Der Kriegstag im Überblick Ukraine meldet hohe russische Verluste - Inspekteure wollen dauerhaft in AKW Saporischschja bleiben
01.09.2022, 21:37 Uhr
Nach langer Anreise erreichen die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde das AKW Saporischschja.
(Foto: picture alliance/dpa/International Atomic Energy Agency/AP)
Nach langer Odyssee erreichen die IAEA-Experten das AKW Saporischschja und beginnen ihre Arbeit. Die Ukraine meldet erhebliche russische Verluste aufgrund ihrer Gegenoffensive. Russland kritisiert den EU-Visa-Entscheid und droht Moldau mit Krieg. Deutschland mietet ein weiteres LNG-Terminal. Der 190. Kriegstag im Überblick:
Kämpfe rund um das Atomkraftwerk Saporischschja
Der Tag war besonders von der Mission der Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Atomkraftwerk Saporischschja geprägt. Der Auftakt gestaltete sich sehr unruhig, nachdem die Ukraine russischen Truppen vorwarf, die nahe gelegene Stadt Enerhodar beschossen zu haben. Kurz bevor die Inspekteure im AKW eintrafen, sollen erneut Kämpfe nahe der Stadt ausgebrochen sein. Das russische Verteidigungsministerium behauptete gar, ein versuchter Angriff ukrainischer Truppen auf das AKW sei abgewehrt worden. Rund 60 Mann seien aus Booten am Ufer des Kachowka-Stausees etwa drei Kilometer entfernt von der Anlage ausgestiegen und hätten versucht, das Kraftwerk einzunehmen. Später wurde von russischer Seite gar von der Festnahme dreier ukrainischer Soldaten berichtet, die das AKW angegriffen hätten. In Sozialen Medien waren Video russischer Helikopter zu sehen, die sehr tief über der Stadt Enerhodar flogen.
IAEA-Experten bleiben bis Samstag auf AKW-Gelände
Letztlich konnten die IAEA-Experten jedoch das Gelände des Atomkraftwerks betreten und ihre Überprüfung starten. Ein Teil der Inspekteure der UN-Atombehörde IAEA hat einem Reuters-Reporter zufolge nach einer mehrstündigen Visite das ukrainische Kraftwerk Saporischschja verlassen. Vier der neun Fahrzeuge der IAEA-Delegation hätten sich vom Gelände des Werks entfernt, berichtete die russische Agentur Interfax. "Wir haben uns heute eine ganze Menge angesehen und mit der ersten Bewertung begonnen", sagte der Chef der Internationalen Atombehörde IAEA, Rafael Grossi. Nach ukrainischer Darstellung sollen einige der Inspekteure zunächst auf dem Gelände bleiben. Vermutlich würden fünf der Mitarbeiter der UN-Behörde bis Samstag vor Ort sein, schrieb der ukrainische Energiekonzern Energoatom auf Telegram. Am Abend sagte IAEA-Chef Rafael Grossi in einem auf Twitter veröffentlichten Video-Statement, dass die Behörde gar eine dauerhafte Mission im Atomkraftwerk Saporischschja etablieren will. Russland hatte sich zuvor offen gezeigt für eine dauerhafte Mission.
Ukraine meldet erhebliche russische Verluste in Südukraine
Die ukrainischen Streitkräfte haben ihre Offensive gegen die russische Besatzung im Süden der Ukraine fortgesetzt und britischen Geheimdiensten zufolge mit Langstreckenraketen russische Logistikstandorte angegriffen. Auf offiziellen Aufnahmen der ukrainischen Regierung sei auch der Einsatz von HARM-Raketen zu erkennen, mit denen Radarsysteme lokalisiert und zerstört werden können, hieß es aus London. Das Einsatzkommando "Süd" der ukrainischen Streitkräfte meldete zudem Verluste der russischen Streitkräfte. Es seien 201 russische Soldaten getötet sowie 12 T-72-Panzer, 18 gepanzerte Fahrzeuge, über ein Dutzend Artillerieeinheiten, ein Flugabwehrfahrzeug und sechs Munitionsdepots zerstört worden, hieß es in einem Facebook-Beitrag. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Putin begründet Krieg mit entstehender "antirussischer Enklave"
In einem weiteren Versuch, den Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen, versuchte sich heute der russische Präsident Wladimir Putin. Vor Schülern in der russischen Exklave Kaliningrad erklärte er, dass auf dem Gebiet der Ukraine eine "antirussischen Enklave" entstünde, die Russland bedrohe. "Deshalb schützen unsere Leute, die dort kämpfen, sowohl die Bewohner des Donbass als auch Russland selbst", fasste Putin das Kriegsziel Russlands in der Ukraine zusammen.
