"Bild" vs. Wulff So fing alles an
05.01.2012, 15:45 Uhr
Zunächst hielt sich die "Bild" in der Affäre Wulff noch auffallend zurück. Das Boulevardblatt hat den Frieden nun aber aufgekündigt.
(Foto: dapd)
Bundespräsident Wulff schafft die Trendwende einfach nicht. Seit Bekanntwerden seines umstrittenen Privatkredits des Unternehmers Geerkens, kommen fast täglich neue Enthüllungen heraus. Der Kampf um sein Ansehen wird nun zu einem Kräftemessen mit der mächtigen Boulevardpresse.
Die Affäre um den Privatkredit für den heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff nimmt im Februar 2010 ihren Anfang. Im niedersächsischen Landtag wird der damalige CDU-Ministerpräsident zu geschäftlichen Beziehungen zu dem Osnabrücker Unternehmer Egon Geerkens befragt. Wulff verneint die Anfrage damals - eine Aussage, die ihn im Dezember 2011 einholt.
Am Vorabend des 13. Dezember berichtet die "Bild"-Zeitung erstmals über den Verdacht, dass Wulff damals den Landtag getäuscht haben könnte. Das Blatt hatte recherchiert, Christian und Bettina Wulff hätten sich mit einem privaten Kreditvertrag über 500.000 Euro von Geerkens Ehefrau Edith ein Eigenheim finanziert. Der Bundespräsident erklärt lapidar über seinen Sprecher Olaf Glaeseker, die Anfrage im Februar 2010 sei damals "korrekt beantwortet" worden. Sie habe sich ausdrücklich auf geschäftliche Beziehungen bezogen, der Kredit basiere jedoch auf einer privaten Vereinbarung mit dessen Frau.
Geerkens reiste mit Wulff durch die Welt
Der nüchternen Reaktion sind - wie später herauskommt - hitzige Telefonate vorausgegangen. Am 12. Dezember scheint Christian Wulff versucht zu haben, Einfluss auf die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung zu nehmen. Von einer Reise durch mehrere Golfstaaten rief Wulff den Chefredakteur des Blattes, Kai Diekmann, an, erreichte jedoch nur dessen Mailbox. Dort hinterließ er eine längere Nachricht, die er kurz darauf offenbar bereute.

Das Eigenheim wird für Bundespräsident Christian Wulff womöglich zum Stolperstein. Der Ex-Ministerpräsident Niedersachsens taumelt zumindest gewaltig angesichts der Vorwürfe.
(Foto: picture alliance / dpa)
Laut "Bild"-Zeitung entschuldigte er sich zwei Tage nach dem Bericht in einem Telefonat "für Ton und Inhalt" seines Anrufs. Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge drohte Wulff in seiner ersten Nachricht einen "endgültigen Bruch" mit dem Springer-Verlag. Der "Rubikon sei überschritten". Angeblich soll Wulff auch bei Verlagschef Mathias Döpfner und Mehrheitseignerin Friede Springer angerufen haben.
Doch alles vergebens, die Geschichte ist in der Welt. Und weitere Details kommen ans Licht. Am 14. Dezember wird bekannt, dass Wulff Geerkens Hilfe auch bei der Ablösung des Privatkredits durch ein Darlehen bei der BW-Bank in Anspruch genommen haben soll. Zudem soll Egon Geerkens 2008 und 2009 insgesamt dreimal einer Wirtschaftsdelegation Wulffs angehört haben.
Unternehmer heizt Affäre an
Wulff erklärt am Tag darauf schriftlich, er bedauere, dass "hier ein falscher Eindruck entstehen konnte". Und weiter: "Es wäre besser gewesen, wenn ich auf die Anfrage der niedersächsischen Abgeordneten im Landtag über die konkreten Fragen hinaus auch diesen privaten Vertrag mit Frau Geerkens erwähnt hätte, denn in der Sache hatte und habe ich nichts zu verbergen." Wulff gibt zugleich an, ein erstes Darlehen bei der BW-Bank, mit dem der Geerkens-Kredit abgelöst wurde, "inzwischen" in ein langfristiges Bankdarlehen "festgeschrieben" zu haben. Später werden die Vokabeln "inzwischen" und "festgeschrieben" noch eine Rolle spielen.
