Politik

Seehofer, Merkel und der Dauerstreit Was wäre, wenn die CDU nach Bayern geht?

Unversöhnlich? Merkel und Seehofer trennt zurzeit vieles.

Unversöhnlich? Merkel und Seehofer trennt zurzeit vieles.

(Foto: dpa)

Seit einem Jahr zoffen sich die Unionsparteien über die Flüchtlingspolitik. Viele CDU-Abgeordnete sind die ständigen Drohungen der CSU leid. Einige finden Gefallen am Gedanken, bei Wahlen künftig gegeneinander anzutreten.

Am Sonntagabend um 20.51 Uhr konnte Ruprecht Polenz seinen Ärger nicht mehr länger für sich behalten. "CDU-Bundesgeschäftsstelle sucht Büroimmobilie in München. Vorzugsweise in der Nähe des Bayerischen Landtags", schrieb der frühere CDU-Generalsekretär bei Facebook. Die CDU solle einen Landesverband in Bayern gründen. Die Ankündigung werde ausreichen, "um die CSU zur Vernunft zu bringen". Polenz ist nicht der erste, der so etwas sagt. Auch der ehemalige Generalsekretär Heiner Geißler hat diese Option kürzlich ins Spiel gebracht - für den Fall, dass die CSU so weitermache.

Die beiden Altpolitiker sprechen für viele in der CDU, die die den Streit mit der CSU leid sind. Die Flüchtlingskrise hat das Verhältnis zwischen den Schwesternparteien nachhaltig beschädigt. "Es ist eine der größten Krisen, die die beiden Parteien je miteinander hatten", sagt der Parteienforscher Oskar Niedermayer n-tv.de. Ein eigenständiger CSU-Wahlkampf mit eigenem Programm und Kanzlerkandidaten - vieles ist möglich, nichts mehr sicher, zumindest wenn man den Worten der CSU glaubt. Bisher war es immer die CSU, die drohte. Kann eine Trennung helfen, den schwierigen Konflikt zu lösen?

Ein Gedankenspiel: Die CDU kündigt die Bildung eines bayerischen Landesverbandes an, daraufhin verlässt die CSU die gemeinsame Fraktionsgemeinschaft und tritt bei Bundestagswahlen bundesweit an. Einer Umfrage zufolge fänden es 45 Prozent der Wahlberechtigten gut, wenn die Seehofer-Partei in ganz Deutschland wählbar wäre. Meinungsforscher haben herausgefunden, dass die CSU bei Bundestagswahlen 19 Prozent erreichen könnte. Im Gegenzug würde die CDU jedoch auch in Bayern antreten. Einer Umfrage zufolge könnte sie dort 11 Prozent erreichen.

Nachteile hätte dieses Szenario für beide Seiten: Die bayerische Schwesterpartei sichert bei Bundestagswahlen bisher etwa 20 Prozent des Unionsergebnisses. Ohne sie würde die CDU im Bund unter 30 Prozent rutschen, der Abstand zur SPD deutlich schrumpfen. Die CSU würde wiederum ihre absolute Mehrheit in Bayern verlieren, die aus Sicht der Partei ihre eigentliche Legitimationsquelle ist - wichtiger als alles andere, auch als Regierungsbeteiligungen im Bund. Politikwissenschaftler Niedermayer ist sich sicher, dass Parteichef Horst Seehofer dies nicht riskieren würde.

"Polenz spricht mir aus der Seele"

Die leere Drohung von Kreuth

Im November 1976 beschloss die CSU-Landesgruppe bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufzukündigen. Hintergrund war ein Machtkampf zwischen den Parteichefs von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, damals Ministerpräsident von Bayern. Strauß verkündete die Ausdehnung seiner Partei auf die gesamte Bundesrepublik. Als die CDU ihrerseits damit drohte, einen bayerischen Landesverband zu gründen, zog Strauß den Trennungsbeschluss zurück. (hvo)

Erkundigt man sich unter Unionsabgeordneten, sind die Reaktionen unterschiedlich. Sollte die CDU in Bayern antreten? "Das halte ich für völlig unrealistisch und sehe nicht, dass jemand von uns so etwas ernsthaft in Erwähnung zieht", sagt Fraktionsvize Michael Fuchs n-tv.de. Der CDU-Politiker rät: "Ich bin sehr dafür, dass alle abrüsten und die Sprüche sein lassen. Wenn CDU und CSU sich streiten, bringt das nur dem politischen Gegner etwas." Auch Franz-Josef Jung hält nichts von der Idee. "Wir sind eine Union und brauchen ein gemeinsames Programm und einen gemeinsamen Spitzenkandidaten. Es gibt gerade etwas Geplänkel, aber ich bin optimistisch, dass das gelingt."

