Hunderte Millionen Menschen hungern Weshalb wir umdenken müssen
11.10.2016, 14:41 Uhr
(Foto: Welthungerhilfe)
Es ist eine stille Katastrophe: Jede Minute sterben fünf Kinder unter fünf Jahren an Hunger, Millionen bleiben wegen Unterernährung körperlich und geistig zurück. Das hat auch mit den Industrienationen zu tun.
Über die Medien dringen Nachrichten von Hungerkatastrophen derzeit wieder für kurze Momente bis in unser Bewusstsein vor: Wenn wir Bilder von Aleppo sehen, wo die syrische Regierung Hunger als Waffe einsetzt und die Bevölkerung von jeglicher Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe abschneidet, um sie zur Aufgabe zu zwingen. Einigen ist vielleicht noch die Hungerkrise in Erinnerung, die Ende vergangenen Jahres das Wetterphänomen El Niño auslöste und in dessen Folge Millionen Menschen durch Dürren oder Überschwemmungen ihre gesamten Lebensgrundlagen verloren und abhängig von Nahrungsmittelhilfe wurden.

Andrea Sonntag ist Referentin für Ernährungspolitik bei der Welthungerhilfe.
(Foto: Welthungerhilfe)
Jenseits dieser Schreckensmeldungen spielt sich aber eine stille Hungerkatastrophe ab, an der jede Minute fünf Kinder unter fünf Jahren sterben – in der Zentralafrikanischen Republik, in Sierra Leone, im Tschad, in Indien oder Haiti.
Der aktuelle Welthunger-Index, der an diesem Dienstag veröffentlicht wurde, zeigt zwar, dass die Hungerwerte in Entwicklungsländern seit dem Jahr 2000 um fast 30 Prozent gesunken sind. Dennoch hungern immer noch 795 Millionen Menschen, und jedes vierte Kind ist aufgrund von Unterernährung in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung zurückgeblieben. Betroffen sind vor allem die Menschen in den Ländern Afrikas südlich der Sahara und in Südasien.
Im vergangenen Jahr haben sich die Regierungen der Welt mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf 17 Ziele verpflichtet, um menschenwürdige Lebensbedingungen für alle zu schaffen und dabei die planetarischen Grenzen nicht zu überschreiten, so dass unsere Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Hunger und Fehlernährung sollen bis zum Jahr 2030 gänzlich überwunden werden.
Die Politik muss die richtigen Weichen stellen
Was hat das mit uns zu tun? Leiden nicht gerade dort Menschen Hunger, wo es keine funktionierenden Regierungen gibt oder Despoten an der Macht sind und korrupte Eliten die Reichtümer eines Landes unter sich aufteilen? Ja. Allerdings tragen in unserer stark globalisierten Welt nicht mehr nur lokale Faktoren zum Hunger bei. Mit der Agenda 2030 erkennen die Regierungen der reichen Länder explizit ihre internationale Verantwortung an. Auch Deutschland muss einen Beitrag dazu leisten, dass alle Menschen sich ausreichend und gesund ernähren können und unsere Wirtschafts- oder Energiepolitik die Hungerbekämpfung nicht konterkarieren.
Die Industrienationen haben den Klimawandel ausgelöst, der armen Kleinbauern die kargen Entwicklungschancen raubt. Deutschland muss wieder eine Vorreiterrolle übernehmen und die Energiewende zügig und konsequent umsetzen. Bereits heute nimmt Deutschland zusätzlich knapp 80 Millionen Hektar – das Doppelte der eigenen Landesfläche – im Ausland in Anspruch, um seinen Bedarf an Agrarprodukten zu decken – Zuckerrohr oder Weizen für Treibstoffe, Soja als Tierfutter oder Palmöl für Margarine, Schokoriegel und Kosmetika. Gesetzliche Regelungen müssen nicht nur garantieren, dass dabei Umweltstandards eingehalten werden, sondern dass das Recht auf Nahrung der Menschen in den betroffenen Ländern nicht durch Landraub oder steigende Nahrungsmittelpreise verletzt wird.
Bewaffnete Konflikte machen Hungerbekämpfung unmöglich. Die deutsche Außenpolitik sollte Maßnahmen der zivilen Krisenprävention und zivilen Friedenssicherung Vorrang einräumen und Waffenexporte an Konfliktakteure weitaus restriktiver handhaben.
Aber auch jeder Einzelne von uns kann einen Beitrag leisten: indem wir zum Beispiel unser Konsumverhalten ändern. Wir leben über unsere Verhältnisse. Wir können darauf achten, nur so viele Lebensmittel zu kaufen, wie wir auch verbrauchen, unseren Fleischkonsum reduzieren, und nachfragen, woher die Produkte, die wir konsumieren, kommen – zum Beispiel auch in Kantinen, Schulen oder Kindergärten.
Und wir können noch etwas tun: unsere Politiker zur Rechenschaft ziehen – denn immerhin gibt es in Deutschland freie Wahlen und eine freie Presse.
Quelle: ntv.de