Klimaproteste zu "elitär" Wagenknecht und Rackete sind sich in einem Punkt einig


Wagenknecht (l.) war jahrelang Fraktionschefin der Linken, Rackete will trotz ihrer Kandidatur parteilos bleiben.
Gegen ihre frühere Fraktionschefin Wagenknecht will die Linke ein Zeichen setzen - mit der Nominierung der Aktivistin Rackete zur Spitzenkandidatin für die Europawahl. Auf der politischen Bühne vertreten die Frauen oft gegensätzliche Positionen. Außer bei einem Thema.
Die Anti-Wagenknecht. So oder so ähnlich ist Carola Rackete beschrieben worden, als sie verkündete, dass sie als Spitzenkandidatin der Linken bei der Europawahl im kommenden Jahr antritt. Insbesondere bei der Migrationspolitik scheint Rackete, die trotz Kandidatur parteilos bleibt, wie ein Gegenpol zu Sahra Wagenknecht, die von Teilen ihrer Partei aufgrund der inhaltlichen Nähe zur AfD kritisiert wird. Während sich Wagenknecht für eine starke Begrenzung der Migration nach Europa ausspricht, fordert Rackete die Abschaffung aller Grenzen.
Bekannt wurde Rackete, als sie trotz des Verbots der italienischen Behörden Ende Juni 2019 mit 53 aus Seenot geretteten Flüchtlingen auf dem Schiff "Sea Watch" die Insel Lampedusa anlief. Zudem ist sie Mitbegründerin des Netzwerks "Abolish Frontex", das ein Ende der EU-Grenzschutzagentur fordert. Aufgrund ihres Ökologie-Studiums will sich die Aktivistin jedoch im Wahlkampf eher auf Umwelt- als auf Migrationspolitik konzentrieren. Wenn es um Kritik an Protesten von Klimabewegungen geht, ist sich Rackete mit Wagenknecht in einem Punkt einig: Beide bezeichnen sie als zu elitär.
Es bringe nichts, gegen Autolärm im Berliner Regierungsviertel zu protestieren, während die meistbefahrenen und -verschmutzten Straßen durch prekäre Viertel verliefen, schreibt Rackete gemeinsam mit einem Aktivisten namens Momo in einem Beitrag, aus dem Zeit Online zitiert. In Zeiten steigender Lebenshaltungskosten laufe die Klimabewegung Gefahr, weiter gegen ärmere Teile der Bevölkerung "ausgespielt zu werden", warnen die beiden.
"Lifestyle" der Linken im Zentrum der Kritik
Sie kritisieren vor allem die Aktionen der Letzten Generation, wobei sie der Bewegung vorwerfen, dass sie über Sabotage debattiere, als sei diese "eine magische Pille". Man habe es zu lange verpasst, aufzuzeigen, wie Klimaschutz soziale Gerechtigkeit im globalen Norden verbessern würde. "Wenn wir proletarisch-prekär geprägte Menschen vergessen oder sie proaktiv aus unserer Politik ausschließen, da sie nicht in unseren Lifestyle passen, können wir nicht weiterkommen", resümieren Rackete und Momo.
Der Begriff "Lifestyle" erinnert an Wagenknecht, die ihn zu einem Konzept ausbaute, um damit einen angeblichen Snobismus zu beschreiben, den sie in neuen, linksliberalen Strömungen zu erkennen glaubt. In ihrem Buch "Die Selbstgerechten" beklagt Wagenknecht, viele "Lifestyle-Linke" hätten die Bodenhaftung verloren, wobei sie auf jene herabblickten, die ein einfacheres oder traditionelleres Leben führten. "Wer sein Schnitzel bei Aldi kauft, wer einen Diesel statt eines teuren Elektroautos fährt, der macht sich schuldig. Das ist eine überhebliche Debatte, die der Akzeptanz des Klimathemas schadet", sagt Wagenknecht im Interview mit dem Online-Portal "Watson".
