Politik

Musterknabe der Beitrittskandidaten Serbien will der EU Flüchtlinge abnehmen

Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vučić wollte selbst nicht mitspielen, als in Wien Politiker des Balkan gegen Politiker der EU antraten.

Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vučić wollte selbst nicht mitspielen, als in Wien Politiker des Balkan gegen Politiker der EU antraten.

(Foto: imago/SKATA)

Serbien will seinen EU-Beitrittsprozess vorantreiben. Es verzichtet auf Geld und will bei der Lösung der Flüchtlingskrise helfen. Die Entwicklung des Landes macht Mut - man darf nur nicht zu genau hinschauen.

Die Diplomaten aus Südosteuropa lassen in Wien einige Teambuilding-Maßnahmen über sich ergehen. Zuerst hören sie einem Jugendchor zu, der sich aus Sängern ihrer Heimatländer zusammensetzt. Dann lassen sie sich erfolgreiche Initiativen aus der Zivilgesellschaft vorstellen, die für ihre eigene Politik Vorbild sein könnten. Und am Abend spielen sie Fußball: Das Team "FC EU" wird vom "FC Future EU" herausgefordert.

Die Westbalkanstaaten spielen also miteinander, nicht gegeneinander. In der Realität stehen sich die Länder der Region in vielen Fragen aber unversöhnlich gegenüber: Das gegenseitige Misstrauen schlägt sich in Zöllen und Diskriminierungen nieder, was die Entwicklung lähmt. Die Westbalkankonferenzen, von denen die zweite am Donnerstag in Wien zu Ende ging, sollen das ändern. Die Länder erhoffen sich zudem Fortschritte bei ihren Beitrittsverhandlungen.

Eine neue Strategie zeigt dabei vor allem der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić. Er will kein Geld von der EU mehr sehen, sagt er. Sicher, wenn das Investitionsprogramm der EU-Kommission für die Beitrittskandidaten geöffnet würde, hätte auch er nichts dagegen. Aber er tritt nicht mehr als Bittsteller auf, seit der IWF die Wachstumsprognosen für sein Land langsam erhöht.

Innerhalb eines Jahres ist viel passiert

Stattdessen inszeniert sich Serbien als der Musterknabe der Beitrittskandidaten. Der einstige Nationalist Vučić äußert sich jetzt positiv über die Organisationen der Zivilgesellschaft. Er führt das Wachstum auf seine Wirtschaftsreformen zurück. Er will auf eigene Rechnung eine Autobahn ins Kosovo bauen und kurz vor der Westbalkankonferenz akzeptiert er sogar, dass er keinen politischen Zugriff mehr auf die serbisch bevölkerten Landstriche im Norden des Kosovos hat.

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Vučićs neuester Coup: Er will der EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise helfen. Anstatt als Herkunftsland von Migranten soll Serbien, durch das einige der wichtigsten Fluchtrouten verlaufen, als Gastgeber wahrgenommen werden. Vučić lässt nach eigener Aussage derzeit drei neue Erstaufnahmelager bauen. Flüchtlinge würden in seinem Land besser aufgenommen als in vielen EU-Staaten. Um die Serben von der Ausreise abzuhalten, solle Deutschland die Geldzahlungen an Asylbewerber senken, empfiehlt er.

Die Entwicklung der Region scheint voranzugehen. Bei einer Podiumsdiskussion in Wien scherzt Vučić mit dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama. Der sagt: "Vor einem Jahr in Berlin wäre es noch undenkbar gewesen, dass wir hier so zusammensitzen." Lange Zeit habe es kaum Fortschritte in der Region gegeben, nun sei innerhalb eines Jahres so viel passiert.

Vučić schürt Nationalismus

Sind nach Slowenien und Kroatien also auch die restlichen Staaten der Region auf EU-Kurs, sind die Hindernisse beiseite geräumt? Oft wirkt es so. "Wir werden fair sein", versprach Angela Merkel ihrem serbischen Kollegen in Wien. Doch das Bild einer heilen Welt hat aus der Nähe betrachtet einige Fehler. In Albanien werden Frauen massiv unterdrückt. Im Kosovo lassen sich die internationalen Hilfsmissionen in den Korruptionssumpf ziehen. Einige Staaten sind sich unsicher, ob nicht Russland der bessere Partner wäre. Und dann ist da noch Bosnien-Herzegowina.

Während Vučić bei der Podiumsdiskussion seine eigene Politik preist, schnappt Meliha Bajramović, sie sitzt ihm gegenüber, nach Luft. Antworten kann die bosnische Muslima nicht mehr, die Zeit ist zu knapp. Doch nach der Diskussion nimmt sie sich etwas Zeit. Der Ministerpräsident lasse Kriegsverbrecher frei herumlaufen, die sich in den 1990er Jahren an den bosnischen Muslimen vergangen hätten. Viele der Serben, die in Bosnien leben, würden gerne ein Teil des serbischen Staates werden. Vučić lässt sie in der Hoffnung, dass es eines Tages so weit sein könnte – und provoziert damit Unruhen in seinem Nachbarland. Darauf angesprochen sagt Vučić nur, er sorge für gute Investitionsbedingungen in seinem Land. Gesellschaftliche Fragen interessieren ihn nicht.

Bosnien hat ein so kompliziertes demokratisches System wie wahrscheinlich kein anderer Staat. Erdacht, um jeder Bevölkerungsgruppe eine Vertretung zuzugestehen, blockiert sich die Politik seit Jahren nur noch selbst und schürt den Nationalismus unter den Gruppen, die sich in den 1990er Jahren noch einen Bürgerkrieg inklusive Völkermord lieferten. Das Land steuere auf einen neuen Bürgerkrieg zu, meint die Bajramović. Und Serbien heize die Entwicklung an.

Quelle: ntv.de

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