Aber nicht alle in der CDU lehnen die Forderung ab. Zum Beispiel der Berliner Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann. "Ruprecht Polenz spricht mir aus der Seele, Seehofer geht ohne Rücksicht auf Verluste vor, um das Verhältnis zur CDU kaputt zu machen. In fünf Tagen haben wir Wahlen in Berlin. Viele Leute, die ich auf der Straße treffe, sind völlig verunsichert. Sie fragen mich: 'Was macht Seehofer?'", erzählt Wellmann. Ein paar Tage vor der Wahl liegt die CDU in Berlin bei unter 20 Prozent. Für Wellmann trägt Seehofer daran eine Mitschuld. Auch deshalb sagt er: "Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, ob die CDU in Bayern antreten sollte. Bei bürgerlichen Wählern hätten wir dort sicherlich großen Zulauf."

Söder: Das machen wir nie

Martin Patzelt sieht das ähnlich. Der CDU-Abgeordnete saß am Sonntag gemeinsam mit dem bayerischen Finanzminister Markus Söder bei Anne Will. Die Differenzen zwischen beiden waren unübersehbar. "Ich habe Söder nach der Sendung gefragt, warum die CSU nicht bundesweit antritt. Daraufhin sagte er mir: 'Das machen wir nie'", sagt Patzelt n-tv.de. Für ihn spräche auch aus strategischer Sicht einiges für die Trennung. Träte die CSU bundesweit an, könnte sie verlorene Unionswähler von der AfD zurückholen, das gemeinsame Stimmenpotenzial wäre möglicherweise sogar größer als bisher. Patzelt hält es daher für sinnvoll, die Fraktionsgemeinschaft aufzukündigen. Nach Wahlen könne man miteinander koalieren, schließlich gäbe es nach wie vor viele Schnittpunkte. Patzelt hat dies auch parteiintern schon angeregt. Daraufhin sei ihm entgegnet geworden, ein Jahr vor der Wahl sei die Zeit für beide Parteien zu knapp, alles Erforderliche zu organisieren, um getrennt anzutreten. Patzelt widerspricht. "Wir haben schon andere logistische Herausforderungen bestanden."

Viele CDU-Parlamentarier sind den Streit mit der CSU leid. Seehofers Drohungen messen sie auch deshalb wenig Bedeutung zu, weil dieser bisher nie Taten folgen ließ. Der Begriff des zahnlosen Löwen kursiert. Im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" sagte der bayerische Ministerpräsident im März zu dem Thema: Es sei "richtig, wenn wir uns nicht bundesweit ausdehnen, sondern stattdessen in die CDU hineinwirken. Das bleibt unsere Strategie. Aber niemand kann Ewigkeitsgarantien abgeben." Seehofer hat die Drohkulisse bewusst aufrechterhalten.

Für den Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer ist die Forderung von Polenz und Geißler nur eine Retourkutsche. Diese solle der CSU zeigen, dass sie von der CDU mindestens so abhängig ist wie umgekehrt. Dass es zu einer Trennung kommt, glaubt er nicht. Niedermayer erwartet, dass die zerstrittenen Schwestern wieder zusammenfinden. Dafür sei es jedoch nötig, dass die Parteispitzen aufeinander zugehen. "Seehofer müsste das Wort Obergrenze aus dem Wortschatz streichen, Merkel müsste einräumen, dass nicht jede ihrer Entscheidungen absolut richtig war. Die Kanzlerin hat ihre Politik ja schon verändert, sie sagt es nur nicht so deutlich, wie Seehofer es gerne hätte."

Quelle: ntv.de

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