betroffenen Eigentümern bliebe als einzige Möglichkeit der Gang zum Bundesverfassungsgericht, um diese Entscheidungen rechtlich überprüfen zu lassen. Das Verfassungsgericht prüft allerdings nicht, ob es Mängel bei Planung und Durchführung von Projekten gibt – es stellt nur fest, ob ein Gesetz gegen Grundrechte verstößt.
"Indem per Gesetz ein Standort fixiert wird, schrumpfen die Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger auf ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Niveau. Dabei gibt es keinerlei Notwendigkeit für ein solches Vorgehen. Einfache Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates haben die gleiche Legitimation, würden aber den Rechtsschutz des Bürgers erhalten", sagt Ulrich Wollenteit, Atomrechtsspezialist und Verfasser des Gutachtens.
Laut der Greenpeace-Studie würde der Standort Gorleben aller Voraussicht nach vor Gericht in einer heute gültigen Planfeststellung scheitern. Grund seien die erheblichen Verfahrensmängel durch die willkürliche Standortauswahl. Mit dem neuen Auswahlverfahren wollen Bund und Länder diese Mängel umschiffen – eine Planfeststellung soll gar nicht mehr stattfinden und möglichen Klägern die rechtliche Grundlage entzogen werden. "Der angebliche Neustart in der Endlagersuche scheint eher ein Gorleben-Durchdrück-Gesetz zu werden", sagt Riedl.
Bayern will kein Endlager im Freistaat
Auch Bayern sucht juristische Winkelzüge, um sich vor einem Endlager im Freistaat zu schützen. Die bayerische Staatsregierung rechnet sogar fest damit, dass der Freistaat als Standort für ein Atommüll-Endlager nicht infrage kommt. "Aus fachlicher Sicht ist die Wahrscheinlichkeit gleich null", so Umweltminister Marcel Huber in der "Augsburger Allgemeinen". Bei der Suche nach Alternativen für Gorleben hätten einige Bundesländer nichts zu befürchten. Dazu zähle Bayern. Als konkrete Standorte gelten Huber zufolge lediglich Tonschichten in Baden-Württemberg sowie Salzstöcke in Nordrhein-Westfalen und im Harz.
In Bayern galten zuletzt neben den Salzstöcken in Berchtesgaden und den Granitvorkommen im Bayerischen und Oberpfälzer Wald vor allem die Tonschichten an der Donau im Raum Neu-Ulm als potenzieller Standort. Laut Huber ist nach dem aktuellen geologischen Kenntnisstand jedoch keine dieser Regionen für ein Endlager geeignet. Rund um Neu-Ulm etwa sei die Tonschicht zu dünn. Dort werde man definitiv "nichts Vernünftiges machen können", meinte Huber.
Trittin hatte klargemacht, wie wichtig ein nachvollziehbarer Vergleich von geeigneten Wirtsgesteinen zunächst untereinander sei, gerade auch mit Blick auf die Akzeptanz der betroffenen Bürger vor Ort. "Wer da Salz mit Ton oder Ton mit Granit vergleicht, der setzt sich dem Verdacht aus, Äpfel mit Birnen zu vergleichen." Er forderte eine Orientierung an Vorschlägen aus seiner Amtszeit für eine neue Endlagersuche. Diese konnten wegen des Regierungswechsels 2005 nicht mehr in ein Gesetz gegossen werden.
Angesichts der vielen offenen Fragen warnt Trittin dann auch vor allzu großen Erwartungen an das Treffen in Berlin, was wiederum die Kontrahenten von der CDU auf die Palme bringt.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts