1000. Bundesratssitzung Steinmeier sieht Staat auf dem Prüfstand
12.02.2021, 10:35 Uhr
(Foto: imago images/photothek)
Hoher Besuch zum Jubiläum: Als erst zweiter Bundespräsident spricht Steinmeier in der Länderkammer. Neben der Würdigung anlässlich einer historischen Sitzung, mahnt das Staatsoberhaupt die politischen Akteure aber auch eindringlich.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht in der aktuellen Pandemie den die Leistungsfähigkeit des Staates besonders auf dem Prüfstand gestellt. Vor diesem Hintergrund ruft er Bund und Ländern zu mehr Miteinander in der Corona-Krise auf. Zwar sei in einer Lage wie der jetzigen Streit unvermeidbar, sagte er in der 1000. Sitzung des Bundesrates. "Aber der Kampf gegen die Pandemie darf nicht zum Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den staatlichen Ebenen werden."
"Unser Feind sitzt nicht in Staatskanzleien oder Pharmakonzernen, nicht in Brüssel oder Berlin", sagte der Bundespräsident. "Unser Feind ist das vermaledeite Virus." Gerade in Krisenzeiten, in denen 16 Länder mit 16 Corona-Verordnungen auf die Herausforderung der Epidemie antworteten, befinde sich der deutsche Föderalismus unter verschärfter Beobachtung. "In Krisenzeiten steht die Leistungsfähigkeit des Staates besonders auf dem Prüfstand."
"Verfassungspraktischer Alleskönner"
Die Geduld der Menschen werde in der Corona-Krise "auf eine nie dagewesene Probe gestellt", betonte Steinmeier. Wenn ein Drittel der Bevölkerung noch härtere Beschränkungen wolle, ein Fünftel sich aber schon jetzt überfordert fühle und der Zuspruch für die aktuelle Politik in beide Richtungen verloren gehe, "stehen politisch Verantwortliche vor einer schwierigen Aufgabe - im Bund und in den Ländern".
Steinmeier lobte in seiner Ansprache die Arbeit des Bundesrates, der im September 1949 zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen war. "Föderalismus bedeutet vor allem Machtbegrenzung", sagte der Bundespräsident. Dass die Länder bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes mitreden, bedeute, "dass kaum etwas völlig autonom und vieles nur im gegenseitigen Einvernehmen entschieden wird". Es könne "niemand rücksichtslos durchregieren", auch wenn Kompromisse oft langwierig und mühsam seien.
Die Länderkammer sei nicht das "Relikt überkommener Fürstensouveränität", sagte Steinmeier weiter. "Er steht für den Parlamentarismus und die Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes, für Demokratie, Freiheit und die Würde des Menschen." Das Staatsoberhaupt lobte den Bundesrat zudem als "verfassungspraktischen Alleskönner". Der Bundesrat verzahne Bund und Länder, Exekutive und Legislative, Politik und Verwaltung, Parteien und Koalitionen.
Anders als der Bundestag kennt der Bundesrat keine Legislaturperioden, die Sitzungen werden daher seit der ersten Zusammenkunft vom 7. September 1949 durchnummeriert. Wegen einer Reihe von Sondersitzungen zur Corona-Krise findet die 1000. Sitzung früher statt als ursprünglich geplant. Steinmeier ist nach seinem Vorgänger Joachim Gauck der zweite Bundespräsident, der vor der Länderkammer sprach.
Wichtig - aber etwas im Schatten
Die erste Sitzung hatte 1949 genau 41 Minuten gedauert - und markierte zusammen mit der konstituierenden Sitzung des Bundestags nur wenige Stunden später endgültig den politischen Neuanfang in West-Deutschland nach Nazi-Diktatur und Zweitem Weltkrieg. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten der föderalen Ordnung mit dem Bundesrat gewissermaßen eine institutionelle Form gegeben und diese mit vergleichsweise weitreichenden Befugnissen ausgestattet. "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit", heißt es in Artikel 50 des Grundgesetzes.
In der Praxis erfolgt die Einflussnahme auf die Gesetzgebung vor allem bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, die der Bundesrat durch ein Nein scheitern lassen kann. Was zustimmungspflichtig ist, regelt ebenfalls das Grundgesetz. Das Grundgesetz weist dem Bundesrat aber auch ein Initiativrecht in der Gesetzgebung zu. Er wählt zudem die Hälfte der Richter am Bundesverfassungsgericht. Sein Präsident übernimmt die Befugnisse des Bundespräsidenten, wenn dieser - etwa im Urlaub - verhindert ist oder das Amt beispielsweise durch einen Rücktritt vorzeitig vakant wird.
Trotz seiner Bedeutung im Gefüge der parlamentarischen Demokratie steht der Bundesrat in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten von Bundesregierung und Bundestag. Das mag am vergleichsweise seltenen Zusammentreten elf Mal im Jahr liegen. Es liegt aber auch daran, dass hier über Politik in der Regel weit weniger konfliktreich beraten wird als im Bundestag. Zumeist werden Konflikte nicht auf offener Bühne ausgetragen, sondern hinter den verschlossenen Türen des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP/dpa