Politik

Union und SPD quälen sich durch Koalitionsgespräche So weit auseinander wie Landshut und Lagos

Gabriel und Seehofer: Ob sie sich jemals duzen, ist fraglich.

Gabriel und Seehofer: Ob sie sich jemals duzen, ist fraglich.

(Foto: REUTERS)

Seit zwei Wochen verhandeln Union und Sozialdemokraten. Kompromisse bei wirklich strittigen Themen gibt es nicht. Denn die Angst vor Zugeständnissen ist größer denn je. Die Bundesrepublik muss sich auf die längsten Koalitionsgespräche in ihrer Geschichte einstellen.

Horst Seehofer baut sich vor der Bayerischen Landesvertretung auf, seinem Außenposten in der Hauptstadt. In der Ferne kann der 1,94 Meter große CSU-Chef den Tross der SPD erspähen. "Wann sagen Sie Du zu Herrn Gabriel?", fragt ein Journalist. Seehofer wiegt seinen Kopf hin und her. "Alles ergebnisorientiert", sagt er.

Der Gastgeber setzt ein Lächeln auf und wartet weiter auf den SPD-Parteichef, um ihn zur dritten großen Runde der Koalitionsverhandlungen zu empfangen. Er muss lange dastehen und lächeln. Sigmar Gabriel bleibt bei einem Pulk Demonstranten stehen. Sie fordern einen beherzteren Einsatz gegen "extreme Armut in Afrika". Mitglieder der Gruppe berichten später, dass sich der Sozialdemokrat für ihr Kommen bedankt habe. Dass er versichert habe, das Ziel, eine Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich in die Entwicklungshilfe zu stecken, mit in die Verhandlungen zu tragen. Erst Afrika, dann der Bayer. Seehofer und Gabriel bleiben beim Sie.

Es ist ein selten ehrlicher Moment in diesen Koalitionsverhandlungen. Union und SPD kommen sich scheinbar immer näher. Sie handeln einen Kompromiss nach dem anderen aus. Der Umgang der Möchtegern-Koalitionäre wirkt im Vergleich zu Wahlkampfzeiten fast schon freundschaftlich. Tatsächlich liegen sie aber noch so weit auseinander wie Landshut und Lagos. Und dass sich Seehofer und Gabriel jemals duzen, ist mehr als fraglich.

Nach zwei Wochen der Verhandlungen konnten die Parteien noch keinen wirklich entscheidenden Konflikt beilegen. Die Koalitionsgespräche drohen, sich zu den längsten in der Geschichte der Bundesrepublik zu entwickeln. Der Rekord aus dem Jahr 1976 liegt bei 50 Tagen. Daran kratzen sie schon, wenn sie den Koalitionsvertrag wie geplant kurz vor dem Weihnachtsfest unterschreiben. Wahrscheinlicher erscheint dieser Tage aber, dass sie diesen Rahmen sprengen.

Eine lange Liste mit wenig Gehalt

Die Liste der erzielten Kompromisse wirkt zunächst einmal lang:

  • Europa: Union und Sozialdemokraten wollen "unerwünschte Formen von Finanzgeschäften" eindämmen. Sie haben sich auf eine Finanztransaktionssteuer geeinigt. Und sie wollen verhindern, dass Brüssel die Privatisierung von Wasserbetrieben in Deutschland regelt.
  • Arbeit: CDU/CSU und SPD wollen das sogenannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz erweitern. Bisher legt die Politik fest, welche Branchen Mindestlöhne festlegen dürfen. Jetzt wollen die Parteien diese Möglichkeit allen Branchen gewähren. Praktika müssen künftig vergütet werden, wenn sie nicht Teil von Schule, Ausbildung oder Studium sind.
  • Verbraucherschutz: Ziel ist ein gestärktes Verbraucherschutzministerium und erstmals ein Bundesbeauftragter für Verbraucherschutz.
  • Renten: Die Verhandlungspartner wollen verhindern, dass die Beitragssätze zum Jahresende automatisch sinken.
  • Internet: Zusätzliches Geld soll in den Ausbau des Breitbandinternets fließen. Bis 2018 soll es überall in Deutschland möglich sein, mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu surfen.
  • Wirtschaft: Union und SPD wollen Deutschland als starken Industriestandort erhalten.
  • Wohnen: Eine Mietpreisbremse soll steigende Kosten und den Trend zur Gentrifizierung eindämmen. Einen Makler soll künftig nicht grundsätzlich der Mieter bezahlen, sondern die Partei, die ihn beauftragt hat.
  • Außen- und Sicherheitspolitik: Rüstungskontrollen sollen verbessert und eine bessere parlamentarische Kontrolle ermöglicht werden.
  • Gleichberechtigung: Geplant ist eine gesetzliche Quote für Frauen in Führungspositionen.