Lawrow droht Republik Moldau
Aber nicht nur dort wittert der Kreml Feinde, die das eigene Land oder die eigenen Truppen bedrohen. Auch im ukrainischen Nachbarland Moldau soll Gefahr drohen. So zumindest ist es den Worten des russischen Außenministers Sergej Lawrow zu entnehmen. Er drohte dem kleinen Land mit einem militärischen Konflikt für den Fall, dass russische Truppen im Separatistengebiet Transnistrien in Gefahr gerieten. "Jede Gefährdung der Sicherheit russischer Truppen (in Transnistrien) würde nach internationalem Recht als ein Angriff auf Russland gewertet." Russische Truppen sind seit Anfang der 1990er-Jahre in Transnistrien stationiert, nachdem sich die Region in einem gewaltsamen Konflikt von Moldau losgesagt hatte. Die Transnistrische Moldauische Republik wird von Russland, nicht aber von der internationalen Gemeinschaft anerkannt.
Russland will auf Visa-Entscheid der EU reagieren
Auch in Richtung der EU-Staaten schickte Russland verbale Giftpfeile: Das russische Außenministerium kritisierte die von der EU angekündigte Aussetzung des Visa-Abkommens scharf und kündigte mögliche Gegenmaßnahmen an. "Wir haben nicht vor, uns der Europäischen Union bei der unsinnigen Politik des "Brückenabreißens" zwischen den Menschen anzupassen, aber behalten uns gleichzeitig das Recht auf Gegenmaßnahmen zum Schutz der Interessen unserer Bürger und unserer nationalen Interessen vor", teilte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa mit. Am Mittwoch hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verkündet, dass die Europäische Union das 2006 geschlossene Abkommen mit Russland zur Erleichterung der Visa-Vergabe vollständig aussetzen werde. Er gilt als Minimalkompromiss im seit Wochen anhaltenden EU-Streit um den Umgang mit Visa-Anträgen russischer Staatsangehöriger.
Russland-Anrainer planen noch schärfere Einreise-Kontrollen
Die Lösung der EU reicht einigen Ländern allerdings nicht weit genug. Besonders Russland-Anrainer forderten deutlich schärfere Einreise-Bestimmungen. Nachdem die EU sich darauf nicht einigen konnte, wollen fünf Staaten nun eine eigene Regelung beschließen. "Nächste Woche finden die ersten Treffen der fünf Staaten statt. Wir hoffen auf eine gemeinsame Einigung", sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis nach Angaben der Agentur BNS. Mögliche Maßnahmen der baltischen Staaten, Polen und Finnland umfassen demnach zusätzliche Fragen für Grenzgänger oder Vorwarnungen darüber, dass an der Grenze nur Inhaber bestimmter Arten von Visa durchgelassen werden sollen.
Russland unternimmt großes Marinemanöver
Ungeachtet des Kriegs in der Ukraine unternimmt Russland ein großes Militärmanöver namens "Wostok 2022". "Mehr als fünfzig Kampfschiffe, Boote, U-Boote und Hilfsschiffe sind in dieser Phase bereits in taktischen Gruppen in Kampftrainingsgebieten im Japanischen Meer und im Ochotskischen Meer im Einsatz", teilte das russische Verteidigungsministerium der Staatsagentur Tass zufolge mit. Das Manöver findet vom 1. bis 7. September statt. Mehr als 50.000 Soldaten sollen an der Übung teilnehmen. Mit dabei sind auch Verbände aus China, Indien und Ex-Sowjetrepubliken wie Belarus.
Deutschland mietet weiteres LNG-Terminal
Deutschland versucht weiterhin seine Energieversorgung für die kommenden Jahre sicherzustellen. Dazu soll ein fünftes staatlich gemietetes Terminal zur Anlandung von Flüssiggas (LNG) geben. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Es soll im übernächsten Winter, also 2023/2024, an den Start gehen. Parallel soll die Möglichkeit zur Anlandung von grünem Wasserstoff geschaffen werden. Details will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck später nennen.
Lukoil-Vorsitzender stirbt unter ungewöhnlichen Umständen
Von einem russischen Energieversorger gibt es dagegen schlechte Nachrichten: Ravil Maganov, Vorsitzender des zweitgrößten russischen Ölproduzenten Lukoil, soll am Donnerstag nach einem Sturz aus einem Krankenhausfenster in Moskau gestorben sein. Das teilte eine vertraute Quelle der Nachrichtenagentur Reuters mit. Demnach berichteten auch einige russische Medien unter Berufung auf ungenannte Quellen über den Tod des 67-Jährigen. Im März hatte Maganov die russische Invasion in der Ukraine öffentlich kritisiert. In der Vergangenheit waren bereits zahlreiche hochrangige Manager russischer Energieversorger unter teils dubiosen Umständen ums Leben gekommen.
Bundeswehrsoldat weist Agententätigkeit für Russland zurück
Ebenfalls dubios war das Verhalten eines ehemaligen Bundeswehr-Offiziers. Der soll für Russland Spionage betrieben haben und steht derzeit in Düsseldorf vor Gericht. Er habe zwar Informationen weitergegeben, aber diese seien "bei weitem nicht so wertvoll wie dargelegt", sagte der Verteidiger des 65-Jährigen im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts für seinen Mandanten. Um "geheimdienstliche Agententätigkeit" habe es sich nicht gehandelt. Laut Anklage hat der ehemalige Reserveoffizier der Bundeswehr seit 2014 den russischen Geheimdienst GRU mit Informationen versorgt. Damit drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
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Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts