Lernen von den Rechtspopulisten Sebastian Kurz ist fast am Ziel: Kanzler
24.09.2017, 10:28 Uhr
Noch 2014 stritt Sebastian Kurz im Nationalrat erbittert gegen ein Burka-Verbot.
(Foto: REUTERS)
Sebastian Kurz geht als hoher Favorit in den Endspurt zu den Parlamentswahlen in Österreich. Er könnte der jüngste Kanzler in der Geschichte Österreichs werden. Der Studienabbrecher und einstige Polit-Hallodri hat einen beeindruckenden Aufstieg hingelegt - und einige Gewissheit hinweggefegt.
Das Einzige, was Sebastian Kurz jetzt noch gefährlich werden kann, sind seine überragenden Umfragewerte. Also steht der Mann der Stunde an seinem Pult in der Wiener Stadthalle und dämpft die Stimmung. "Ich muss Euch um etwas bitten", ruft er den 10.000 Zuhörern entgegen, seine immer noch jungenhafte Stimme kämpft vergeblich gegen ihren Applaus an. "Bitte, bitte, bitte", sagt er, um Zeit zu gewinnen, bis endlich Ruhe einkehrt, "bitte gebt nichts auf die Umfragen". Drei Wochen noch sind es bis zur Nationalratswahl in Österreich, sein Vorsprung wächst - und damit das Risiko, dass die Leute am Wahltag zuhause bleiben, weil der Basti, wie seine Fans ihn nennen, ja eh gewinnt.
Mit rund 33 Prozent führt seine ÖVP seit Wochen die Umfragen an, FPÖ und SPÖ rangeln um Platz zwei, beide bei etwa 25 Prozent. Ernsthafte Zweifel an einem Sieg von Sebastian Kurz am 15. Oktober vernimmt man in der Stadthalle nicht. Ein paar Bedenken hier und da, ob auch eine Regierungskoalition zustande kommt, und unter welchen Bedingungen, das ist alles. Luxusprobleme einer Partei, die gerade "eine Welle reitet", wie es einer aus Kurz‘ Umfeld beschreibt. Sie soll den ÖVP-Vorsitzenden bis ins Kanzleramt am Ballhausplatz gegenüber der Wiener Hofburg tragen, es wäre die frühzeitige Krönung einer bemerkenswerten Karriere: Mit 24 Staatssekretär, mit 27 Außenminister - und mit 31 Regierungschef, als jüngster Kanzler Europas und in der Geschichte Österreichs?
Die Aura eines Weltpolitikers, das Image eines Außenseiters
So logisch die Karriereleiter aufgebaut scheint, so sehr läuft der Aufstieg des Sebastian Kurz einem Trend in Österreichs Politik entgegen: Politiker aus der Großen Koalition galten als verbrannt, spätestens seit der Bundespräsidentenwahl 2016, als die Kandidaten von SPÖ und ÖVP in der ersten Runde mit blamablen Werten abgestraft wurden. FPÖ-Kandidat Norbert Hofer triumphierte mit einem Anti-Eliten-Wahlkampf, nur eine sehr große Koalition für Alexander van der Bellen verhinderte in der Stichwahl seinen Einzug in die Hofburg. Und Außenminister Sebastian Kurz? Verzog sich in die Weltpolitik, hielt sich aus der Innenpolitik raus - und lernte aus dem Erfolg der Rechtspopulisten. "Zeit für Neues", lautet das offizielle Motto des Kurz-Lagers, "das alte System aufbrechen" eine seiner zentralen Forderungen. Wer ÖVPler fragt, wie sie das Image des Berufspolitikers so frisiert haben, als sei er nie Teil dieses "alten Systems" gewesen, erntet nur ein zufriedenes Lächeln.
Antworten liefern die "Kurz-Leaks", die seit einigen Tagen in den Medien kursieren. Der "Falter" hat das Strategiepapier "Projekt Ballhausplatz" zugespielt bekommen und online gestellt. Die Mehrheit der Menschen hasse das System und sehe die ÖVP als einen Teil davon, stellt der unbekannte Verfasser fest. Kurz zog einen radikalen Schluss aus dieser Analyse: Als der entnervte Parteichef Reinhold Mitterlehner ihm im Mai die ÖVP mehr oder weniger aushändigte, baute er sie um zu seiner Bewegung, zur "Liste Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei". Er ging dabei vor wie ein nassforscher Früherbe, der den Familiensitz vor den Augen seiner Eltern abreißt: Das hier ist Murks, da ein Konstruktionsfehler, und überhaupt - die Farbe geht gar nicht. Kurz sicherte sich den alleinigen Zugriff auf die Bundesliste und ein Vetorecht für die Landeslisten. Die so mächtigen schwarzen Landesfürsten hielten still. Auch, als Kurz die Spitzenpositionen mit prominenten Quereinsteigern besetzte statt mit verdienten Parteirecken. Was er für richtig hält, zieht er konsequent durch, was er für falsch hält, packt er gar nicht erst an, sagen Leute, die ihn kennen.
Ein Auftritt wie ein Popstar
Selbst die Parteifarbe Schwarz musste dem modernen Erscheinungsbild weichen. Beim Wahlkampfauftakt dominierte das neue Türkis: auf den T-Shirts der Parteijugend, auf den drei riesigen LED-Bildschirmen auf der Bühne, vor der Halle schleckten die Besucher sogar türkisfarbenes Eis. Ein kleines Zugeständnis an die eher traditionell orientierten Besucher, die mit Bussen aus den Bundesländern in die Hauptstadt chauffiert wurden, gab es aber doch: die Food-Trucks servierten nicht etwa hippes Pulled Pork, sondern die gute alte Leberkäs-Semmel. In der Halle führte der bekannte Radiomoderator Peter L. Eppinger durch die perfekt choreographierte Show, eine Mischung aus Popkonzert und den Nominierungsparteitagen von Republikanern und Demokraten in den USA. Auf sein Kommando schwenken die 10.000 ihre Handys zu einer La-Ola-Welle aus Kameralichtern. Dann schauen alle noch einmal gemeinsam das Wahlvideo, das den sonst eher unnahbaren Sebastian Kurz als Familienmenschen zeigt - und als tierlieben kleinen Bub, der mit Meerschweinchen spielt.
