Politik

Im Taxi mit Brano Sondervorstellung: "Zirkus Europa"

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(Foto: imago/Xinhua)

In der slowakischen Hauptstadt sucht die EU nach einer neuen Linie ohne die Briten. Die Worte sind blumig. Die Interessen unterschiedlich. Trotzdem soll alles besser werden.

Auf der Brücke "Most SNP" staut sich der Verkehr. Vorn steht ein VW-Bus quer, mit blinkendem Rotlicht. Seit einer halben Stunde ist die wichtigste Verbindung der slowakischen Hauptstadt Bratislava gesperrt, genau wie die anderen drei Brücken über die Donau. Und zwar nur, weil Angela Merkel und ihre 26 Kolleginnen und Kollegen als Staats- und Regierungschefs eine Stunde auf einem Dampfer unter deutscher Flagge das Flusspanorama genießen wollen.

Europa wollte auf diesem Gipfel wieder näher an die Bürger rücken. Meinem Taxifahrer Brano ist das aber ein bisschen zu nahe. "Was für ein Zirkus", sagt er in diesem eigentümlichen Singsang zwischen Tschechisch und Österreichisch, den die Menschen hier sprechen im Dreiländereck. Brano wird an diesem Tag jede Menge Umsatz verlieren – und er verliert immer mehr auch den Glauben an dieses Europa.

Seitdem die Slowakei im Euro ist, sind die Preise gestiegen, die Löhne aber nicht. Der Nachbar im Norden, Tschechien nämlich, hat die alte Krone behalten. Die Menschen dort zahlen weniger für ihr Bier und verdienen umgerechnet das gleiche wie die Slowaken. Hinzu kommt die hohe Arbeitslosigkeit in der Slowakei. Und dann noch diese deutsche Kanzlerin, die die Flüchtlinge hereinholt. "Was für ein Zirkus."

Geben ja - aber nichts verlangen

Die EU-Subventionen, die uns ein wenig später über sehr gut ausgebaute Autobahnen in Richtung Flughafen Wien rasen lassen, lobt Brano nicht. Längst sind die selbstverständlich für die Slowaken, genau wie für die Polen, die Tschechen, die Ungarn. Europa kann gerne reichlich geben, nur verlangen darf es nichts.

Diese Rosinenpickerei haben die Briten lange genug praktiziert, nur geholfen hat es nichts. Jetzt sind sie raus - aus der EU, die sie so lange hassgeliebt haben. Und Resteuropa sucht sich selbst. Jeder auf seinem Wege: Orban aus Ungarn will mehr Nationalstaat und höhere Zäune, Hollande aus Frankreich will eine gemeinsame Armee und bloß nicht über die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr nachdenken und Martin Schulz will unbeirrt mehr Europa und möglichst mehr Amtszeit als Parlamentspräsident.

Die Wahrheit hinter den Floskeln

Was bleibt nach diesem Wohlfühl-Gipfel von Bratislava? in Mintgrün beschwört die Kanzlerin, dass der "Geist von Bratislava" der "Geist der Zusammenarbeit" gewesen sei. Und sie wünscht sich eine "Werkstatt der Zukunft". Was klingt wie eine Reihung blumiger Floskeln ist in Wahrheit viel mehr: Merkel hat wie keine Zweite verstanden, was Europa tun muss in dieser globalisierten Welt. Nämlich eine Antwort geben für das bessere Leben. Dafür, dass niemand mehr über langsames Internet meckert. Dafür, dass Startups in Europa wieder führend werden können. Dafür, dass die Lebensverhältnisse in Europa angeglichen werden müssen zwischen Lissabon und Nikosia. Und nicht zuletzt dafür, dass der elende Nationalismus der Vergangenheit angehört, weil die Europäer sind sicher fühlen können, mit Flüchtlingen in ihrer Mitte.

Die Kanzlerin hat einen Plan. Einen langfristigen. Doch sie kämpft für diesen Plan ziemlich alleine. Gegen alle die, die auf kurzfristige Stimmen schielen. Gegen Populisten. Gegen Lame Ducks wie den unglücklichen Hollande. Und nicht zuletzt kämpft sie für ihr eigenes Erbe, das sie nicht von Horst Seehofer beschmutzt sehen möchte.

Für mich setzt den Schlusspunkt an diesem Tage aber nicht die Kanzlerin, sondern Taxifahrer Brano, als er mich am Wiener Flughafen umarmt. "Eigentlich geht’s uns doch allen gut", sagt er. Und beschreibt damit, dass Europa wahrscheinlich derzeit mehr Probleme zu haben glaubt, als da tatsächlich sind. Dran arbeiten, dass es besser wird, sollten Merkel & Co allemal. Bratislava kann dafür ein Anfang gewesen sein.

Quelle: ntv.de

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