Politik

Koalitionsvertrag ist ohne Richtung Was wollt ihr eigentlich?

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(Foto: imago stock&people)

Auf 185 Seiten haben CDU, CSU und SPD festgelegt, was mit Deutschland in den kommenden vier Jahren passieren soll. Dabei geht es um viele Kleinigkeiten, obwohl es große, drängende Fragen gegeben hätte.

Eine Große Koalition, so sagte es Angela Merkel, als sie das Programm dieses Bündnisses vorstellte, könne auch große Aufgaben meistern. Angesichts dieses Koalitionsvertrags wirkt das wie Ironie: Denn um die großen Aufgaben drücken sich die Parteien herum. Der Titel des Vertrages lautet "Die Zukunft Deutschlands gestalten". Doch wer sich um die Zukunft Deutschlands wirklich Gedanken macht, vermisst in dem Papier Antworten auf drängende Fragen.

Da ist das Thema Gesundheit: Das merkwürdige deutsche System privater und gesetzlicher Krankenversicherungen hat sich zu einer Zwei-Klassen-Medizin entwickelt. Der Koalitionsvertrag hält diese Entwicklung nicht auf. Da ist das Thema Demografie: Im Koalitionsvertrag steht, dass jedes geplante Gesetz auf seine Auswirkungen auf kommende Generationen geprüft werden soll. Dabei kann jeder sehen, wer die Milliardenkosten der geplanten Gesetze tragen wird – nämlich genau diese kommenden Generationen.

Da ist die Rolle Deutschlands in der Welt: Zuletzt wirkte die Außenpolitik schüchtern und kleinlaut. Gleichzeitig unterstützte die Regierung über Umwege Diktatoren und autoritäre Regime. Es würde sich lohnen, die Außenpolitik grundsätzlich zu überdenken. Stattdessen heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle die Beziehungen zu Russland stärken. Im Vordergrund stehen dabei nicht Menschenrechte, sondern gute Bedingungen für die Wirtschaft. Auch die Beziehung zu den USA ließe sich hinterfragen: Die Spionage der NSA auf deutschem Boden und die massenhafte Auswertung privater Kommunikation ist ein Vertrauensbruch, wie es ihn selten gab. Den zukünftigen Regierungsparteien fällt darauf offensichtlich keine angemessene Reaktion ein.

Kleine Stellschrauben statt großer Hebel

Das sind Themen, für die es sich tatsächlich lohnen würde, wochenlang zu verhandeln. Stattdessen drehte sich die Diskussion am Ende um etwas anderes: Ob Ausländer einen Aufkleber für die Windschutzscheibe kaufen müssen, bevor sie deutsche Straßen nutzen dürfen. Das mag bayerischen Autofahrern gerecht vorkommen, aber mit ernsthafter Politik hat die Maut nichts zu tun. Trotzdem kämpfte die CSU leidenschaftlich dafür und die SPD stellte sich genauso leidenschaftlich dagegen. Die Parteien kamen aus ihrem Wahlkampfmodus nie richtig heraus.

Die Beschlüsse zu Bildung, Klima, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Rente und kommunalen Finanzen sind eher ein Drehen an Stellschrauben als das Umlegen großer Hebel. Und dabei ist von zusätzlichen Einnahmen nie die Rede, stattdessen soll die künftige Regierung deutlich mehr Geld ausgeben. Wo es herkommen soll, ist unklar. Strukturen wie das Kooperationsverbot in der Bildung oder die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden tastet die Koalition nicht an.

Zwei Ausnahmen gibt es, die beide von der SPD durchgesetzt wurden: Der Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft wird Tausenden jungen Erwachsenen die schwere Entscheidung für oder gegen Deutschland abnehmen. CDU und CSU haben hier eine weitere Position abgelegt, die in der Gesellschaft schon lange als überholt galt.

Was will Merkel eigentlich?

Die zweite Ausnahme ist der Mindestlohn. Zwar gibt es Übergangsregelungen, aber viel schneller wäre es wohl nicht gegangen, ohne die Wirtschaft völlig vor den Kopf zu stoßen. Das Gesetz bedeutet einen Wandel, der das Wirtschaften in Deutschland dauerhaft verändern wird. Dass es je wieder abgeschafft wird, ist schwer vorzustellen. Ob man es für richtig hält, oder nicht: Mit dem Mindestlohn macht die Koalition einen mutigen Schritt. Das ist aber auch schon das einzige wirklich ambitionierte Projekt.

Angela Merkel hatte in ihrem Wahlkampf kaum deutlich gemacht, was sie in den kommenden vier Jahren vor hat. Stattdessen gewann sie die Wahl mit einer personalisierten Kampagne praktisch ohne Inhalte. Viele vermuteten, dass sie Großes bewegen will, nur was das ist, wurde nicht klar. Auch der Koalitionsvertrag verrät es nicht, er hat keine klare Richtung. Die Große Koalition macht das, was man von ihr erwarten konnte: Sie schreibt den Minimalkonsens der deutschen Politik fort und verteilt dabei ein paar soziale Wohltaten.

Die Wähler haben es so gewollt: Sie bescherten der CDU ein phänomenales Wahlergebnis und schwächten die kleinen Parteien. Im Angesicht der Krise ist das verständlich. Doch die drängenden Probleme Deutschlands werden so nicht gelöst.

Quelle: ntv.de

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