Politik

Das Trauma von "Charlie Hebdo" Tanzende Terroristen

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Das Attentat auf "Charlie Hebdo": Terroristen werden zu Tänzern - und dann wieder zu Terroristen.

(Foto: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015)

Was machen Menschen durch, die einen Anschlag wie in Paris überlebt haben? Der Zeichner Luz weiß es - er kam beim Angriff auf "Charlie Hebdo" nur knapp mit dem Leben davon. In einem Buch verarbeitet er das traumatische Erlebnis.

Es ist sein Geburtstag, der 7. Januar 2015. Luz hat verschlafen. Mit einer Stunde Verspätung macht er sich auf in die Redaktion des Magazins, für das er zeichnet: "Charlie Hebdo". Es ist der Tag, an dem Terroristen die Räume der Satirezeitung stürmen. Ein Großteil der Mitarbeiter wird bei dem Anschlag ermordet. "Es ist grauenhaft, es gibt Tote, Scheiße!!!", schreibt Luz seiner Freundin per SMS vom Ort des Geschehens - als er ankommt, sieht er noch, wie die schwer bewaffneten Mörder aus der Redaktion stürmen. Ihm selbst rettet seine Verspätung das Leben.

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"Er hat schon wieder Mohammed gezeichnet."

(Foto: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015)

In seinem Comic "Katharsis" zeichnet Luz seine Erinnerungen an den Tag des Anschlags und die Zeit danach auf. Es ist ein bedrückendes, beklemmendes Werk. Und doch lässt Luz, der das Magazin inzwischen verlassen hat, auch immer wieder jenen sarkastischen Humor aufblitzen, für den "Charlie Hebdo" bekannt ist.

Das Buch hat keine durchgehende Handlung. Es ist vielmehr eine Sammlung von Skizzen, gezeichneten Erinnerungen und Träumen sowie kurzen Comicsequenzen. Das wirkt in der Gesamtheit wie ein Tagebuch, das tief in die innere Verfassung des Zeichners blicken lässt. So beginnt das Buch mit der Befragung von Luz kurz nach dem Anschlag. Um sich zu beruhigen, zeichnet Luz dabei auf ein Blatt Papier: viele kleine Männchen mit riesengroßen Augen, denen der Schrecken ins Gesicht geschrieben steht.

Der "Kloß im Bauch"

Die Zeichnungen sind überwiegend in Schwarz-Weiß. Nur hier und da taucht auch Rot auf - das meist für Blut steht, das sich dann über die gesamte Seite ergießt. Sind das Träume, die Luz hier darstellt? Oder Vorstellungen, Ängste? Immer wieder setzt der 1972 geborene Zeichner Panikattacken oder psychische Zusammenbrüche visuell um - Szenen, in denen sein gezeichnetes Ich ins Chaos stürzt. Da unterhält er sich schon mal mit seinem "Kloß im Bauch": "Ich bin da, damit du nicht vergisst", sagt dieser. "Wenn ich in dein Herz klettere, bin ich deine Traurigkeit … wenn ich in deinen Kopf steige, bin ich deine Angst."

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Auch die ständige Bewachung durch Leibwächter ist für Luz eine Belastung.

(Foto: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015)

Mitunter sind die Zeichnungen krakelig, sehr reduziert ausgeführt. Nicht nur, weil es Karikaturen sind oder schnell hingeworfene Gedanken. Luz litt nach dem Anschlag auch unter einer Blockade. "Mir ist das Zeichnen abhanden gekommen", sagt er selbst. Und doch entstehen Bildfolgen, die treffender kaum sein können, mal bitterernst und erschreckend, immer wieder aber auch voll schwarzem Humor, Ironie und Sarkasmus.

In einem Eintrag verursacht Luz etwa einen Tintenklecks auf einem Blatt Papier. Dann tritt ein Moslem auf, der ihm vorwirft, den Propheten Mohammed gezeichnet zu haben - eine Anspielung auf die Karikaturen, mit denen "Charlie Hebdo" berühmt und zum Ziel des Hasses wurde. Absurde Situationen zeigt Luz immer wieder. Mal beschreibt er, wie er seinen Bodyguards, die ihn permanent begleiten, zu entkommen versucht. Mal führt er ein imaginäres Gespräch mit seinem ermordeten Kollegen Charb. Dann wieder rechnet Luz mit Verschwörungstheoretikern ab, die in der Tat ein jüdisches Komplott zu erkennen glauben.

Terroristen tanzen

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"Katharsis" ist bei Fischer erschienen, 128 Seiten im Hardcover, 16,99 Euro.

Besonders im Gedächtnis bleibt jedoch eine Folge von Bildern, in denen zwei abstrakt angedeutete Terroristen mit Kalaschnikows zu sehen sind, die sich plötzlich in Tänzer verwandeln. Das "tak tak tak" des Gewehrfeuers wird zum Takt, zu dem sich die zwei Figuren über das Papier drehen, bevor sie wieder zu Terroristen werden. Realität und Vorstellung verschwimmen ineinander - das ist ein roter Faden, der sich durch das Buch zieht.

Das persönliche Erlebnis des Anschlags wirft für Luz existenzielle Fragen auf. Es überdeckt und bestimmt seine Wahrnehmung. Was ist da noch real, was wird durch die traumatischen Erinnerungen verwischt? "Sie fehlt mir, unsere Leichtigkeit von vorher", sagt seine Freundin, die immer wieder im Buch auftaucht, an einer Stelle. "Ich habe Angst, mich gar nicht mehr an vorher erinnern zu können." Sie ist es, die Luz Halt gibt, ihn davor bewahrt, sich der Verzweiflung zu ergeben.

"Katharsis" zeigt aus einer sehr persönlichen Perspektive die psychischen Schrecken, die Terroranschläge auslösen - Schrecken, die nun in Paris Hunderte Menschen durchleben und mit denen weltweit Abertausende konfrontiert sind. Ausgerechnet der schwarze, sarkastische Humor, mit dem Luz seine Themen anpackt, ist da ein gelungener Kontrapunkt: Er lässt sich seinen Humor, seine Lebensart, seine Denkweise nicht verbieten.

"Katharsis" von Luz direkt bei Amazon bestellen oder bei iTunes kaufen.

"Charlie Hebdo" ist auch Thema der aktuellen Nummer 120 des Comicmagazins "Strapazin". Darin geht es um die Geschichte des Satiremagazins, die anhand vieler Karikaturen und Comics aus den 1960er-Jahren bis heute nachgezeichnet wird. Erhältlich im Comicfachhandel und unter strapazin.de.

Quelle: ntv.de

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