Politik

Der Sieben-Punkte-Verwirrplan Putin prüft die Nato

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(Foto: REUTERS)

Geschlossen, stark - so will die Nato bei ihrem Gipfel auftreten. Doch Russlands Präsident Putin versucht, den Zauderern in der Allianz mit seinem "Sieben-Punkte-Friedensplan" Argumente zu liefern. Das Treffen in Wales ist ein großer Test.

In der Bundesregierung gilt der Nato-Gipfel in Wales als der bedeutsamste der vergangenen Jahre. Ähnlich die Einschätzung in den anderen Mitgliedstaaten des Verteidigungsbündnisses. Denn gelingt es der Nato in diesen Tagen nicht, beherzte, geschlossene Entscheidungen zu fällen, steht die Zukunft der Allianz auf dem Spiel. Dem Kreml wäre das naheliegender Weise nur allzu recht. Das zeigte er jetzt noch einmal deutlich.

Kurz vor dem Auftakt des Gipfels überraschte Russlands Präsident Wladimir Putin die Welt mit seinem "Sieben-Punkte-Friedensplan" für die Ukraine. Was bei einem naiven Blick Anlass zu Hoffnung gibt (endlich ergreift Moskau die Initiative), entpuppt sich spätestens bei der zweiten Betrachtung als Störmanöver. Putins Vorschläge können nur der Versuch sein, die Zauderer in der Nato noch stärker zu verunsichern.

Was schlägt Putin vor?

  • Die Separatisten in der Ostukraine stoppen ihre Offensiven
  • Die ukrainische Armee zieht sich aus den umkämpften Gebieten zurück
  • Eine internationale Beobachtermission überwacht die Waffenruhe
  • Kiew setzt seine Luftwaffe nicht gegen Zivilisten ein
  • Ein Gefangenenaustausch ohne Vorbedingungen
  • Humanitäre Korridore für Flüchtlinge und Hilfsgüter zu den besetzten Gebieten
  • Reparaturbrigaden, die die Donbass-Region wieder aufbauen

Der Kreml-Chef signalisiert damit zwar, dass er Frieden will. Einen elementaren Bestandteil eines jeden Friedensplans übergeht er dabei allerdings: Entgegenkommen. Putins Vorschlag ist nicht mehr als ein Forderungskatalog. De facto zementiert er damit die Herrschaft der Separatisten in den Provinzen Donezk und Luhansk. Die prorussischen Kräfte bekommen ihr "Neurussland". Kiew, EU und Nato bekommen nichts.

Einzeln hat Putin praktisch jede der Forderungen aus dem Sieben-Punkte-Plan schon einmal aufgestellt. Ihm dürfte also klar sein, dass sich der Westen nicht darauf einlässt. Und es dürfte zudem kaum Zufall sein, dass Putin angekündigt hat, die Konfliktparteien könnten den Friedensplan schon am Freitag, beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe beschließen. Am Freitag entscheidet die EU nicht nur über neue Russland-Sanktionen. Am Freitagnachmittag verfasst die Nato auch die Abschlussbeschlüsse ihres Gipfels. Putins Initiative liefert all jenen im Verteidigungsbündnis, die einen möglichst vorsichtigen Kurs bevorzugen, ein Argument.

Nato-Staaten zweiter Klasse

Das Verteidigungsbündnis ringt auf dem Gipfel um eine angemessene Reaktion auf die russische Annexion der Krim und die Krise in der Ostukraine. Vor allem die baltischen Staaten und Polen fürchten, dass Moskau mit seiner hybriden Kriegsführung rund um Soldaten ohne Hoheitsabzeichen und massive Propaganda auch bei ihnen für Unruhe sorgen könnte. Denn wie in der Ostukraine gibt es in diesen Staaten große russische Minderheiten, die Moskau instrumentalisieren oder manipulieren könnte.

