"Einfach in die Menge geschossen" Überlebende aus dem Bataclan berichten
14.11.2015, 08:25 Uhr
Mehr als 100 Menschen sterben durch eine terroristische Attacke bei einem Konzert in Paris. Überlebende schildern die Augenblicke des Angriffs. Sie sprechen von Panik und Angst, von Blut und Leichen.
"Es war ein Blutbad." Julien Pearce - Journalist beim französischen Radiosender Europe 1 - war am Freitagabend bei dem Konzert der US-Rockband Eagles of Death Metal im "Bataclan" in Paris, als mehrere schwer bewaffnete Attentäter den Konzertsaal stürmten. "Die Menschen haben geschrien, gekreischt und alle haben auf dem Boden gelegen", berichtet er nach der Anschlagserie im US-Fernsehsender CNN. Der Angriff habe zehn Minuten gedauert. "Zehn schreckliche Minuten, in denen alle am Boden lagen und ihre Köpfe geschützt haben."
Er habe "viele Schüsse" gehört, die Terroristen seien "sehr ruhig, sehr entschlossen" gewesen, berichtet Pearce. "Sie haben ihre Waffen drei- oder viermal nachgeladen. Sie haben nicht gebrüllt, sie haben gar nichts gesagt." Die Attentäter seien ganz in Schwarz gekleidet und unmaskiert gewesen, berichtet Pearce. Einem von ihnen, einem jungen Mann im Alter von 20 oder 25 Jahren, habe er sogar ins Gesicht gesehen.
Bei der Flucht auf Menschen getreten
Der Journalist hat den verheerenden Angriff nach eigener Aussage überlebt, weil er sich über die Bühne zu einem Ausgang retten konnte. Die Attentäter hätten mit Sturmgewehren in die Menge geschossen. "Die Leute versuchten zu fliehen und sind auf der Suche nach Ausgängen auf Leute getreten, die am Boden lagen", berichtet Pearce. Er selbst sei auf die Bühne geklettert, als die Attentäter gerade ihre Waffen nachgeladen hätten und habe von dort aus einen Ausgang erreicht.
Pearce brachte bei seiner Flucht auch ein junges Mädchen in Sicherheit, das bei der Schießerei verletzt wurde und stark blutete. Er trug sie zu einem Taxi und bat den Fahrer, sie ins Krankenhaus zu fahren.
Pearce hat im "Bataclan" 20 bis 25 Leichen und viele Schwerverletzte gesehen. Nach der Erstürmung des Gebäudes durch die Polizei sprachen die französischen Behörden von rund 80 Toten allein im "Bataclan". Mindestens 40 weitere Menschen werden bei Anschlägen und Schießereien an sechs weiteren Orten in der französischen Hauptstadt getötet.
"Nicht aufgehört zu schießen"
Auch der 35-jährige Pierre Janaszak hat den Angriff auf das Bataclan überlebt. Er saß zusammen mit seiner Schwester und Freunden auf einem der oberen Ränge, als die ersten Schüsse fielen, wie er der Nachrichtenagentur AFP erzählt. "Zuerst haben wir gedacht, dass das zur Show gehört, aber wir haben schnell verstanden."
Die Attentäter seien zu dritt gewesen und hätten "einfach in die Menge geschossen", erinnert sich der Radiomoderator. "Es war ein Höllenlärm, sie haben gar nicht mehr aufgehört zu schießen."
"Überall war Blut, überall waren Leichen. Die Leute haben geschrien, alle haben versucht zu fliehen", berichtet Janaszak, der sich mit vier anderen Leuten in einer Toilette verschanzte. Die Attentäter hätten 20 Geiseln genommen und mit ihnen gesprochen. "Ich habe deutlich gehört, wie sie zu den Geiseln gesagt haben: 'Hollande ist schuld, euer Präsident ist schuld, er hat nicht in Syrien einzugreifen.'"
Als die Polizei den Konzertsaal gestürmt habe, seien wieder viele Schüsse gefallen, berichtet Janaszak. "Es wurde in alle Richtungen geschossen, es gab auch Explosionen." Dann hätten Polizisten die Toilettentür geöffnet und ihn aufgefordert herauszukommen. Vorher musste er aber seinen Oberkörper freimachen - die Polizisten wollten sichergehen, dass er keine Bombe dabei hatte.
Jugendlicher berichtet für Zeitung
Ein Jugendlicher, der in der Konzerthalle Bataclan war, schreibt für die Zeitung "Le Figaro" einen Augenzeugenbericht. Er schildert, wie Bewaffnete in den Saal eindringen und das Feuer eröffnen und wie es ihm gelingt, zu fliehen. Bei der Geiselnahme und der anschließenden Erstürmung des Saals sterben mindestens 100 Menschen.
"Es war das Chaos. Ich war auf der rechten Seite des Saals im Bataclan, ein Song der Eagles of Death Metal ging gerade zu Ende, als ich eine Explosion hörte, die sich wie ein Böller anhörte, ich sehe, wie der Sänger die Gitarre abnimmt, ich drehe mich um, ich sehe einen bewaffneten Typen, der mit einer automatischen Waffe in die Luft schießt. Alle werfen sich auf den Boden. Ab jetzt übernimmt der Instinkt, bei jedem Schuss versuchen wir, möglichst weit weg von den Schützen zu kriechen.
Ich versuche, gemeinsam mit anderen an der rechten Seite auf die Bühne zu klettern und zu einem Notausgang zu kommen. Es herrscht ein riesiges Durcheinander, die Leute haben Angst und versuchen, zu überleben, mit anderen Personen drängen und ziehen wir die Leute mit uns hinter die Bühne. Wir retten uns auf die rechte Seite, weil wir dachten, da könnte ein Ausgang sein, aber nein.
Ein Mitglied des Personals im Saal sagt uns, dass sich der Notausgang auf der anderen Seite der Bühne befindet. Wir hören immer noch Schüsse. Nach einigen Sekunden/Minuten, mehr nicht, sehen wir die Leute in Richtung des Notausgangs vorrücken. Unsere Gruppe auf der anderen Seite der Bühne entscheidet sich, diese hinter dem Vorhang zu überqueren. Von dort nehmen wir den Ausgang und sind dann draußen auf dem Hof.
Wir hören noch auf der Straße Schüsse, ich bin nicht mehr zurückgekehrt. Ich bin gerannt, wie alle, gerannt bis zur Bastille. Auf dem Weg kamen uns zahlreiche Polizisten in Autos und auf Motorrädern auf dem Weg zur Konzerthalle entgegen. Mir geht es gut, was man von anderen nicht sagen kann. Ich habe keine Angst gehabt, ich bin (noch) nicht geschockt. Ich schreibe, um nicht zu vergessen."
Quelle: ntv.de, Von Anthony Lucas und Denholm Barneston, AFP, vpe