Ausweisung noch nicht umgesetzt Westen berät über Reaktion auf Erdogan
24.10.2021, 13:55 Uhr
Erdogan gilt zuletzt als politisch und auch gesundheitlich angeschlagen.
(Foto: picture alliance / AA)
Mit großer Geste erklärt der türkische Präsident, dass die Botschafter aus zehn westlichen Staaten in seinem Land unerwünscht seien. Die angekündigte Ausweisung lässt auf sich warten. Während manche Politiker schon Sanktionen fordern, beraten die betroffenen Regierungen, wie sie reagieren sollen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mit der angedrohten Ausweisung von zehn Botschaftern die Beziehungen des Westens zur Türkei vor eine neue Belastungsprobe gestellt. Die betroffenen Staaten, darunter Deutschland und die USA, beraten nun über eine angemessene Reaktion auf Erdogans Ankündigung, ihre Botschafter zu unerwünschten Personen zu erklären. Erdogan hatte zuvor im westtürkischen Eskisehir gesagt, er habe das Außenministerium angewiesen, die zehn Botschafter zur "Persona non grata" zu erklären. Ein solcher Schritt bedeutet in der Regel die Ausweisung der Diplomaten.
Das Auswärtige Amt reagierte zurückhaltend. "Wir haben die Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan sowie die Berichterstattung hierüber zur Kenntnis genommen und beraten uns derzeit intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern", sagte ein Sprecher am Wochenende. Aus Ministeriumskreisen heißt es, man berate sich derzeit intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern. Die türkische Regierung hat den von Erdogan angekündigte Schritt etwa gegen den deutschen Botschafter Jürgen Schulz bisher nicht umgesetzt. Auch die Regierungen von Dänemark und Norwegen erklärten, keine offizielle Mitteilung der Türkei erhalten zu haben.
Die Augen sind nun auch auf den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu gerichtet, der zurzeit in Südkorea ist. Setzt er die Anweisung seines Chefs um, wäre es ein drastischer Schritt, der die Beziehungen des Nato-Partners Türkei zur EU sowie zu den USA stark belasten würde - und das eine Woche vor dem G20 Gipfel in Rom. Dort hofft Erdogan eigentlich auf ein bilaterales Treffen mit US-Präsident Joe Biden.
Hintergrund der Äußerungen Erdogans ist eine Erklärung der Botschafter von Anfang der Woche. Darin fordern sie die Freilassung des türkischen Unternehmers und Kulturförderers Osman Kavala. Der 64-Jährige sitzt seit 2017 in Istanbul in Untersuchungshaft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schon 2019 seine Freilassung angeordnet hatte.
Beziehungen gerade wieder verbessert
Kavala wird beschuldigt, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul 2013 unterstützt und einen Umsturzversuch angezettelt zu haben. Ihm wird außerdem "politische und militärischen Spionage" im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Kritiker sehen die Vorwürfe als politisch motiviert. Schon am Dienstag mussten die Botschafter wegen der Erklärung im türkischen Außenministerium vorstellig werden. Der deutsche Botschafter Jürgen Schulz wurde dabei von seinem Geschäftsträger vertreten. Der Aufruf wurde von der Türkei als Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden, er sei "maßlos" und "inakzeptabel", wurde ihnen deutlich gemacht.
Gerade Deutschland und die Türkei hatten sich eigentlich gerade wieder angenähert, nachdem unter anderem die Inhaftierung deutscher Staatsbürger 2017 zu einem tiefen Zerwürfnis in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Erst vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdogan die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen betont. Die Beziehungen zu den USA wiederum sind schon jetzt belastet. Nach wie vor streiten die Nato-Partner wegen des Kaufs des russischen Raketenabwehrsystem S-400 durch die Türkei. Bidens Vorgänger Donald Trump hatte deswegen Sanktionen gegen Ankara verhängt und die Türkei vom Programm des hochmodernen Kampfflugzeugs F-35 ausgeschlossen. Ankara hatte gerade erst zugesagt, als Ersatz über den Kauf anderer Kampfflugzeuge in den USA zu verhandeln.
Deutsche Politiker verurteilten das türkische Vorgehen scharf. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth forderte Sanktionen und einen Stopp von Rüstungsexporten. Von einer "außenpolitischen Eskalation" sprach der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff schrieb auf Twitter, eine mögliche Ausweisung von zehn Botschaftern "wäre unklug, undiplomatisch und würde den Zusammenhalt des Bündnisses schwächen." Die AFD sieht den Fehler aber auch bei der Bundesregierung und warf dem Auswärtigen Amt "Polit-Aktivismus statt Diplomatie" im Umgang mit Ankara vor.
Spekulation um Erdogans Gesundheit
Erdogan dürfte mit seiner scharfen Rhetorik - wie auch 2017 - auch innenpolitische Ziele verfolgen. Damals kam ihm eine außenpolitische Krise gelegen, denn er konnte vor dem Verfassungsreferendum die Reihen hinter sich schließen. Ein ähnliches Kalkül könnte er nun wieder verfolgen. Im eigenen Land steht Erdogan unter anderem wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage unter Druck. Die türkische Lira verliert immer weiter an Wert. Die Türken leiden zudem unter einer hohen Inflation, vor allem Lebensmittel werden immer teurer.
Erdogan wirkte zudem zuletzt angeschlagen. Spekulationen um seinen Gesundheitszustand waren neu befeuert worden, nachdem er im Juli während einer Rede einnickte. Ein Konflikt mit dem Westen ließe Erdogan stark erscheinen, das Thema Kavala eignet sich dafür besonders gut. Der Philantrop ist nicht nur in der Türkei für seinen Einsatz für die Zivilgesellschaft bekannt, sondern auch in Europa. Mit seiner Organisation Anadolu Kültür arbeitet Kavala unter anderem mit dem Goethe-Institut und anderen deutschen Stiftungen zusammen. Erdogan ist solches Engagement zutiefst suspekt. Er sieht Kavala als Teil eines internationalen Netzwerks, um Unruhen in seinem Land zu schüren.
Unklar ist, ob und wann der Präsident seine Botschafter- Ankündigung wahr macht. Schaden dürfte er damit schon jetzt angerichtet haben. Die regierungsnahe Tageszeitung "Takvim" druckte heute vorsorglich die Fotos der zehn Diplomaten mit Namen auf ihre Titelseite und schrieb dazu auf Türkisch: "Auf Wiedersehen".
Quelle: ntv.de, Mirjam Schmitt, dpa