Terroranschläge in Brüssel Von Krieg will Merkel nicht sprechen
23.03.2016, 14:35 Uhr
"Die Täter sind Feinde aller Werte, für die Europa heute steht und zu denen wir uns gemeinsam als Mitglieder der Europäischen Union bekennen", sagte die Kanzlerin am Dienstag über die Anschläge.
(Foto: AP)
Nur gut 100 Kilometer liegen zwischen Brüssel und der deutschen Grenze. Trotz deutschlandweit 450 Gefährdern sieht sich die Bundesregierung nach den Anschlägen im Nachbarland gerüstet. Ganz optimal läuft es aber offenbar nicht.
Ist Europa wirklich im Krieg? Frankreichs Premierminister Manuel Valls lässt keine Zweifel. Am Dienstag erklärte er, Europa befinde sich im Krieg. Ob sich Angela Merkel mit dieser Wortwahl anfreunden könne, wird Steffen Seibert am Tag nach den Anschlägen in Brüssel gefragt. Der Regierungssprecher antwortet in der Bundespressekonferenz etwas ausweichend: "Jeder wählt seine Worte, die Kanzlerin hat ihre gewählt." Sie habe deutlich gemacht, in Solidarität mit den Brüsselern und Belgiern zusammenzustehen und den Kampf gegen den Terrorismus entschlossen führen zu wollen. "Es ist wichtig, dass wir uns in Europa einig sind, dem Terrorismus, der uns alle herausfordert und den wir in schrecklicher Weise erlebt haben, nur gemeinsam begegnen zu können", sagt Seibert. Die Antwort ist also Nein.
Von einem Krieg in Europa möchte die Bundesregierung einen Tag nach den Ereignissen in der belgischen Hauptstadt ausdrücklich nicht sprechen. Auch, dass der Krieg gegen den Terror inzwischen nicht nur im Ausland geführt werde, sondern die Grenze nach Europa längst überschritten habe, will Seibert nicht bejahen. Man sei im Rahmen der Anti-IS-Koalition an militärischen Auseinandersetzungen gegen Terroristen beteiligt. Die Auseinandersetzung werde auf vielen Ebenen geführt – militärisch in Syrien und im Irak sowie gesellschaftlich und politisch. "Auf allen Gebieten wird sich Deutschland konsequent beteiligen."
Seibert und die Sprecher der übrigen Ministerien sind an diesem Mittwoch bemüht, die Stimmung nicht weiter aufzuheizen. Doch von Normalität kann nach den Terrorakten im Nachbarland keine Rede sein. In der Kabinettssitzung am Vormittag gedachten alle Teilnehmer der Opfer in Belgien. "Schon wieder eine Gedenkminute im Kabinett. Es ist so traurig", twitterte Staatssekretär Michael Roth.
"Wir wünschen uns eine bessere Zusammenarbeit"
Die Bundesregierung will in der ernsten Lage keinen Zweifel lassen und Handlungsfähigkeit demonstrieren. Noch am Dienstag ließ Innenminister Thomas de Maizière die Präsenz von Sicherheitskräften an "kritischen" Bahnhöfen und Flughäfen sowie an den Benelux-Außengrenzen verstärken. Zu den konkreten Maßnahmen im Zusammenhang mit in der Bundesrepublik befindlichen Gefährdern gibt das Innenministerium keine Informationen. Der operative Zweck würde dadurch in Gefahr geraten, sagt Johannes Dimroth, Sprecher des Bundesinnenministeriums.
De Maizière äußerte nach den Anschlägen überraschend deutliche Kritik an den EU-Partnern. Im Interview mit RTL bemängelte der Innenminister die mangelnde Kooperation zwischen den nationalen Geheimdiensten. "Wir haben getrennte Datentöpfe – im Visaverkehr, in den Fahndungsdateien und bei den Fluggastdaten. Das müssen wir verknüpfen. Es nutzt ja nichts, wenn jede Behörde auf ihren Informationen sitzt und sie nicht mit anderen teilt", so de Maizière. Bei Europol gäben nur sehr wenige Länder viele Informationen. Es gebe die Vorstellung, dass es gut sei, wenn nur die zuständige Behörde die sie betreffenden Informationen zur Kenntnis bekomme und nicht die Nachbarbehörde.
In einem Brief nach Brüssel hatte der Minister diese Bedenken schon vor einigen Tagen und vor den Terroranschlägen formuliert, wie sein Sprecher Dimroth mitteilt: "Wir sehen Verbesserungsbedarf und wünschen uns eine bessere Zusammenarbeit." Die deutschen Ermittlungsbehörden sehen sich im Kampf gegen den Terror derweil ausreichend gerüstet. In den letzten Haushalten habe es Verstärkungen im den Bereichen Personal- und Sachausrüstung gegeben. Die Kritik von Rainer Wendt, dem Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, der nach den Anschlägen die unzureichende Ausstattung moniert hatte, weist Dimroth zurück. Die scharfe Wortwahl sei kontraproduktiv und würde die Polizeibeamten verunsichern.
Nach Erkenntnissen des deutschen Bundesinnenministeriums gibt es 800 deutsche Islamisten, die in der Vergangenheit ins Ausland gereist sind, um dort für die Terrormiliz Islamischer Staat und andere Gruppen zu kämpfen. Ein Drittel davon befinde sich inzwischen wieder in Deutschland und im Visier der Behörden, so Dimroth. Das Ministerium rechnet deutschlandweit mit rund 450 Gefährdern. Hinweise auf Verbindungen zwischen den Tätern in Belgien nach Deutschland gebe es bisher nicht.
Quelle: ntv.de