Politik

Nationale Probleme statt Ukraine US-Wähler legen Schlinge um Bidens Hals

Keine guten Zeiten für US-Präsident Joe Biden und die Demokraten

Keine guten Zeiten für US-Präsident Joe Biden und die Demokraten

(Foto: REUTERS)

Ein Pfund für die Demokraten war 2020 der breite Zuspruch junger Wähler. Das hat sich geändert. Progressive sagen, der US-Präsident habe seine Wahlversprechen gebrochen. Die Uhr bis zur Kongresswahl tickt.

Als Donald Trump noch US-Präsident war und Joe Biden nur Kandidat, bewarb sich der Demokrat mit einem Versprechen. Das Leben der US-Amerikaner werde mit ihm wieder ruhiger und damit besser werden. Schluss mit unberechenbarer Politik und unsicherer Zukunft. Davon spüren die US-Amerikaner nach 15 Monaten nicht viel, im Gegenteil. Und die Demokraten befürchten, dass sie dafür bei den Kongresswahlen im November die Quittung präsentiert bekommen.

Biden hängt schon seit vergangenem Sommer im Umfragetief fest, und damit wie ein Klotz am Bein seiner Parteikollegen. Die Aussichten für die demokratischen Kandidaten und damit auf zwei weitere Jahre mit Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat sind düster. Eigentlich müsste Biden sich auf die Innenpolitik konzentrieren, doch derzeit ist er viel mit der Diplomatie rund um den Ukraine-Krieg beschäftigt. Die Alltagsprobleme der Wählerinnen und Wähler sind andere, allen voran die hohe Inflation sowie die weiterhin hohen Kosten für medizinische Versorgung. Weil staatliche Covid-Hilfen wegfielen, sind zudem Anfang des Jahres fast vier Millionen Familien in die Armut gerutscht. Von alleinerziehenden Müttern befanden sich bereits im Wahljahr 2020 fast ein Viertel unter der Armutsgrenze.

In Scharen sind den Demokraten die jungen Wähler im Alter von 18 bis 34 Jahren von der Fahne gegangen. In keiner Altersgruppe nahm die Zustimmung seit Bidens Vereidigung so stark ab: seit Januar 2021 je nach Umfrage rund minus 20 Prozentpunkte. Beim Meinungsforschungsinstitut Civiqs etwa sind es unter Schwarzen minus 29 Punkte, unter Hispaniern minus 24 Punkte, unter jungen US-Amerikanern ohne Hochschulabschluss minus 21 Punkte. All dies sind Wählergruppen, auf die die Demokraten bauen und die den Sieg 2020 ermöglichten.

Einige seiner Versprechen an diese Gruppen hat der Präsident nicht erfüllt. Dabei hatten insbesondere Wähler unter 30 Jahren ihm ins Weiße Haus verholfen. Diese fühlen sich ohnehin weniger als andere von den beiden großen Parteien vertreten. Je jünger die Wähler in den USA, desto schwächer ihre Bindung an Republikaner oder Demokraten. Wer nicht liefert, verliert die Stimmen der unter 30-Jährigen also zuerst. Sie sind damit ein wichtiger Indikator für enttäuschte Wähler.

Aus "warten" wird "nie"

Im Hinblick auf progressive Projekte bei den Demokraten "heißt es immer 'warten', was am Ende zu 'nie' wird und weshalb junge Menschen und Arbeiter die Schnauze voll haben", wird Keeanga-Yamahtta Taylor, Professor für African-American Studies an der Princeton Universität vom progressiven US-Medium "Common Dreams" zitiert. Biden habe Kampf gegen die Polizeigewalt angekündigt, der Polizei danach aber weiteres Geld zugesagt, twitterte der prominente Akademiker; zudem gebe es keine Bewegung bei Erlass von Studienschulden und Klimawandel, und Marihuana werde weiterhin kriminalisiert.

