Streit um Braunkohle Polizei räumt Hambacher Forst
13.09.2018, 09:28 Uhr
Jahrelang halten Aktivisten den Hambacher Forst besetzt, um gegen die Rodung des Waldstückes durch den Energiekonzern RWE zu demonstrieren. Jetzt räumt die Polizei mit großem Aufgebot das Gebiet. Die Braunkohle-Gegner haben Widerstand angekündigt.
Im Braunkohlerevier Hambacher Forst beginnen die Behörden mit der Räumung der Baumhäuser von Aktivisten. Das bestätigte eine Sprecherin der zuständigen Stadt Kerpen. Das nordrhein-westfälische Bauministerium hatte die Stadt am Mittwochabend angewiesen, die Baumhäuser unverzüglich zu räumen. "Die Weisung wird jetzt umgesetzt", sagte die Stadtsprecherin.
In der Nähe des Waldgebietes, das zu einem Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden ist, formierte die Polizei am Morgen massive Kräfte. Der Einsatz gegen die Baumbesetzer gilt bei der Polizei als einer der größten in der jüngeren nordrhein-westfälischen Geschichte. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung geholt. Wasserwerfer und schweres Räumgerät sind im Einsatz. Die Polizei stellt sich auf einen tagelangen und schwierigen Einsatz ein. Nach und nach müssen die Kräfte des Höheninterventionsteam die rund 50 bis 60 Baumhäuser räumen und abbauen. Für die Polizei ist es einer der größten Einsätze in der jüngeren NRW-Geschichte. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt. Laut Polizei gab es bis zum Mittag eine vorläufige Festnahme.
Der Energiekonzern und Waldbesitzer RWE will im Herbst mehr als die Hälfte des noch verbliebenen Waldstücks roden, um weiter Braunkohle baggern zu können. Dagegen gibt es seit Langem Proteste. Aktivisten haben Baumhäuser in großer Höhe errichtet und halten den Wald damit besetzt. Bevor gerodet werden kann, muss daher geräumt werden.
Für den jahrelangen Protest der Braunkohlegegner ist das eine Zäsur. Die Besetzer im Hambacher Forst haben gewaltlosen Widerstand gegen die geplante Räumung ihrer Baumhäuser angekündigt. "Für viele ist das ihr Zuhause. Es gibt Menschen, die hier seit sechs Jahren wohnen", sagte ein Mann namens Freddy, der auf einem Baumstamm in etwa zehn Metern Höhe ausharrte. Die Baumhäuser seien ein europaweit bekanntes Symbol geworden.
Juristischer Räumungsgrund: fehlender Brandschutz
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hatte die Baumhäuser von Braunkohle-Gegnern im Hambacher Forst am Mittwochabend als "illegal besetzte Gebiete" bezeichnet. Aus den Baumhäusern heraus gebe es seit Tagen Übergriffe auf Polizisten, antwortete der CDU-Politiker in einem Bürgertalk im WDR auf die Frage nach einer möglichen Räumung. Juristisch gesehen geht es bei der geplanten Räumung aber nicht um RWE und die Braunkohle. Vielmehr argumentiert das Ministerium nach Angaben der Stadt Kerpen und des ebenfalls betroffenen Kreises Düren unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Nach einem Vor-Ort-Termin sei das Ministerium zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Hütten um bauliche Anlagen im Sinne der NRW-Bauordnung handele.
Nach der Bauordnung müssten die Baumhäuser etwa über Rettungstreppen und über Geländer verfügen. Außerdem müssten Rettungswege für Feuerwehr und Krankenwagen verfügbar sein. Weil das nicht gegeben sei, ergäben sich "konkrete Gefahren" für die Bewohner. Daher müssten die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren die Baumhäuser ohne zeitlichen Aufschub räumen, argumentiert das Ministerium. Stadt und Kreis haben bei der Aachener Polizei um Vollzugshilfe gebeten, um die Häuser räumen und beseitigen zu können.
In den sozialen Netzwerken riefen die Aktivsten dazu auf, den Protest im Hambacher Forst zu verstärken. Eine Frau namens Cuca, die nach eigenen Angaben seit fünf Tagen auf einer Baumhaus-Plattform lebt, sagte, gewalttätig seien nicht die Baumbesetzer, sondern allenfalls RWE und die Polizei. Schon am gestrigen Abend hatten Aktivisten in den sozialen Netzwerken einen Aufruf gestartet, den Protest im Hambacher Forst zu unterstützen. Auf dem Twitteraccount "Mahnwache Hambacher Forst" kündigen die Aktivisten eine Demonstration am Abend unter dem Schlagwort "HambiBleibt" an.
Zuletzt waren am vergangenen Samstag und Sonntag Hunderte Menschen dem Aufruf zu einem "Wochenende des Widerstands" in dem Waldstück gefolgt. In dem Forst stehen Jahrhunderte alten Buchen und Eichen. Zudem gibt es Vorkommen geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus. Mehrere Organisationen wollen seine Rodung unter anderem aus diesen Gründen verhindern. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Frühestens im Oktober darf der Konzern mit der Rodung beginnen.
NRW-Innenminister warnt vor "extrem gewaltbereiten Linksextremen"
Die Polizei hat immer wieder von Angriffen auf Polizisten an dem Waldstück berichtet. NRW-Innenminister Herbert Reul warnte, dass man es mit "extrem gewaltbereiten Linksextremen" zu tun habe, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland anreisten.
Der Streit um den Hambacher Forst könnte auch die Arbeit der sogenannten Kohlekommission stören, obwohl das Thema dort offiziell nicht auf der Tagesordnung steht. Wirtschaft, Klimaschützer, Politik und Betroffene sollen bis Ende des Jahres gemeinsam einen Weg aus der Kohlestrom-Produktion vereinbaren. Die beteiligten Umweltverbände fordern einen Aufschub der Rodung, bis das erledigt ist - ihrer Ansicht nach könnte der Wald vielleicht stehenbleiben, wenn ältere Kraftwerke abgeschaltet werden.
Die Umweltverbände in der Kommission haben symbolische Baumpatenschaften im Hambacher Forst übernommen. Denkbar ist, dass ein oder mehr Umwelt-Vertreter die Kommission verlassen, wenn RWE rodet. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens wäre dann gefährdet.
Quelle: ntv.de, nen/dpa