Derzeit ist die Nato im Baltikum und in Polen nur mit sehr wenig Material und Personal aktiv. Grund dafür ist die sogenannte Nato-Russland-Akte aus dem Jahr 1997. Ost und West besiegelten damit noch einmal das Ende des Kalten Krieges. In der Akte heißt es: Die Nato verspricht, "in der derzeitigen und vorhersehbaren Sicherheitsumgebung" keine "substanziellen Kampftruppen" in den östlichen Staaten der Allianz "permanent" zu stationieren.

Die Osteuropäer sehen in der Annexion der Krim bereits einen Bruch mit der Grundakte und fordern, dass die Nato sie jetzt massiv aufrüstet. Sie führen dabei gern das Argument auf, dass sie Nato-Partner zweiter Klasse wären. In der Theorie sind sie Mitglied, in der Praxis kann das Bündnis sie aber nicht verteidigen.

Staaten wie Deutschland scheuen dagegen ein allzu starkes Engagement der Nato in Osteuropa. Sie wollen Moskau nicht unnötig provozieren. Zudem geht es darum, die moralische Deutungshoheit zu bewahren. Getreu dem Motto: Wir halten uns an das, was wir vereinbart haben.

Nato antwortet mit "Speerspitze"

Unabhängig von Putins Sieben-Punkte-Plan zeichnete sich deshalb schon Tage vor dem Gipfel ein Mittelweg ab. Aus Kreisen der Bundesregierung hieß es dazu, es handele sich um Maßnahmen im Rahmen der Nato-Russland-Grundakte, die trotzdem eine "überzeugende" und "glaubwürdige" Antwort auf "Russlands Aggressionen" darstellt. Es handele sich um Maßnahmen, die klar machten: Artikel 5 des Nato-Vertrages, der Bündnisfall, gilt uneingeschränkt für alle Mitglieder.

Gemeint sind damit die Maßnahmen des "Readiness Action Plans", den die Mitgliedsstaaten voraussischtlich am Freitagnachmittag beschließen wollen. Ein Kernelement ist eine neue schnelle Eingreiftruppe, die sogenannte "Spearhead-Force". Dabei handelt es sich um hochmobile Streitkräfte, die binnen weniger Tage eingreifen könnten, wenn sich ein Krim-Szenario in einem Mitgliedstaat andeuten sollte. Einige Elemente der Einheit sollen sogar schon binnen Stunden vor Ort sein können. Zusätzlich will die Nato im Rahmen des "Readiness Action Plans" zusätzliches militärisches Gerät in den Balten-Staaten und Polen stationieren, auf das diese Spezialtruppe im Ernstfall zurückgreifen könnte.

Man kann diese Maßnahmen zumindest so deuten, als stünden sie im Einklang mit der Nato-Russland-Grundakte. Als Ost und West diese beschlossen, definierten sie nicht genau, was unter Begriffen wie "substanzielle Kampftruppen" oder "permanent" bedeuten. Für die Nato stellt eine volle Brigade die Grenze zu "substanziellen Kampftruppen" dar. Die umfasst in der Regel zwischen 3000 und 5500 Soldaten. Für die "Spearhead-Force" sind 4000 Soldaten im Gespräch. Statt auf die permanente Stationierung von Personal, Material und Infrastruktur könnte das Verteidigungsbündnis zudem auf Rotationsprinzipien setzen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Nato ausgerechnet wegen Putins Sieben-Punkte-Plan hinter diese Pläne zurückfällt. Zumal es nicht der erste Versuch Moskaus ist, seine Bereitschaft zum Frieden zu signalisieren. Der Kreml stimmte schon im April der "Genfer Erklärung" zu, er lobte im Mai den "Runden Tisch" in Kiew und beteiligt sich seit September an der OSZE-Kontaktgruppe. Auf all diese Initiativen, und es gibt noch mehr, folge bisher stets eine weitere Eskalation in der Ostukraine.

Quelle: ntv.de

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