Als Außenminister hatte er sein Privatleben aus der Öffentlichkeit weitgehend herausgehalten, als Kanzlerkandidat funktioniert das natürlich nicht mehr. Kurz wurde am 27. August 1986 geboren und wuchs als Einzelkind im Arbeiterbezirk Wien-Meidling auf. Seine Mutter arbeitete als Lehrerin, sein Vater als Ingenieur. Sie sitzen beim Wahlkampfauftritt in der ersten Reihe, neben Kurz‘ Langzeitfreundin Susanne, die gemeinsame Auftritte sonst weitgehend meidet. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst schrieb sich Kurz in Wien für das Jurastudium ein, für das neben der politischen Karriere aber keine Zeit blieb. Bis heute fehlen ihm zwei Scheine zum erfolgreichen Abschluss.
"Schwarz macht geil"
Als Kurz 2011 das Studium endgültig abbrach, war er gerade Staatssekretär für Integration geworden, mit 24. Bis dato hatte er sich nur einen eher zweifelhaften Namen gemacht, mit dem "Geilomobil" und dem Slogan "Schwarz macht geil" im Wiener Gemeindewahlkampf 2009 (hier ein Video von damals). Einigen Parteigranden war allerdings nicht entgangen, dass die Junge Volkspartei, wie die Nachwuchsorganisation der ÖVP heißt, sich unter seinem Vorsitz zu einer ernsthaften Kraft entwickelt hatte. Bis heute rekrutiert sich sein engster Kreis vor allem aus den Weggefährten der JVP, die er mitgenommen hat auf seinem Aufstieg an die Parteispitze. Sie waren es auch, die ihn gegen den Widerstand innerhalb der ÖVP und der politischen Gegner immer weiter unterstützten.
Die Skepsis der Medien wich schnell dem Respekt vor dem jungen Staatssekretär, der die Debatte um Zuwanderung versachlichen wollte. Er ernannte Integrationsbeauftragte, organisierte den Dialog mit den muslimischen Verbänden und baute das Angebot für Deutschkurse aus. Aus dem Hallodri war ein ernsthafter Sachpolitiker geworden - mit Format für mehr. 2013 wurde er mit 27 Jahren jüngster Außenminister Österreichs, einige Monat später wurde das Ressort auf seinen Wunsch um den Bereich Integration erweitert. Noch 2014 stritt er im Nationalrat, dem österreichischen Parlament, erbittert gegen ein Burka-Verbot, das er als "Schein-Debatte" verurteilte.
Stargast bei der CSU
Eine Haltung, die sich seit dem Sommer 2015 gewendet hat. Die Ankunft von Hunderttausenden Migranten machte Österreich zu einem Hotspot der europäischen Flüchtlingskrise - und Sebastian Kurz vom umsichtigen Integrationspolitiker zum Hardliner, zum "Prinz Eisenherz" (so das Magazin "Profil"), der bei Anne Will vor deutschem Millionenpublikum erklärte, ohne "furchtbare Bilder" sei ein Stopp der Zuwanderung nicht möglich. In den Teilen Deutschlands, die Angela Merkels Migrationspolitik für falsch hielten, stieg er damit zum Liebling auf, die "Bild"-Zeitung hofierte ihn genauso wie die CSU, wo er im November 2016 als Stargast auf dem Parteitag sprach, zu dem die Kanzlerin nicht eingeladen war.
Heute vergeht keine seiner Wahlkampfreden ohne Hinweis darauf, wie er gegen heftige Widerstände in Europa quasi im Alleingang die Balkanroute geschlossen hat. Ohnehin setzt Kurz inhaltlich fast komplett auf die Flüchtlingskarte, oder wie es im geleakten "Projekt Ballhaus"-Strategiepapier heißt: "FPÖ-Themen, aber mit Zukunftsfokus". Was das bedeutet, klingt in Kurz‘ 40-minütiger Rede zum Abschluss des Wahlkampfauftaktes an, für die die Bühne mit seinem Pult ganz nah ans Publikum gefahren wird. Sieben "klare Ideen" skizziert der Kanzlerkandidat, "wie es uns gelingen kann, Österreich zurück an die Spitze zu führen". Eine Schuldenbremse ist darunter, Steuersenkungen, und ein "klares Bekenntnis zum Schutz unseres Sozialsystems" - Zuwanderer sollen weniger Sozialleistungen bekommen. Die illegale Migration soll gestoppt werden, die Zuwanderungspolitik an einem Grundsatz ausgerichtet werden: "Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir integrieren können."
Mit seinem Erfolg in den Umfragen wischt Kurz eine weitere scheinbare Gewissheit in Österreichs Politik beiseite, die sogenannte Schmied/Schmiedl-These: Wenn sich die etablierten Parteien auf einen Wahlkampf mit dem Thema Migration auf die Diktion der FPÖ einlassen, werden die Wähler eher das Original wählen, also die Partei von Heinz-Christian Strache. Fakt ist: Seit Kurz die Volkspartei übernommen hat, haben ÖVP und FPÖ in den Umfragen die Plätze getauscht. Und der Ballhausplatz ist nicht mehr weit entfernt.
Quelle: ntv.de