Klausel verschwunden Türkei-Hilfen schwerer kündbar als gedacht
22.07.2017, 01:09 Uhr
Recep Tayyip Erdogan.
(Foto: dpa)
Außenminister Sigmar Gabriel richtet scharfe Worte an Erdogan und erntet dafür viel Applaus. Doch der könnte nun verstummen. Denn offenbar kann das Geld für die Türkei nicht so einfach gestrichen werden. Damit könnte sich ein Druckmittel in Luft auflösen.
Die Bundesregierung will die Zahlung der sogenannten Vorbeitrittshilfen der EU für die Türkei stoppen. Allein für die Jahre 2014 bis 2020 sind bisher 4,45 Milliarden Euro vorgesehen. Dabei gibt es nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" aber neben der Tatsache, dass über die Hilfen nicht Berlin, sondern Brüssel entscheidet, auch ein rechtliches Problem.
Die Hilfen der EU für Beitrittskandidaten laufen seit 2007 unter dem Titel "Instrument for Pre-Accession Assistance (IPA)". Die Deutschen sprechen von Heranführungs- oder Vorbeitrittshilfen. Sie werden in Sieben-Jahres-Programmen vergeben. Für 2007 bis 2013 galt "IPA I". Von 2014 bis 2020 läuft "IPA II", allein in diesem Programm sind insgesamt 11,69 Milliarden Euro eingeplant, 4,45 Milliarden Euro davon für die Türkei.
Nun gibt es aber ein Problem. In der Verordnung für das erste Programm (IPA I) gab es noch eine Klausel zur Aussetzung der Heranführungshilfe. Nach dieser Klausel war die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen. Bei Nichteinhaltung konnte die EU sie aussetzen. Dies wäre die rechtliche Grundlage, um der Türkei jetzt das Geld zu streichen. Doch im derzeit laufenden Programm IPA II gibt es diese Klausel nicht mehr. In einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags heißt es deshalb: "In Ermangelung der Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe in dieser Verordnung" sei "eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert". Die EU kann die Hilfen also nur dann komplett aussetzen, wenn sie auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussetzt oder endgültig abbricht. Aber genau das will die Bundesregierung zumindest derzeit noch nicht. Ein Dilemma.
Wie konnte Klausel wegfallen?
Womit sich aber auch die Frage stellt, wie es zum Wegfall der Klausel kommen konnte. Der für Europa zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, sagte dazu im Bundestag lediglich: "Bei den Verhandlungen über die IPA‑II-Verordnung in den Jahren 2012 bis 2014 gab es in der Ratsarbeitsgruppe Erweiterung (COELA) unter den Mitgliedstaaten keine Mehrheit für die Einfügung einer Suspendierungsklausel." Das Auswärtige Amt konnte dem Blatt bis zum Redaktionsschluss Nachfragen dazu, welche Staaten sich in der Ratsarbeitsgruppe gegen die Klausel ausgesprochen haben und ob Deutschland zu ihnen gehört, nicht beantworten.
Vollkommen handlungsunfähig ist die EU aber nicht. Sie kann die Heranführungshilfe zwar ohne Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei nicht generell stoppen, wie es gerade so viele deutsche Politiker fordern. Sie kann aber - so das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste - mit "Einzelfallentscheidungen" Projekte "innerhalb der einzelnen Programme suspendieren". Bereits eingegangene vertragliche Verpflichtungen müssten aber eingehalten werden.
Die EU bemüht sich schon seit einiger Zeit, auf diesem mühsamen Weg die tatsächliche Hilfe klein zu halten. Regierungssprecher Steffen Seibert hat darauf verwiesen, dass von den im laufenden Programm vorgesehenen 4,45 Milliarden Euro für die Türkei deshalb erst "ein sehr geringer Teil" ausgezahlt worden sei. In dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages heißt es dazu, bisher seien "215,3 Millionen Euro vertraglich gebunden und 203,5 Millionen Euro ausgezahlt".
Quelle: ntv.de, kpi