Politik

Deutsche Dschihadisten beim IS "Rückkehrer werden als Helden gefeiert"

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Die Wirklichkeit vor Ort dürfte ein wenig anders aussehen: der deutsche Dschihadist Denis Cuspert im sogenannten Islamischen Staat.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Islamist Nils D. ist einer von vielen. Rund 250 Dschihad-Touristen sind nach Deutschland zurückgekehrt - und ein unkalkulierbares Risiko. Radikalisierte Personen seien wie Alkoholkranke, sagt Marwan Abou-Taam vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz im Interview mit n-tv.de.

n-tv.de: Seit diesem Mittwoch steht der Islamist Nils D. aus Dinslaken wegen Mitgliedschaft beim Islamischen Staat (IS) vor Gericht. Er ist einer von rund 250 Syrien-Rückkehrern. Wie gefährlich sind diese?

Marwan Abou-Taam: Das ist unterschiedlich. Viele von ihnen sind wahrscheinlich abgeklärt oder enttäuscht. Sie halten nicht mehr viel von der Ideologie des IS und sind zurückgekehrt, weil sie sich distanzieren. Und dann gibt es noch diejenigen, die die Ideologie noch vertreten - oder mit einem Auftrag zurückgekommen sind.

Müssten sie rund um die Uhr bewacht werden?

Da wir nicht auf Anhieb erkennen können, wer von den Rückkehrern gefährlich ist, haben wir dauerhaft eine Gratwanderung zwischen Über- und Unterreaktion. Kein Entscheidungsträger kann es zulassen, dass ausgerechnet ein Rückkehrer - also eine Person, die den Sicherheitsbehörden bekannt ist - in einen Terroranschlag verwickelt wird. Das wäre ein Supergau. Ob man aber eine Überwachung rund um die Uhr leisten kann, ist eine andere Frage.

In einigen europäsichen Ländern ist der Gau schon eingetreten. Bei den jüngsten Terroranschlägen gehörten Rückkehrer zu den Attentätern.

Das stimmt, viele Attentate haben IS-Rückkehrer verübt. Das zeigt, wie virulent das Problem ist. Die Behörden werden nie zu 100 Prozent von einer Person sagen können: "Er ist keine Gefahr mehr." Schließlich haben diese Personen gezeigt, dass sie irgendwann bis zum Äußersten gehen wollten. Mag sein, dass sie für einen Moment vom IS enttäuscht waren. Sehr oft ist es aber so, dass die soziale Situation der Dschihadisten nach ihrer Rückkehr viel schlechter ist als vorher. Damit gibt es eine ganze Menge Gründe, die einen Rückfall zum Radikalismus wahrscheinlich machen. Radikalisierte Personen sind wie Alkoholkranke. Es ist nicht klar, unter welchen Bedingungen sie trocken bleiben.

Sind die Rückkehrer nach den Erfahrungen in Syrien überhaupt resozialisierbar?

Viele Dschihadisten sind hochgradig traumatisiert und fallen dadurch - ähnlich wie etwa traumatisierte US-Soldaten - in verschiedenen Bereichen durch Aggressionen auf. Selbst wenn jemand mit der Ideologie abgeschlossen hat: Die Gewalterfahrung erschwert die Reintegration in die Gesellschaft. Und wir haben natürlich keine Projekte, die sich darauf spezialisiert haben, ehemalige IS-Kämpfer wiedereinzugliedern.

Was passiert mit denen, die im Gefängnis sitzen?

Viele Rückkehrer werden in Gefängnissen als Kriegshelden gefeiert und als politische Gefangene gesehen. Und dann besteht immer noch die Gefahr, dass sie auch andere Insassen radikalisieren. Letztlich gibt es ein Spannungsfeld: Auf der einen Seite müssen wir versuchen, die Rückkehrer zu deradikalisieren und zu integrieren, auf der anderen Seite die Gesellschaft schützen.

Wie ist es überhaupt möglich, Rückkehrer zu überführen und zu Haftstrafen zu verurteilen?

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Marwan Abou-Taam ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitarbeiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es muss klar sein, dass die Person nach Syrien gereist ist, um sich dort einer Terrororganisation anzuschließen. Auf jeden Fall ist es strafbar, wenn Morde vor Ort nachgewiesen werden können. Das ist allerdings sehr schwer. Oft versucht man das über Indizienprozesse, wenn sich Täter beispielsweise neben Leichen abbilden ließen und das etwa bei Facebook posteten. Hilfreich ist auch, wenn man Belastungszeugen hat, wie etwa Nils D., der dazu beigetragen hat, dass andere verurteilt werden konnten.

Nils D. selbst stellt sich als harmlosen Handlanger dar, der vor allem gekocht und geputzt hat. Wie schätzen Sie eine solche Aussage ein?

Das ist das Interessante: Alle, die zurückkommen, haben nur irgendwelche Hilfsarbeiten gemacht. Es ist nachvollziehbar, dass die Personen sich nicht belasten wollen. Ich glaube aber nicht, dass die deutschen Rückkehrer dort allesamt Hausmädchenarbeiten verrichtet haben. Sehr viele von ihnen sind nach Syrien gereist, um zu kämpfen. Insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Fakt ist: In Syrien und im Irak haben mehrere Deutsche Selbstmordattentate durchgeführt. Viele sind bei Kampfhandlungen gestorben und es gibt Berichte einer ehemaligen Geisel aus Syrien, die unter anderem von Deutschen verhört und bewacht wurde.

Ist es für die Rückkehrer ein Problem, dass sie beim IS als Verräter gelten und untertauchen müssen?

Die meisten Rückkehrer, die wir kennen, kehren zurück in die salafistische Szene. Das ist für mich kein Zeichen dafür, dass sie sich als besonders gefährdet betrachten. Das sind ihre Freunde, da werden sie als Helden gefeiert.

Immer wieder gibt es auch die Befürchtung, dass sich IS-Rückkehrer unter die Flüchtlinge mischen.

Die meisten Rückkehrer müssen gar nicht die anstrengenden Fluchtwege durchlaufen. Sie haben es viel leichter: Sie fliehen in die Türkei und melden sich bei der deutschen Vertretung. Schließlich sind sehr viele von ihnen deutsche Staatsbürger, das heißt: Sie werden hier blieben, ob es uns passt oder nicht.

Wie lässt sich verhindern, dass Deutsche in den Dschihad ziehen?

Wir müssen eine Mauer gegen die Ideologie des Salafismus errichten. Schließlich gibt es keinen Unterschied zwischen dem, was der IS will, und dem, was der Salafismus vertritt. Die Ideologie ist die Antithese zu unserer demokratisch orientierten liberalen Gesellschaft. Die Salafisten teilen die Menschen in Gläubige und Ungläubige. Die Aufgabe der Gläubigen ist es, die Ungläubigen zu bekämpfen oder sie zu missionieren. Das Dasein wird - ähnlich wie beim Rechtsextremismus - als ein Kampf ums Überleben betrachtet. Ziel ist eine homogene Gesellschaft.

Wer fühlt sich angezogen von einer solchen Ideologie?

Es gibt eine Gruppe, die besonders gefährdet ist: Das sind die 14- bis 29-Jährigen, sogenannte Verlierer der Gesellschaft. Dabei gibt es aber durchaus Unterschiede: Manche Salafisten haben Hochschulen besucht, andere die Hauptschule abgebrochen. Doch sie alle sind Personen, die mit der Freiheit überfordert sind.

Mit Marwan Abou-Taam sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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