Am 16. Dezember überrascht Geerkens damit, dass er seinem Freund in den Rücken fällt. Er trifft sich ein paar Mal mit dem "Spiegel" und plaudert über das Darlehen an Wulff. Dabei sagt er offen, dass er es war, der "mit Wulff verhandelt" hatte. Ihm sei wichtig gewesen, dass sein Name und der von Wulff nicht öffentlich auftauchten.
Urlaub mit Maschmeyer auf Mallorca
Noch am selben Tag bekräftigt Wulffs Anwalt, der Vertrag über das Darlehen in Höhe von 500.000 Euro sei mit Edith Geerkens geschlossen worden. Kurioserweise veröffentlichen Geerkens Anwälte ebenfalls eine Erklärung, in der es heißt, "entgegen anderslautender Meldungen wurde das Privatdarlehen an die Eheleute Wulff durch Frau Edith Geerkens gewährt".
Als Reaktion auf eine Anfrage der niedersächsischen SPD-Fraktion veröffentlichen Wulffs Anwälte am 18. Dezember eine Liste mit Urlauben von Wulff. Danach hatte der CDU-Politiker seit seiner Wahl zum niedersächsischen Ministerpräsidenten 2003 sechs Mal seinen Urlaub bei befreundeten Unternehmern verbracht. Nicht auf der Liste, weil schon bekannt, ist ein Urlaub nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten in der Villa des AWD-Gründers Carsten Maschmeyer auf Mallorca.
Egon Geerkens nur bei Aushandlung dabei
Am Abend des 19. Dezember enthüllt wiederum die "Bild"-Zeitung, dass Maschmeyer die Werbung für ein Interviewbuch bezahlt hat, das 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf erschien. Wulff lässt seinen Anwalt erklären, ihm sei von den Zahlungen nichts bekannt gewesen.
Zwei Tage später sagt Wulffs Anwalt der "Welt", der 500.000-Euro-Kredit sei zwischen Wulff und den Eheleuten Geerkens ausgehandelt worden: "Die Modalitäten wurden gemeinsam besprochen, das Darlehen von Frau Edith Geerkens gewährt".
Am 22. Dezember folgt dann der vermeintliche Befreiungsschlag. Christian Wulff setzt seinen langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker vor die Tür, wohl um zu symbolisieren, für die bisherige Salami-Taktik sei der Kommunikationsfachmann verantwortlich gewesen. Dass jetzt alles offener und direkter wird, soll eine persönlich vorgetragene Erklärung beweisen. Darin entschuldigt sich Wulff und bittet die Bürger um Vertrauen. Zugleich betont er, sein Amt auch in Zukunft "gewissenhaft ausüben" zu wollen. Etwa zeitgleich wird bekannt, dass auch der Kredit bei der BW-Bank, mit dem der Geerkens-Kredit abgelöst wurde, besonders günstige Konditionen beinhaltete - ein Umstand, den Wulff in seiner Erklärung verschweigt.
Porsche-VW-Deal half BW-Bank aus der Patsche
Nach den Weihnachtsfeiertagen werden die Kreditkonditionen der BW-Bank erneut Gegenstand der Medienberichterstattung. Aus dem Aufsichtsrat der Stuttgarter BW-Bank kommen Forderungen nach einer Überprüfung des Darlehens für Wulff. Das Geldhaus zögert zunächst. Am Tag vor Silvester teilt die Bank dann mit, der Vertrag, mit dem ein erster Kredit in ein zinsgünstigeres Darlehen umgewandelt wurde, sei am 12. Dezember 2011 an Wulff von der BW-Bank unterschrieben versandt worden - einen Tag vor Bekanntwerden der Kreditaffäre.
Erst einen Tag vor seiner öffentlichen Erklärung zu der Affäre habe Wulff den Vertrag unterzeichnet und zurückgeschickt. Wulff wird sich später im Interview mit ARD und ZDF rechtfertigen: "Wenn Sie am 25. November sich geeinigt haben und die Bank das eingebucht hat, sich dafür abgesichert hat, dann ist der Vertrag geschlossen. Am 25.11.! Dass der dann noch sozusagen vertraglich unterschrieben wird, die Bank mir das zuschickt, ich das zurückschicke, ist eine Durchführung, die aber gar nicht notwendig ist, weil ein mündlicher Vertragsschluss reichen würde. Es gilt auch Handschlagqualität in diesem Bereich, wenn man sich mit einer Bank verständigt."