Ein Pflaster für Obamacare statt eine neue Krankenversicherung: Joe Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident Barack Obama im Weißen Haus

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(Foto: dpa)

Jüngeren Wählern sind die Studienkredite sowie der Klimawandel besonders wichtig. Mehr als 43 Millionen US-Amerikaner haben Bildungsschulden, im Schnitt drückt sie eine Last von mehr als 37.000 US-Dollar. Derzeit stundet die Regierung lediglich per Dekret die Rückzahlungen. Progressive, linke Kräfte weisen zudem auf das gescheiterte "Build Back Better"-Paket hin. Dies sollte den Umbau zu einer umweltfreundlicheren US-Wirtschaft anschieben und damit den Klimawandel bremsen, scheiterte aber im Senat an den Interessen der fossilen Energiewirtschaft. Dies schürt womöglich Zukunftsängste.

Die US-Amerikaner insgesamt sahen im Februar die Wirtschaft und die hohen Preise für medizinische Versorgung als drängendste Probleme für das Jahr 2022. Im März erreichte die Inflation im Vergleich zum Vorjahresmonat 8,5 Prozent, die höchste Geldentwertung seit 40 Jahren. Zugleich ist von einer öffentlichen Krankenversicherung, die Demokraten angekündigt und bis ins letzte Detail im Wahlkampf diskutiert hatten, nichts mehr zu hören. Stattdessen hat Biden per Dekret eine Versorgungslücke für einkommensschwache Familien bei Obamacare geschlossen.

Demokraten wollen Senatsmehrheit erhalten

Derzeit haben die Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit und leiten dort deshalb auch die themenbezogenen Ausschüsse. Laut derzeitigen Prognosen werden sie im November das Repräsentantenhaus, das alle zwei Jahre komplett neu zusammengesetzt wird, verlieren. Im Senat hingegen haben die Demokraten noch eine kleine Chance, das Ruder herumzureißen. Verlieren die Demokraten nur einen Sitz, ist die Mehrheit im Senat weg. Dort bilden sich derzeit die mutmaßlich entscheidenden Rennen heraus: Unter anderen geht es um jeweils einen Posten für die Bundesstaaten Arizona, Georgia, Nevada, Pennsylvania sowie Wisconsin.

Die Arbeitslosigkeit in den USA ist so niedrig wie seit einem halben Jahrhundert nicht, aber die Inflation hinterlässt trotzdem einen negativen Gesamteindruck der wirtschaftlichen Lage. Laut Meinungsforschern und Beratern der Demokraten geht es nun darum, die bereits erreichten Dinge zu kommunizieren, etwa das Infrastrukturpaket. Zudem will das Weiße Haus einen weiteren Anlauf unternehmen, das "Build Back Better"-Paket in veränderter Form doch noch durch den Kongress zu bringen. Es soll Maßnahmen gegen den Klimawandel beinhalten und Gesundheitskosten senken. Aber ob Biden es diesmal schafft, alle Senatoren zu überzeugen, steht in den Sternen. Insbesondere der Demokrat Joe Manchin aus West Virginia blockierte.

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Der Wahlausgang im November bestimmt, wie Biden bis 2024 regieren kann. Er ist der älteste je amtierende US-Präsident. Es steht die Frage im Raum, ob Biden sich um eine zweite Amtszeit ab 2024 bewerben will oder können wird. Noch hat er die entsprechenden Unterlagen nicht eingereicht, aber laut dem US-Medium "The Hill" soll er Vertrauten - unter anderen seinem früheren Weggefährten Barack Obama - gesagt haben, dass er wieder antreten möchte. Es steht noch nicht fest, wer sein Widersacher wäre. Sollte es erneut Trump sein, könnte das Biden einen Schub geben. Denn 2020 hatten viele dem Demokraten ihre Stimme gegeben, weil sie Trump loswerden wollten.

Doch zunächst liegt der Fokus auf den Kongresswahlen. "Wir müssen die Wähler überzeugen, dass die Dinge wegen unserer Zeit an der Macht besser sind", wird ein Funktionär der Demokraten von Politico zitiert: "Falls die Leute im Sommer glauben, dass es ihnen besser geht, haben wir im Herbst eine Chance. Falls nicht, dann haben wir keine."

Quelle: ntv.de

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