Ideologisch orientieren sich Wagenknecht und Rackete mitunter an marxistischen Positionen, wobei Rackete einen "ökologischen Klassenkampf" fordert. Dabei richtet sie ihr Augenmerk im Gegensatz zu Wagenknecht auch auf Migranten sowie ärmere Schichten außerhalb der Industrienationen, für die sie ebenfalls "Klimagerechtigkeit" fordert.
Rackete will in der EU als "Wächterin" fungieren
In einem Gastbeitrag in der "New York Times" vertrat Rackete vor anderthalb Jahren die These, dass die Industrienationen aufgrund ihres Emissions-Ausstoßes in den vergangenen 170 Jahren in der Schuld anderer Länder stünden, die nun unter den Auswirkungen des Klimawandels litten. Dabei beschreibt sich Rackete selbst als gut situiert. Aus diesem Privileg und der damit einhergehenden Schuld leitet sie die Pflicht ab, durch Rebellion gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit vorzugehen. "Aktivismus zur Bekämpfung von Umweltverschmutzern - die der ganzen Welt schaden - ist eine Möglichkeit, unsere Schuld zu begleichen", so Rackete.
Rackete sieht ihre Kandidatur als Möglichkeit, Bindeglied zwischen Aktivistengruppen und der EU zu sein. Sie habe aber nie den Wunsch verspürt, in staatlichen Institutionen zu arbeiten, schreibt sie auf ihrer Website. Die Linke sei mit dieser Kandidatur an sie herangetreten, "um zu versuchen, ihre Verbindungen zur Zivilgesellschaft zu stärken", fügt Rackete hinzu. Falls sie ins Parlament einzieht, möchte sie Aktivistengruppen stärken, aber auch als "Wächterin über das, was in den Institutionen geschieht, fungieren."
Die Verantwortung für die gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die Konflikte befeuert, sieht Rackete bei fossilen Unternehmen. Auch in diesem Punkt vertritt sie eine ähnliche Meinung wie Wagenknecht, die in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" für die Entflechtung großer Konzerne sowie eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur plädiert. Allerdings stellt Wagenknecht Energieunternehmen nicht dezidiert an den Pranger. Im Gegenteil fordert sie, die Öl-Sanktionen gegen Russland aufzuheben, da sie aus ihrer Sicht den industriellen Mittelstand in Deutschland bedrohten.
"Können Kapitalismus nicht begrünen"
Generell macht Wagenknecht gerne Stimmung gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. Das Gebäude-Energie-Gesetz, das den Neueinbau von Gasheizungen einschränken soll, bezeichnet sie in einer Talkshow bei "Bild TV" als "Heizungsirrsinn". Beliebtes Ziel ihrer Attacken sind die Grünen, die sie in derselben Runde als Opfer "ideologischer Inzucht" diffamiert.
So in die Vollen geht Rackete nicht, obwohl sie den Grünen gegenüber ebenfalls skeptisch eingestellt ist. Für sie sei es keine Optionen, die Partei zu wählen, denn "wir können Wachstum und Kapitalismus nicht begrünen", schreibt Rackete in einem Betrag für "Neues Deutschland."
Wagenknecht geht einen Schritt weiter. Sie behauptete im Oktober vergangenen Jahres, die Grünen seien die "derzeit […] gefährlichste Partei, die wir aktuell im Bundestag haben". Dies brachte ihr wieder einmal den Vorwurf ein, die als verfassungsfeindlich eingestufte AfD, die ebenfalls im Plenarsaal sitzt, zu verharmlosen. Laut aktuellen Umfragen könnte Wagenknecht der rechtsextremen Partei Stimmen abjagen, falls sie eine eigene Partei ins Leben ruft.
Mit dem Vorhaben liebäugelt Wagenknecht bereits seit Monaten, ohne sich festzulegen. Falls sie diesen Wunsch Realität werden lässt, könnte sie die Europawahl als ersten Stimmungstest für ihre Partei ansehen. Dann müssen Rackete und ihr Co-Kandidat, Fraktionschef Martin Schirdewan, zeigen, was sie Wagenknecht entgegensetzen können, um die Linken-Wähler zu halten.
Quelle: ntv.de