So lang die Liste auch sein mag (es gibt noch weitere Punkte), oft steckt hinter den Stichworten noch kaum ein Detail. Und Details sind entscheidend, um zu verhindern, dass ein Koalitionspartner den anderen in der gemeinsamen Regierung austrickst. Ob es sich etwa bei der Frauenquote um eine echte Quote oder eine Flexi-Quote nach dem Vorschlag der früheren Familienministerin Kristina Schröder handelt, ist noch nicht geklärt. Zudem stehen die Kompromisse unter "Finanzierungsvorbehalt". Noch wichtiger als jene Details ist aber: Bei den Themen, bei denen die Parteien wirklich etwas zu verlieren haben, zeichnet sich noch überhaupt keine Einigung ab.

Keine Regierung ohne Maut

Die CSU versteift sich auf die PKW-Maut. Sie war das Wahlkampfthema der Christsozialen schlechthin und das will sich Seehofer nicht nehmen lassen. Ohne PKW-Maut kein Koalitionsvertrag, so das Motto seiner Truppe.

Bei der SPD ist es der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Die Reform des Entsendegesetzes dürfte kaum reichen, um die Mitglieder, die Mitte Dezember über die Verhandlungsergebnisse abstimmen sollen, zufrieden zu stellen. Und so heißt es von SPD-Chef Gabriel: "Wir dürfen nie wieder einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, mit dem die SPD ihren programmatischen Kern infrage stellt." Ohne Mindestlohn kein Koalitionsvertrag.

Beim Thema Steuern beharrt die SPD zwar nicht auf die versprochenen Erhöhungen, stellt aber die Bedingung, dass die Union bei einem Verzicht Wege aufzeigen müsse, wie sich Investitionen in Bildung und Infrastruktur trotzdem finanzieren lassen. Dass CDU und CSU dafür ein Konzept fehlt, ist den Genossen natürlich klar.

Abstürze von SPD und FDP mahnen

Dass es nicht wirklich voran geht, liegt nicht nur daran, dass in den großen Runden fast 80 Unterhändler am Tisch sitzen. Eine uneffektive Teilnehmerzahl, um schnell zu Ergebnissen zu kommen. Es liegt auch nicht nur daran, dass mit Charakteren wie Seehofer oder Gabriel Persönlichkeiten mitreden, die von ihren Versprechungen aus Wahlkampfzeiten ohne Gesichtsverlust kaum noch abrücken können. Der entscheidende Punkt ist: Den Parteien ist 2013 mehr denn je bewusst, was für sie auf dem Spiel steht. Die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass ein Koalitionsvertrag nicht einfach nur ein beliebiger Stoß Papier ist, den man später ignorieren kann.

Der Absturz der SPD nach der ersten Großen Koalition auf 23 Prozent lässt sich zumindest zum Teil auf die Koalitionsverhandlungen mit der Union 2005 zurückführen. Mit dem Versprechen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen, zog die Partei noch in den Wahlkampf. In den Koalitionsverhandlungen ließ sie sich dann den Anstieg von 16 auf 19 Prozent abtrotzen. Das kostete Glaubwürdigkeit. Und genauso mahnt das Beispiel der FDP. Ihr Schicksal ist eng damit verbunden, dass sie großzügige Steuerreformen versprach und außer einer Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers nichts umsetzen konnte.

"Es ist nichts verhandelt, bis alles verhandelt ist"

Nach der dritten großen Runde der Koalitionsverhandlungen treten wie gewohnt die Generalsekretäre auf und präsentieren die Ergebnisse. Minutenlang referieren sie über Gemeinsamkeiten beim Blick auf die Rolle Deutschlands in Europa und das Ziel, die Wirtschaft zu stärken.

Ins Stocken gerät ihr Vortrag bei der Frage, ob sie denn schon ein wirklich strittiges Thema ausverhandelt hätten. Die Generalsekretäre von CDU und SPD, Hermann Gröhe und Andrea Nahles, bleiben stumm. Nach kurzem Zögern stottert der CSU-Mann Alexander Dobrindt los. "Wenn kein anderer will", sagt er, schnell gefolgt von dem Satz: "Es ist nichts verhandelt, bis alles verhandelt ist." Und überhaupt: Wer glaube, man könne schon jetzt Einigungen bei kritischen Fragen erwarten, sei zu früh dran. Nahles nickt, Gröhe stimmt zu. Alle drei verschwinden. Deutschland bleibt wohl noch Wochen ohne eine echte Regierung.

Quelle: ntv.de

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