Politik

Viele Regimegegner ausgenommen Türkei will Tausende Häftlinge freilassen

Der Europarat hält viele türkische Gefängnisse für überfüllt.

Der Europarat hält viele türkische Gefängnisse für überfüllt.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Laut Europarat sind die Gefängnisse der Türkei überfüllt. Durch das Coronavirus werden sie zur tickenden Zeitbombe, weshalb nun Tausende Insassen vorerst freigelassen werden sollen. Zahlreiche inhaftierte Regierungskritiker aber sind von der Regelung ausgenommen.

Das türkische Parlament hat wegen der Corona-Krise ein Gesetz zur Entlassung von bis zu 90.000 Häftlingen verabschiedet. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, es werde bald in Kraft treten. Die Regelung stieß auf scharfe Kritik, weil zahlreiche Inhaftierte unter Terrorvorwürfen, darunter Regierungskritiker und Journalisten, von der Regelung ausgenommen sind. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP hatte das Gesetz mit der Unterstützung der ultranationalistischen MHP eingebracht.

Die Regelung sieht nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu unter anderem vor, dass die Haftzeit von Risikogruppen in Hausarrest umgewandelt werden kann. Außerdem dürften Verurteilte im offenen Vollzug ihre Strafe teilweise zu Hause absitzen, sie würden bis zum 31. Mai beurlaubt. Ausgenommen von der Regelung sind demnach unter anderem Gefangene, die wegen Terrorverbrechen, Mord, Gewalt gegen Frauen, Sexualstraftaten und Drogendelikten einsitzen. Die Regelung schließt damit auch die wegen Terrorvorwürfen verurteilten Deutschen Patrick K. aus Gießen und Hozan Cane aus Köln aus, wie ihre Anwälte bestätigten.

Ob die Entlassungen andere Deutsche betreffen, ist bislang unklar. Nach Angaben aus Berlin befinden sich derzeit insgesamt 62 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft, aus "politischen Gründen" inhaftierte Deutsche werden nicht mehr gesondert aufgeführt.

"Nicht nur Gesundheitsschutz"

Von dem Gesetz ausgenommen sind politische Gefangene, die nach den umstrittenen Antiterrorgesetzen der Türkei angeklagt sind. Human Rights Watch und Amnesty hatten das Gesetz deshalb scharf kritisiert. Die Schriftstellervereinigung PEN hatte gefordert, angesichts der unhygienischen Zustände in vielen türkischen Gefängnissen auch inhaftierte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten freizulassen.

Es sei richtig, die Gefängnisse in der Coronakrise zu entlasten, erklärte der Grünen-Politiker Cem Özdemir. "Aber wenn Gewaltverbrecher auf freien Fuß kommen, während die demokratische Opposition für freie Meinungsäußerung weiterhin hinter Gittern bleibt, wird schnell klar, dass es bei dieser Maßnahme nicht nur um Gesundheitsschutz geht." Özdemir forderte die Bundesregierung auf, sich für die Freilassung der politischen Inhaftierten einzusetzen.

Der türkische Präsident lasse lieber "Kriminelle frei herumlaufen, als politisch Andersdenkende", kritisierte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido. Viele Menschen säßen nur deshalb in türkischen Gefängnissen, weil sie "ihre Rechte ausgeübt" hätten, sagte auch der Amnesty-Vertreter Andrew Gardner der Nachrichtenagentur AFP. Zu den politischen Gefangenen in der Türkei zählen etwa der Kunstmäzen Osman Kavala und der kurdische Politiker Selahattin Demirtas. Das neue Gesetz sei "ungerecht und illegal", sagte Demirtas' Anwalt, Mahsuni Karaman.

Bislang drei tote Häftlinge

Milena Buyum von Amnesty International forderte: "Die türkische Regierung muss das Richtige tun und diejenigen, die inhaftiert sind, weil sie lediglich ihre friedlichen Ansichten geäußert haben, freilassen." Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül hatte am Montag erklärt, bislang hätten sich 17 Gefängnisinsassen im offenen Vollzug mit dem Coronavirus infiziert. Drei von ihnen seien gestorben. 14 Infizierte würden in Krankenhäusern behandelt. Im geschlossenen Vollzug sei bislang noch niemand positiv getestet worden.

In türkischen Gefängnissen sitzen nach Angaben des Europarats 269.806 Menschen ein. Demnach sind die Haftanstalten überfüllt. Außerdem habe die Türkei unter den Europarat-Mitgliedern die höchste Zahl an Insassen, die älter als 65 Jahre sind. Der Europarat wacht über die Menschenrechte in 47 Mitgliedstaaten - neben den EU-Ländern etwa auch die Schweiz, Türkei und Ukraine sowie Russland oder Aserbaidschan.

Quelle: ntv.de, lwe/dpa/AFP

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