Zerbröckelt das Königreich? Was der Tod der Queen für Großbritannien bedeutet
18.09.2022, 14:17 Uhr
Ein Mural, ein Wandbild, an der unionistisch-protestantischen Shankill Road ist zum Wallfahrtsort für all jene geworden, die in Belfast um die Queen trauern.
(Foto: picture alliance / AA)
Kurz vor der Beisetzung von Elizabeth II. befinden sich die Briten noch immer im Ausnahmezustand. Der Tod der Queen ruft nicht nur Trauer, sondern auch Ängste hervor - vor allem bei einer Bevölkerungsgruppe.
Für viele Briten war Queen Elizabeth II. ein Symbol, ein Kleber, der das Vereinigte Königreich zusammenhielt. Doch eine Bevölkerungsgruppe des Inselstaats hat mit dem Tod der Monarchin besonders zu kämpfen: die Nordiren. "Der Tod der Queen ist ein Erdbeben für nordirische Unionisten", schrieb die in Dublin erscheinende "Irish Times". Die Unionisten vertreten nämlich die Ideologie, dass der Norden der Insel weiterhin zum Vereinigten Königreich gehören sollte.
In Zeiten, in denen Großbritannien durch den Brexit, durch schottische Unabhängigkeitsbestrebungen und durch immer lauter werdende Rufe nach einer irischen Wiedervereinigung mehr und mehr bedroht zu sein scheint, ruft der Tod der Queen Ängste hervor. "In Nordirland, insbesondere aus Sicht der Unionisten, scheinen die Dinge im Moment sehr unsicher zu sein", sagt Katy Hayward, Politikprofessorin an der Queen’s Universität in Belfast. "Viele Dinge, die sie sehr schätzen, scheinen sich gerade zu verändern."
Nicht nur wegen des Brexit hält die Bevölkerung laut Hayward ein vereinigtes Irland für wahrscheinlicher. Auch der Erfolg der republikanischen Partei Sinn Féin sowohl in Nordirland als auch in der Republik sei "ein weiteres Zeichen für die Unionisten, dass sich die Dinge ziemlich schnell ändern können". Der ehemalige politische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hat im Mai dieses Jahres erstmals die meisten Sitze im nordirischen Regionalparlament bekommen. Ein Ziel von Sinn Féin: Ein Referendum über den Beitritt Nordirlands zur Republik soll innerhalb eines Jahrzehnts abgehalten werden.
Charles III. wird nicht die Art von König sein, von dem Unionisten träumen
Hinzu kommt, dass die jüngsten Volkszählungsergebnisse für Nordirland voraussichtlich erstmals eine katholische und nationalistische Mehrheit ergeben werden. Dennoch sieht Hayward keinen "massiven Anstieg" der Unterstützer einer irischen Einheit und warnt vor dem Eindruck, "dass so etwas unmittelbar bevorsteht". Es sei jedoch Fakt, dass sich der Status von Nordirland geändert habe. Allein die Tatsache, dass die Bevölkerung ein vereinigtes Irland für wahrscheinlicher halte, "ist von Bedeutung".
Der Tod der Queen spiele dabei eine große Rolle. "Während die Königin sehr stark mit dem christlichen Glauben und traditionellen Werten assoziiert wurde, ist dies bei Charles III. nicht so sehr der Fall", erklärt Hayward. Seine Ernennung zum König sei zwar gefeiert worden, dennoch bestehe kein Zweifel daran, "dass er eine andere Art Monarch ist, und nicht unbedingt in einer Art und Weise, mit der Unionisten traditionell die Monarchie assoziieren".
Die Beziehung der Iren zu Elizabeth II. war kompliziert. 800 Jahre lang wurde Irland durch das Vereinigte Königreich kolonisiert, bis der Süden der Insel 1921 schließlich die Unabhängigkeit erlangte. In sechs Grafschaften im Norden des Landes jedoch blieb die Königin weiterhin das Staatsoberhaupt. Als Elizabeth II. 2011 als erste Monarchin seit fast einem Jahrhundert Dublin besuchte, machte sie einen "sehr bedeutenden Schritt" für die Anerkennung der irischen Unabhängigkeit, erklärt Hayward. Bis heute erinnern sich viele Iren an die Szenen, in denen die Queen einen Kranz zu Ehren der Iren ablegte, die im Unabhängigkeitskampf umgekommen waren, und dass sie in ihrer Rede einige irische Worte sprach.
2012 schüttelte die Queen die Hand eines ehemaligen IRA-Kommandeurs
"Von dort an bahnte sie sich ihren Weg", sagt Hayward, bis sie ein Jahr später sogar die Hand von Martin McGuinness schüttelte. "Eine noch bedeutendere Geste", meint die Politikwissenschaftlerin. Der damalige Führer der Sinn Féin in Nordirland war Kommandeur der IRA, die 1979 für den Tod von Lord Louis Mountbatten, einem Cousin der Queen, verantwortlich war. "Es scheint, als wären wir von diesem Höhepunkt ein Stück weit zurückgefallen", meint Hayward.
Vielleicht ist auch das ein Grund, warum kurz nach der Todesmeldung der Queen nicht alle Iren in Trauer verfallen. "Ich persönlich finde Ereignisse wie diese nicht relevant", sagt Andrew Debarra. Der 28-jährige Dubliner lebt seit zwei Jahren in Manchester und sieht "regierende Monarchen als Monument für das, was in der Welt falsch läuft". Zwar versuche er, den Tod eines jeden Menschen zu respektieren, jedoch fühle er sich beleidigt, wenn Staatsoberhäupter die Queen als "Freundin Irlands" bezeichnen. In seiner Heimat herrsche noch immer eine "entfremdende Haltung" gegenüber dem Norden. Eine Wiedervereinigung würde sich Debarra wünschen und hält dies mit der steigenden Popularität der Sinn Féin im Norden auch für möglich - wenn auch erst in ein paar Generationen.
Der Meinung ist auch Cahal O’Boyle, der ursprünglich aus Belfast stammt und mittlerweile in Vancouver lebt. "In ganz Nordirland wächst der Nationalismus, der durch den Brexit noch verstärkt wurde", sagt er. Für ihn war der Tod der Queen "ein Schock". Seine Familie in Nordirland habe einen nationalistischen Hintergrund und sei kein Fan der britischen Monarchie. "Nichtsdestotrotz haben wir respektvoll auf den Tod reagiert."
Quelle: ntv.de