Politik

8,50 Euro für alle? "Studenten brauchen keinen Mindestlohn"

Studenten der Technischen Universität München

Studenten der Technischen Universität München

(Foto: picture alliance / dpa)

Bundestagsjuristen halten Ausnahmen beim Mindestlohn für verfassungswidrig. Der Arbeitsrechtler Volker Rieble sieht das anders. Eine Gehaltsuntergrenze für alle sei fatal. "Dann droht eine Vertreibungspeitsche", sagt Rieble im Interview mit n-tv.de.

n-tv.de: Juristen aus dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestags monieren, dass Ausnahmen beim Mindestlohn gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Was halten Sie davon?

Volker Rieble: Ich sehe das anders. Stellungnahmen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sind nicht der juristischen Weisheit letzter Schluss.

Professor Volker Rieble ist Jurist und geschäftsführender Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Professor Volker Rieble ist Jurist und geschäftsführender Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dürfte die Große Koalition bestimmte Arbeitnehmer vom Mindestlohn ausnehmen?

Das darf sie gewiss. Der Gleichheitssatz verlangt keine sture Gleichbehandlung. Der Mindestlohn hat den Zweck, die staatlichen Sozialkassen vor dem Bedürftigkeitszugriff von Niedriglöhnern zu bewahren. Man soll vom Arbeitgeber so viel bekommen, dass man nicht noch Aufstockungsbeiträge aus der Grundsicherung braucht.

Das Gutachten der Bundestagsjuristen kommt zu dem Ergebnis, auch Rentner und Studenten seien ausnahmslos Arbeitnehmer.

Studenten und Rentner sind nicht auf Sozialhilfe angewiesen und brauchen deshalb keinen Mindestlohn. Studenten bekommen Bafög und leben auch nicht davon, dass sie arbeiten. Durch einen Nebenjob runden sie ihren schmalen Bafög-Satz nur ein bisschen auf. Rentner sind durch ihre Rente gesichert und stocken diese durch die zusätzliche Arbeit auf. Wenn man von diesem Zweck ausgeht, ist es also nicht verfassungswidrig, sie vom Mindestlohn auszunehmen.

Erwarten Sie eine Klagewelle für den Fall, dass bestimmte Gruppen vom Mindestlohn ausgeschlossen werden?

Das weiß man nicht. Natürlich ist es denkbar, dass ein Rentner irgendwo für acht Euro zum Zeitungaustragen anheuert und später die Differenz einklagt, weil er behauptet, er sei durch die Ausnahme gleichheitswidrig benachteiligt worden. Wenn man halbwegs gescheite Ausschlusslisten in den Mindestlohn integriert, wird man nur die Lohndifferenz für die letzten drei Monate fordern können.

Der Job des Zeitungszustellers ist bei Rentnern außerordentlich beliebt.

Der Job des Zeitungszustellers ist bei Rentnern außerordentlich beliebt.

(Foto: imago stock&people)

Was hätte ein Mindestlohn ohne Ausnahmen für Folgen für den Arbeitsmarkt?

Bei einem sturen Mindestlohn ohne Ausnahmen droht gegenüber den weniger leistungsfähigen Arbeitnehmern eine Vertreibungspeitsche. Er könnte dazu führen, dass die etwas Älteren, die vielleicht auch langsamer arbeiten, vom Arbeitsmarkt verdrängt werden. Wenn man sich mal anschaut, wer heute Zeitungen austrägt, sieht man: Es gibt Schüler und Studenten, die ziehen ihren Zustellbezirk in eineinhalb bis zwei Stunden durch. Die Älteren brauchen eher drei bis vier Stunden. Wenn Sie als Arbeitgeber dann stur 8,50 Euro zahlen müssten, ist doch klar, wer seinen Job behält und wer nicht.

Was halten Sie von Ausnahmen für Auszubildende oder Praktikanten?

Bei diesen Gruppen geht es ja nicht um richtige Arbeitnehmer. Bei Volontären, Praktikanten und Azubis steht der Ausbildungszweck im Vordergrund und nicht der Leistungszweck. Der Mindestlohn sollte nur für Arbeitsverhältnisse gelten, in denen Arbeit gegen Geld getauscht wird. Wenn Leute Lust haben, die Ausbildungsvergütungen von Rechtswegen auf diese Höhen zu bringen, wird es manche Ausbildungen, etwa von Floristen, nicht mehr geben können.

Einer Studie zufolge verdienen auch viele Selbstständige weniger als 8,50 Euro. Wäre ein Mindestlohn in diesem Fall überhaupt praktikabel?

Selbstständige und arbeitnehmerähnliche Personen wie freie Mitarbeiter haben auch keinen Anspruch auf einen Mindestlohn. Ein Beispiel sind Taxifahrer. Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro müssten viele angestellte Taxifahrer selbstständig werden, weil der Taxiunternehmer sonst draufzahlen müsste. Die Preise kann er nicht erhöhen, weil sie staatlich vorgegeben sind, und seine Wirtschaftlichkeit kann er nicht steigern, weil er keine Fahrgäste herzaubern kann. Also bleibt ihm nur übrig, den Fahrern zu kündigen und ihnen anzubieten, das Taxi bei ihm zu mieten. Sonst müsste er die Zeit, in der ein Taxifahrer irgendwo steht und wartet, künftig mit dem Mindestlohn bezahlen.

Der Mindestlohn sorgt also für Verdrängung?

Wenn Leute aus der abhängigen Arbeit in die Selbstständigkeit geschoben werden und dann dort denselben Bedarf haben, erreicht der Mindestlohn nicht das Ziel, die öffentlichen Kassen zu schonen. Das ist der Preis, den man bezahlt.

Was für Risiken sehen Sie noch?

Durch Ausnahmetatbestände provoziert man Wanderungsbewegungen in die Ausnahme. Dadurch entsteht die Gefahr, dass sich Leute fürs Studium einschreiben, um als Billigarbeitnehmer arbeiten zu können. Da bezahlt der Arbeitgeber am besten noch die Einschreibgebühr. Dann müsste man erst einmal nachweisen, dass das Missbrauch durch Umgehung ist. Wenn Sie Preisbremsen machen, weichen einige Bereiche automatisch auf den Schwarzmarkt aus. Ob sich jemand in Herne dann noch 8,50 Euro für die Putzfrau leisten kann, ist doch die Frage. Notfalls sagt die Frau: "Dann machen wir's doch schwarz." Die Lust der Menschen, sich vom Staat gängeln zu lassen, ist eben begrenzt. Der Staat wird es nicht schaffen, neben jeden Schwarzarbeiter einen Polizisten zu stellen.

Mit Volker Rieble sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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