Politik

Inspektionen und Privatkäufe Russland macht seine Bunker fit

Der "Bunker 42" in Moskau wurde einst von Stalin gebaut.

Der "Bunker 42" in Moskau wurde einst von Stalin gebaut.

(Foto: imago/Belga)

In Russland erleben Bunker die größte Renaissance seit dem Ende der Sowjetunion. Im ganzen Land werden Luftschutzanlagen ertüchtigt, Hersteller privater Schutzräume erleben die größte Nachfrage aller Zeiten.

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat längst auch die Russische Föderation erreicht. Hunderttausende Reservisten werden für den Einsatz im Nachbarland rekrutiert. Ukrainische Raketen gehen auf russischem Boden nieder. Es gibt Explosionen auf russischen Militärflughäfen, die Krim-Brücke wird zerstört, die Russen beschweren sich über angeblich "terroristische Aktivitäten". Inzwischen sehen sich Russinnen und Russen aus Angst vor dem Krieg nach Bunkern um.

In ganz Russland werden derzeit Bombenschutzräume wieder zum Leben erweckt. Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion überprüfen die lokalen Behörden, welche Keller, Bunker und andere Schutzräume noch intakt sind, berichtet "Bloomberg" unter Verweis auf anonyme Hinweisgeber.

Nikolai Patruschew, ein hochrangiger Sicherheitsbeamter des Kreml, hatte schon im April eine Bestandsaufnahme aller Bunker in Südrussland angekündigt. Neu ist, dass mittlerweile angeblich sogar im ganzen Land Zivilschutzanlagen überprüft werden.

Russland will "kein Risiko" mehr eingehen

Hintergrund ist demnach das Kriegsrecht, das Präsident Wladimir Putin am 19. Oktober für die besetzten Regionen in der Ukraine ausgerufen hat. Einzige Ausnahme war die Krim. Auf der Halbinsel im Schwarzen Meer sowie in den Regionen Kursk, Brjansk und Belgorod, die an die Ukraine grenzen, gilt die "mittlere Bereitschaftsstufe". In den anderen süd- und westlichen Regionen Russlands, inklusive Moskau, wurde eine "hohe Alarmstufe" ausgerufen.

Durch das Kriegsrecht dürfen die Gouverneure der einzelnen russischen Regionen auch diverse Notstandsmaßnahmen einführen. "Je näher die Regionen an der Ukraine liegen, desto größer sind die Einschränkungen", erklärt ntv-Russland-Korrespondent Rainer Munz.

Das können Reiseverbote, Ausgangssperren oder Enteignungen sein. Oder aber die Sanierung und Mobilmachung von Bunkern. Es gibt Berichte aus mehreren russischen Regionen, dass verstärkt die Keller von staatlich verwalteten Wohnhäusern überprüft oder die Luftschutzkeller inspiziert werden. Dabei ist offenbar aufgefallen, dass viele Schutzräume nicht einsatzfähig sind.

Von offizieller Seite heißt es aus den einzelnen Regierungsbezirken, es handele sich bei den Kontrollen um Routineüberprüfungen, doch die anonymen Hinweisgeber aus den russischen Behörden zeichnen bei Bloomberg ein anderes Bild. Es gehe bei den Maßnahmen explizit darum, sicherzustellen, "dass die Infrastruktur des Zivilschutzes im Falle eines größeren Konflikts einsatzbereit ist". Nach den Pannen bei der Einberufung von Reservisten, wollten die russischen Behörden "kein Risiko" mehr eingehen, heißt es.

Privatbunker-Nachfrage hoch wie nie

Putins Ukraine-Invasion habe längst eine "breite Militarisierung der russischen Gesellschaft" ausgelöst. Rainer Munz kann diesen Eindruck bestätigen. "Wir sehen das bei den wichtigen Propagandisten. Zum Beispiel bei Margarita Simonjan, Chefin des großen Senders RT. Sie erinnerte zuletzt an ein großes sowjetisches Lied im Kampf gegen den Nationalsozialismus: Steh auf, du Riesenland."

Die russische Gesellschaft wird immer deutlicher auf Krieg getrimmt. Das schürt Unsicherheit bei den Menschen in Russland, die sich deshalb anscheinend selbst auf die Suche nach Schutzmöglichkeiten begeben. Das russische Nachrichtenportal RBK berichtet, dass die Nachfrage nach privaten Bunkern steigt. Den ersten Nachfrage-Peak habe es unmittelbar nach der Invasion am 24. Februar gegeben, den zweiten nach Putins Mobilmachung am 21. September.

Das Unternehmen "Bunker House" etwa habe im September 430 Prozent mehr Anfragen gezählt als normalerweise. Eine solche Nachfrage habe es selbst unmittelbar nach Kriegsbeginn nicht gegeben, wird Firmengründer Nikita Malezhik zitiert.

Vor allem Menschen im Süden und Westen Russlands interessieren sich für einen privaten Bunker, heißt es von Branchenexperten. Die wenigsten würden aber tatsächlich eine Luftschutzanlage kaufen, weil die Schutzräume ziemlich teuer sind.

Aber auch in Moskau sind die Menschen offenbar in Sorge. "Bloomberg" zitiert eine Immobilienmaklerin aus der Hauptstadt, die sagt, dass sich ihre Kunden in Moskau derzeit verstärkt für Häuser oder Wohnungen mit einem Bunker im Gebäude interessieren.

Krieg auf russischem Boden angekommen

Zwar greift die Ukraine mutmaßlich tatsächlich auch russisches Staatsgebiet an, ins Visier genommen werden allerdings einzig militärische Ziele, etwa mit Drohnen oder Artilleriefeuer. "Wenn aus dem Hinterland Russlands strategische Bomber starten, um die zivile Infrastruktur der Ukraine anzugreifen, dann ist das natürlich ein veritables, militärisches Ziel, um aus Sicht der Ukraine Schlimmeres zu verhindern", erklärt Sicherheitsexperte Christian Mölling im "Stern"-Podcast "Ukraine - die Lage". Entscheidend sei es, keine Zivilisten und keine zivilen Versorgungseinrichtungen anzugreifen. Daran würden sich die Ukrainer halten, so Mölling.

Auch Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr hatte im Podcast deutlich gemacht, dass ukrainische Angriffe auf militärische Ziele in Russland legitim seien. "Das ist die einzige Möglichkeit, die Versorgung russischer Streitkräfte in der Ukraine selber zu behindern."

Der Krieg ist also längst auch auf russischem Boden angekommen, aber das liegt einzig und allein an Putins Ukraine-Invasion, wo die Menschen tatsächlich Bunker brauchen, weil sie in ständiger Angst und Gefahr vor russischen Angriffen leben. Luftschutzbunker retten in der Ukraine Tag für Tag Leben. Auch die extrem tief liegenden U-Bahnhöfe dienen regelmäßig als Schutzort für die Bewohner in den Großstädten. Kiew hat sogar die tiefste Metrostation der Welt. In Russland liegen die U-Bahnhöfe ebenfalls besonders tief unter der Erde.

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(Dieser Artikel wurde am Samstag, 17. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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