Zwischenbilanz des Isaf-Einsatzes Scholl-Latour quält Afghanistan-Experten
02.04.2014, 18:33 Uhr
Peter Scholl-Latour warnte schon vor dem Einmarsch davor, sich in Afghanistan einzumischen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages zieht kurz vor den Wahlen in Afghanistan eine Zwischenbilanz des Isaf-Einsatzes. Der Publizist Scholl-Latour bereichert die Runde mit seinem Erfahrungsschatz. Er fällt aber nicht nur positiv auf.
Ihre Redezeit sprengen sie ausnahmslos. Die Sachverständigen im Auswärtigen Ausschuss geben sich alle Mühe, die Lage in Afghanistan kundig und differenziert zu schildern. Schließlich gilt es, nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen am Hindukusch, eine Zwischenbilanz des Einsatzes der Internationalen Schutztruppe Isaf zu ziehen. Peter Scholl-Latour hindert das nicht, die Ausführungen der Afghanistan-Experten mit ein paar flapsigen Sätzen abzutun.

Afghanische Kräfte übernehmen nach und nach die Verantwortung für die Sicherheit im Lande. Ob sie ohne die Hilfe westlicher Militärs auskommen, ist allerdings ungewiss.
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Als der Publizist nach einer guten halben Stunde zu Wort kommt - auch er ist an diesem Nachmittag Sachverständiger - sagt er zu seinen Vorrednern: "Die Vorträge hätte man alle vor zwölf Jahren geben können."
Der altgedienten Kenner des Nahen und Mittleren Ostens quält an diesem Mittwochnachmittag die Experten im Bundestag. Zum einen, weil er vieles tatsächlich schon 2001 vorhergesehen hat. Zum anderen, weil er eine wissenschaftliche Einordnung der Lage und möglicher Auswege schlicht übergeht.
Scholl-Latour war einer von wenigen, die schon vor dem Einmarsch in Afghanistan davor warnten, dass die Invasion zum Scheitern verurteilt sei. Im Innenausschuss bekräftigt er nun seine Auffassungen. "Wir können die Afghanen nicht in unsere Schablonen pressen", sagt er. "Der Krieg in Afghanistan ist verloren, und wir sollten sehen, wie wir da rauskommen." Immer wieder kritisiert er die USA - vor allem angesichts der historischen Hintergründe der Probleme Afghanistans. Dass der Westen jetzt versuche, mit Militär- und Polizeiausbildern afghanische Kräfte auch nach dem Ende des Militäreinsatzes Ende des Jahres am Hindukusch zu schulen, hält er überdies für "illusorisch". Die afghanische Armee bestehe aus Tagelöhnern und sei schon heute eine Gefahr, weil Mitglieder mitunter einfach nicht zum Dienst erschienen. "Ich würde das keinem deutschen Ausbilder empfehlen."
Als eine Art Fazit lässt sich ein Satz von Scholl-Latour lesen: "Es gab Zeiten, da konnte man ohne Angst durch Afghanistan fahren." Er meint die Zeiten vor dem Einmarsch westlicher Truppen. Scholl-Latour fordert endlich eine "realistische" Betrachtung der Lage.
Düster, nicht aussichtslos
Einige der Afghanistan-Experten, die sich teils schon seit 35 Jahren mit dem Land beschäftigten, loben durchaus Scholl-Latours Erfahrungsschatz. Bei einigen seiner Sätze lehnen sich in ihren Stühlen aber auffällig weit zurück. Jan Köhler von der Freien Universität Berlin kann sich auch einige Spitzen nicht verkneifen. "Mich interessiert nicht, ob sich westliche Journalisten sicher fühlen", sagt er und verweist lieber auf seine Studien, die er im Nordosten des Landes betrieben hat. Das Ergebnis: Vom Sicherheitsgefühl bis hin zur Trinkwasserversorgung und Bildung - pauschale Antworten gibt es auf die Entwicklungen in Afghanistan praktisch nicht. Es gibt positive und negative Trends, die nicht nur mit dem Einmarsch insgesamt, sondern auch mit Strategiewechseln des Westens zusammenhängen.
Köhler sagt: "Wissenschaftliche Erkenntnisse sind ja auch eine realistische Betrachtung, Herr Scholl-Latour." Es ist nicht das erste Mal, dass Experten dem Publizisten vorwerfen, dass bei ihm seine persönlichen Erfahrungen Sachargumente überlagern. Köhler warnt zudem davor, das Land einfach abzuschreiben, ein Punkt, in dem sich auch die anderen Sachverständigen einig sind.
Korruption, wirtschaftliche Abhängigkeit von den Hilfen des Westens - insgesamt zeichnen die Afghanistan-Experten zwar ein düsteres Bild. Sie zeigen aber Auswege auf. Zu den pessimistischeren unter ihnen zählt Thomas Rüttig vom Afghanistan Analyst Network in Kabul. Dass die Wahlen angesichts des Einflusses von Oligarchen und Warlords auf die Politik zu einer legitimen Regierung führen könnten, hält er für fraglich. Eine Übergangsregierung, die alle Kräfte miteinbezieht, könnte seiner Meinung nach aber zu einer Aussöhnung der gesellschaftlichen Gruppen führen. Die Taliban müssten dabei auch eine Rolle spielen.
Adrienne Woltersdorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt den größten Optimismus. Dass die Afghanen aller Voraussicht nach an diesem Samstag überhaupt wählen, hält sie schon für einen Erfolg. "Afghanistan hat keine demokratische Tradition und wir haben ihnen nur wenig Zeit gegeben", sagt sie. Dass viele der Kandidaten "fragwürdig" sind, sieht zwar auch sie kritisch. Laut Woltersdorf gebe es aber auch immer mehr Afghanen, die gegen sie protestieren. Das, so Woltersdorf, seien die ersten Anzeichen einer aufkeimenden Zivilgesellschaft.
Quelle: ntv.de