Taliban-Offensive in Afghanistan US-Diplomaten igeln sich in Kabul ein
14.08.2021, 08:08 Uhr
Kabul in Reichweite: Taliban-Milizen auf dem Vormarsch, hier bei Ghasni.
(Foto: AP)
Der rapide Vormarsch der Taliban löst in Kabul Endzeitstimmung aus. Mitarbeiter der US-Botschaft bereiten sich auf den Fall der afghanischen Hauptstadt vor. Noch sei Kabul nicht in "unmittelbarer Gefahr", heißt es aus dem Pentagon.
Die militärischen Erfolge der radikalislamischen Taliban verändern die Sicherheitslage in Afghanistan schneller als erwartet: Nach der Eroberung von Ghasni, einer Provinzhauptstadt rund 120 Kilometer südwestlich von Kabul, wächst auch in der afghanischen Hauptstadt die Sorge vor einem weiteren Vordringen der Taliban-Kämpfer.
Mit Blick auf die drohende Eroberung von Kabul forderte die US-Botschaft ihr Personal vorsorglich bereits zur Zerstörung sensiblen Materials auf. In einem Vermerk an die Botschaftsmitarbeiter verwies ein Gebäudetechniker am Freitag auf die bestehenden Möglichkeiten zur Verbrennung oder Entsorgung von Dokumenten und Gerätschaften. Zerstört werden sollten demnach alle Gegenstände, die von den Taliban für ihre Propaganda "missbraucht werden könnten".
Als Beispiele wurden in dem Vermerk Materialien genannt, auf denen das Logo der Botschaft oder Wappen und Siegel von US-Behörden zu sehen sind. Erwähnt werden auch US-Flaggen. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, die Botschaft in Kabul bereite einen "Abbau" vor. "Der Abbau unserer diplomatischen Posten erfolgt gemäß einem standardmäßigen Prozedere, das darauf abzielt, unseren Fußabdruck zu minimieren."
Die USA hatten erst am Donnerstag die Entsendung von rund 3000 Soldaten nach Kabul angekündigt, die bei der Ausreise von US-Botschaftsmitarbeitern helfen sollen. Die ersten der Soldaten trafen bereits in Kabul ein, wie Pentagon-Sprecher John Kirby sagte. Parallel laufen Vorbereitungen, die US-Botschaft notfalls in den Flughafen von Kabul zu verlegen. Das Gelände am Stadtrand lässt sich im Fall offener Gefechte offenbar besser verteidigen.
Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul.
Auch in Deutschland laufen Vorbereitungen für den Fall einer Eroberung Kabuls durch die Islamisten. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte bereits vor dem Wochenende den Abzug eines großen Teils der deutschen Botschaftsmitarbeiter in Kabul angekündigt, andere Staaten schließen ihre diplomatischen Vertretungen in Kabul vorläufig komplett.
"Wir werden die Belegschaft der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das operativ notwendige absolute Minimum reduzieren", sagte Maas. Zuvor hatte im Auswärtigen Amt der Krisenstab zur Lage in Afghanistan getagt. Er kündigte die "sofortige" Entsendung eines Krisenunterstützungsteams in die afghanische Hauptstadt ein. Die "ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge" für das diplomatische Personal würden vorgezogen. Zudem sollten mit den Charterflügen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht werden.
In Afghanistan habe sich die "allgemeine Sicherheitslage" vor dem Hintergrund der Kämpfe zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban zuletzt verschlechtert, heißt es beim Auswärtigen Amt. "Deutsche Staatsangehörige vor Ort werden dringend aufgefordert, Möglichkeiten zur baldigen Ausreise mit Linienflügen zu nutzen."
Quelle: ntv.de, mmo/AFP