Islamismus hinter Gittern Wie Gefängnisse den Terror fördern können
01.01.2016, 13:58 Uhr
Das Gefängnis macht aus radikalen Islamisten nicht unbedingt bessere Menschen.
(Foto: dpa)
Die Behörden setzen alles daran, IS-Rückkehrer hinter Gitter zu bringen. Doch gerade das könnte für islamistische Extremisten genau der falsche Ort sein. Denn dort warten bereits salafistische Missionare auf die haltlosen, jungen Männer.
Drei Jahre und neun Monate. Das ist die Strafe, zu der Kreshnik B. vor einem Jahr verurteilt wurde, weil er sich in die Dienste des sogenannten Islamischen Staates (IS) gestellt hatte. Es war das erste Urteil gegen einen der rund 250 deutschen IS-Anhänger, die nach Deutschland zurückgekehrt sind. Warum Kreshnik B. seinen Einsatz im Bürgerkrieg beendete, ließ sich im Prozess nicht genau feststellen. Wurde es ihm zu viel? Oder ist er gar als Schläfer hier, um neue Rekruten anzuwerben oder eines Tages einen Anschlag in Deutschland zu verüben? "Ich möchte noch immer als Märtyrer sterben", hatte er gestanden.
Nun sitzt Kreshnik B. im Gefängnis. Ist die Sache also gut ausgegangen? Kann er zumindest in den nächsten Jahren keinen Schaden mehr anrichten? Das könnte man meinen, aber so einfach ist es nicht. Denn unter Fachleuten ist bekannt, dass Gefängnisse nicht nur Gutes bewirken. Der Resozialisierungswissenschaftler Bernd Maelicke nennt sie "Schulen des Verbrechens". Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie das Gefängnis trotz aller Reformen Menschen emotional verwahrlosen lässt und damit kriminelle Karrieren befördern kann.
"Gefängnisse sind Orte der Verrohung und der strukturellen Gewalt", sagt Maelicke. Die eigentliche Bestrafung bestehe nicht im Freiheitsentzug, sondern in der Brutalität des Knast-Alltags: "Die Hölle sind die Mithäftlinge." Besonders in der Freizeit, nachts und am Wochenende, wenn weniger Wachpersonal da ist, komme es zu Übergriffen bis zur Vergewaltigung.
Futter für Missionare
Das Gefängnis sei nicht dazu geeignet, aus Verbrechern gesetzestreue Bürger zu machen. Wer im Gefängnis lernt, dass es auf Stärke und Skrupellosigkeit ankommt, der wendet dieses Verhalten auch nach seiner Entlassung an, so Maelicke. Außerdem kommen viele im Gefängnis in Kontakt mit dem Drogenmilieu, mit der organisierten Kriminalität oder eben mit der Salafistenszene.
Die Verhältnisse im Gefängnis werfen also zwei Fragen auf. Erstens: Können sie wirklich dabei helfen, Islamisten wie Kreshnik B. von ihrem Weg der Gewalt abzubringen? Und zweitens: Bietet das Gefängnis den Islamisten vielleicht sogar die Möglichkeit, andere Häftlinge zu missionieren und zu infiltrieren?
Salafistische Missionare sprechen recht offen über diese Möglichkeit. Zum Beispiel Sven Lau, den unzählige Youtube-Videos dabei zeigen, wie er Menschen dabei hilft, den islamischen Glauben anzunehmen. Der Konvertit saß 2014 für einige Wochen in Untersuchungshaft, weil ihm vorgeworfen wurde, Kämpfer für den syrischen Bürgerkrieg rekrutiert zu haben. Danach brüstete er sich auf Youtube damit, dass durch ihn Mithäftlinge mit dem Beten angefangen hätten. Sie seien im Nachhinein dankbar für den Gefängnisaufenthalt, weil sie ohne diesen nicht zur "Rechtleitung Allahs" gefunden hätten. Derzeit sitzt Lau wegen der gleichen Vorwürfe wieder in Untersuchungshaft.
Das Gefängnis soll der Resozialisierung dienen. Stattdessen könnte es salafistischen Missionaren genau jene zutreiben, auf die es diese abgesehen haben: junge Männer mit Brüchen in der Biografie, mit Hass auf die Gesellschaft und mit viel Zeit zum Nachdenken.
So normal es ist, dass sich junge Menschen auf der Suche nach Orientierung für Religion interessieren, so gefährlich sind auch die Kreise, in die sie sich dadurch ziehen lassen können. Mehrere Hundert Menschen sind aus Deutschland bereits Richtung Syrien oder Irak gereist, um dort zu kämpfen. "Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die sich dem Dschihad angeschlossen haben, standen zuvor mit salafistischen Strukturen in Kontakt", heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Andere Angebote
In Deutschland gibt es gut 7000 Salafisten. Etwa 750 Personen sind laut Generalbundesanwalt bislang nach Syrien oder den Irak ausgereist, 250 von ihnen sind wie Kreshnik B. zurückgekommen. Etwa 70 haben mit Waffen trainiert oder gekämpft. In ganz Deutschland laufen derzeit Prozesse gegen diese Rückkehrer. Die genaue Zahl der Inhaftierten ist unbekannt. Sicher ist: Sie steigt und wird weiter steigen. Denn die Salafistenszene ist die am stärksten wachsende extremistische Szene in Deutschland und weiterhin reisen Mitglieder dieser Szene nach Syrien.
Die Justizministerien der Länder, die für den Strafvollzug zuständig sind, haben die Gefahr erkannt und leiten erste Maßnahmen ein. "Islamisten werden innerhalb einer Haftanstalt nicht zusammen untergebracht", sagt Detlef Feige, Sprecher des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen. "Wir wollen nicht, dass jemand neue Freunde findet, die er nicht braucht", so Feige.
Auch er sieht, dass eine Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit bei vielen Gefangenen mehr bewirken würde als die Haft. Bislang ist das im Erwachsenenstrafrecht nicht vorgesehen, obwohl es Menschen dabei helfen könnte, zu einem gesetzestreuen Leben in der Gesellschaft zurückzufinden. Und obwohl es sie von der "Schule des Verbrechens" fernhalten würde.
Einstweilen versuchen die Haftanstalten, selbst auf die religiösen Bedürfnisse von Muslimen einzugehen, bevor Mithäftlinge dies übernehmen. Dazu braucht es Geistliche, die regelmäßig Gespräche und Gebete anbieten. Diese zu finden, ist aber kompliziert. Die Situation ist ähnlich verzwickt wie beim Islamunterricht an Schulen: Weil es viele kleine Islamverbände gibt, tut sich der Staat schwer damit, Gesandte dieser Verbände den christlichen Priestern gleichzustellen und zu bezahlen. Welche Probleme das mit sich bringt, musste das Land Niedersachsen kürzlich erfahren. Im Oktober 2014 berief es 36 muslimische Seelsorger zum Dienst in den Gefängnissen. Schon innerhalb des ersten Jahres waren 12 davon wieder abgesprungen.
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Quelle: ntv.de