Cameron hat sich schon ergeben Ukip fightet um einen Sitz in London
09.10.2014, 15:27 Uhr
Für den Wahlkampf begibt sich Ukip-Chef Nigel Farage auch schon mal in ein Panzermuseum.
(Foto: REUTERS)
Das Rennen scheint schon gelaufen zu sein: Die Ukip könnte heute zum ersten Mal einen Kandidaten nach London schicken. Wenn sich der Erfolg der Rechtspopulisten fortsetzt, wäre es das Ende für die Regierung David Camerons.
Das Städtchen Clacton-on-Sea an der britischen Nordseeküste macht normalerweise nicht viele Schlagzeilen. Höchstens bei der jährlichen Flugshow mit Maschinen aus dem Zweiten Weltkrieg ist in den landesweiten Zeitungen über den 50.000-Einwohner-Ort etwas zu finden. Derzeit ist Clacton jedoch in aller Munde. Das pittoreske Seebad südöstlich von London könnte der Startpunkt dafür sein, dass sich die politische Landschaft in Großbritannien nachhaltig verändert.
Schuld ist Douglas Carswell. Der 43-Jährige mit dem kantigen Kinn ist aus Protest gegen die Politik von Premierminister David Cameron und seiner Führungsriege bei den Konservativen aus der Regierungspartei ausgetreten. Unter dem Jubel von Ukip-Chef Nigel Farage schloss er sich den Euroskeptikern an und stellt sich für die neue Partei zur Wahl. Meinungsforscher sind sich schon vor der Abstimmung am Donnerstag fast sicher: Douglas Carswell wird der erste gewählte Abgeordnete von Ukip im Unterhaus.
Die Mehrheitsverhältnisse wird das nicht verändern. Doch hat Ukip bei der bevorstehenden Parlamentswahl am 7. Mai durchaus das Zeug, Zünglein an der Waage zu spielen. Ihre Macht können die Rechtspopulisten im britischen Mehrheitswahlreicht - es gibt ausschließlich Direktkandidaten, keine Zweitstimme für Parteienlisten - dabei vermutlich gar nicht einmal so sehr über eigene Abgeordnete ausüben. Demoskopen sagen ihnen voraus, dass sie vier bis fünf Vertreter ins Parlament schicken werden.
Gefahr von links und rechts
Die große Furcht der Regierung um Cameron ist, dass Kandidaten der Ukip in einer großen Zahl von Wahlkreisen den Kandidaten der Tories so viele Stimmen abnehmen, dass es jeweils für den Bewerber der Labour-Partei oder der Liberaldemokraten reicht. Premier Cameron, dem im koalitionsunerfahrenen Großbritannien innerparteilich vorgeworfen wird, schon die Wahl 2010 nicht klar gewonnen zu haben, könnte erneut in ein Bündnis gezwungen werden. Cameron selbst formuliert es noch drastischer: "Wer am 7. Mai mit Nigel Farage ins Bett geht, kann am nächsten Tag neben (Labour-Chef) Ed Miliband aufwachen."
Kein Wunder, dass bei den Tories helle Aufregung herrscht - und ein wenig Ratlosigkeit. Im Kampf gegen Douglas Carswell, seit 2005 für die Tories im Parlament und in seinem Wahlkreis für seinen Fleiß und seine Bürgernähe bei den Menschen außerordentlich beliebt, taugt die übliche Populismus-Schelte nicht. Carswell ist ein Mann mit bürgerlichem Hintergrund und offenem Blick für die Wunden des britischen Parlamentarismus.
Nächste Entscheidung am 6. November
Und dort legt er seinen Finger bei seinen täglichen Wahlkampf-Veranstaltungen in Pubs und Mehrzweckhallen schonungslos hinein. Schon vor drei Jahren, als in Großbritannien noch kaum jemand von Ukip als ernstzunehmender Kraft sprach, bezeichnete Carswell den Parlamentarismus Marke Westminster als "verdorben". "In sieben von zehn Wahlkreisen bekommen die Parlamentarier ihren Sitz mehr wegen parteiinterner Absprachen als durch das Votum der Menschen", sagte er.
Erst einmal gewählt, dürften sie nur noch die Parteilinie vertreten. Damit traf er schon damals den Nerv, der jetzt den Etablierten Schmerzen bereitet. Ukip-Chef Nigel Farage punktet genau mit der These der abgehobenen Westminster-Kaste, die, aufgewachsen auf teuren Privatinternaten, die Bodenhaftung und den Kontakt zum einfachen Bürger längst verloren habe.
Bei den Tories heißt es unter der Hand, Clacton habe man gegen den dort tief verwurzelten Carswell schon verloren gegeben. Die Wahlkampf-Armee der Partei mit allen Ministern an der Spitze werde jetzt nach Rochester entsandt, wo vermutlich am 6. November mit Mark Reckless ein weiterer Tory-Überlaufer ein Ukip-Mandat holen will. Am vergangenen Wochenende gab es auch hier einen Schlag ins Kontor von Premier Cameron: Eine Umfrage sieht Reckless, anders als Carsley ein klassischer Rechtsaußen und längst nicht so tief verwurzelt, mit neun Prozentpunkten in Front.
Quelle: ntv.de, Michael Donhauser, dpa