Das Verhältnis zwischen Christian Wulff und der BW-Bank ist delikat: Laut einem "Spiegel"-Bericht vom 31. Dezember soll Wulff als Ministerpräsident im Jahr 2009 maßgeblich am Zustandekommen einer Grundlagenvereinbarung zwischen Porsche und Volkswagen beteiligt gewesen sein. Porsche entlastete das damals von massiven finanziellen Problemen - und damit auch die BW-Bank, die einer der großen Geldgeber des Sportwagenherstellers war. Vier Monate später wandte sich Wulff dann wegen der Umwandlung des Privatkredits von Geerkens an die BW-Bank. Wulff, der damals als Ministerpräsident im VW-Aufsichtsrat saß, bestreitet eine "Interessenkollision". Zur Rechtfertigung fügt er an, die Bank habe sich an ihn gewandt, nicht er sich an sie. Zudem sei in den Deal zwischen VW und Porsche die LBBW involviert gewesen und nicht die BW-Bank. Die BW-Bank ist Teil der baden-württembergischen Landesbank.
Ist der Präsident ein Rüpel?
Im neuen Jahr werden dann die bereits erwähnten Versuche Wulffs bekannt, Einfluss auf die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung zu nehmen. Das Boulevardblatt enthält sich dabei zunächst: Veröffentlicht werden Teile des erwähnten Anrufs am 2. Januar von der "Süddeutschen Zeitung". Das Vorgehen des Präsidenten löst Empörung unter Journalisten aus. Wie kann ein Politiker, der sich schon bei vielen Gelegenheiten auf die Seite der Presse- und Meinungsfreiheit geschlagen hat, so vorgehen?
Der Druck auf den Niedersachsen wächst. Auch Politiker aus den eigenen Reihen fordern von Wulff, zu den neuen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Am 4. Januar, dem Tag, an dem Wulff nach dem Neujahrsurlaub seine Amtsgeschäfte wieder aufnimmt, ist es dann soweit. In einem gemeinsamen Interview von ARD und ZDF stellt sich der Präsident den Fragen. Es soll der zweite Befreiungsschlag sein - und er verfehlt seine Wirkung.
"Bild" zündet nächste Eskalationsstufe
In dem Gespräch stellt Wulff klar: Er werde das Amt des Bundespräsidenten nicht aufgeben. Zwar habe er nicht alles richtig gemacht, juristisch sei jedoch stets alles einwandfrei gewesen. Er bezeichnet seinen Anruf bei Kai Diekmann als einen "schweren Fehler". Mit den Worten "Man ist Mensch und man macht Fehler" bittet Wulff um Verständnis. Gegenüber der bisherigen Darstellung betont der Präsident, er habe mitnichten die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung stoppen wollen. Es sei ihm lediglich darum gegangen, einen Tag Aufschub zu bekommen, bis er von seiner Auslandreise zurückgekehrt sei.
Auch für seinen Urlaubsreisen mit Industriellen rechtfertigt sich Wulff. Es habe sich in allen Fällen um Freunde gehandelt, die er noch aus Schulzeiten habe. "Wenn man als Ministerpräsident keine Freunde mehr haben darf und wenn alle Politikerinnen und Politiker in Deutschland ab sofort nicht mehr bei Freunden übernachten dürfen, sondern, wenn Sie bei den Freunden im Gästezimmer übernachten, nach einer Rechnung verlangen müssen, dann verändert sich die Republik zum Negativen", polemisiert Wulff.
Damit sollte die Krise ausgestanden sein. Wulff versucht, bei den Menschen um Verständnis zu bitten, im Amt zu bleiben und Gras über die Sache wachsen zu lassen. Doch am 5. Januar folgt die nächste Eskalationsstufe: Die "Bild"-Zeitumg bittet Wulff, "im Sinne der von Ihnen angesprochenen Transparenz" um seine Zustimmung, den Wortlaut der Mailbox-Nachricht zu veröffentlichen. Den Brief an Wulff zeigt das Boulevardblatt vollständig im Internet - eine Vorführung des Bundespräsidenten. Öffentlich antwortet Wulff: "Die in einer außergewöhnlich emotionalen Situation gesprochenen Worte waren ausschließlich für Sie und für sonst niemanden bestimmt."
Quelle: ntv.de, hvo/jog/AFP/rts