"Dezinformatsia" für den Westen Wie Russland die US-Wahl beeinflussen könnte
28.07.2024, 09:04 Uhr Artikel anhören
Hinweis auf ein Wahllokal im New Yorker Stadtteil Brooklyn vor vier Jahren.
(Foto: picture alliance/dpa/XinHua)
Nie stand für Russland bei einer US-Wahl so viel auf dem Spiel wie in diesem Jahr. Gewinnt Donald Trump, dürften die Militärhilfen an die Ukraine vorbei sein. Deepfakes, Bots und AI sind die entscheidenden Werkzeuge, um die Wahl zu beeinflussen.
Wenn die Amerikaner im November in die Wahllokale gehen, entscheiden sie nicht nur über ihr eigenes Schicksal. Diese US-Wahl hat eine enorme außenpolitische Bedeutung. Weil der Wahlausgang sich auch auf Taiwan und die Ukraine auswirken wird, haben vor allem China und Russland großes Interesse, diese Wahl zu beeinflussen.
Beide Länder sind bekannt dafür, nicht immer die direkte Konfrontation zu wählen, sondern häufig auf unkonventionelle Mittel zurückzugreifen. "Maskirovka", wörtlich übersetzt "Verkleidung", ist eine Militärdoktrin der ehemaligen UdSSR, die im Kern auf Täuschung ausgelegt ist. Ein Bestandteil davon ist "dezinformatsia". Dabei geht es darum, Gesellschaften im In- und Ausland mit so vielen unterschiedlichen Geschichten zu fluten, dass die Wahrheit kaum mehr zu erkennen ist. Die UdSSR nutzte dafür alle damals verfügbaren Kanäle und setzte für Propagandazwecke auch auf neuste Technologien. So schaffte sie es, internationale Diskussionen zu beeinflussen.
Wie lassen sich Debatten heutzutage durch staatliche Akteure beeinflussen? Im Kern gibt es zwei Arten: einmal das Erzeugen sogenannter Deepfakes. Durch Künstliche Intelligenz (KI) ist es möglich, täuschend echte Videos zu produzieren - auch von Politikern. Und zum anderen mittels falscher Profile auf Social-Media-Plattformen, sogenannter Bots. Wenige Redakteure steuern, zunehmend unterstützt von KI, tausende Profile. Ziel der Bots ist es, ihre eigene Narrative breit zu streuen und so den Diskurs zu beeinflussen. Häufig geben beispielsweise in Russland betriebe Profile vor, Amerikaner zu sein.
Im Westen spielen Deepfakes bislang keine große Rolle
Obwohl sie technisch möglich sind, sind gefakte Videos, Bilder und Audios in westlichen politischen Debatten noch von untergeordneter Bedeutung. CNN berichtet über Deepfakes, die die chinesische und iranische Regierung für die amerikanische Präsidentschaftswahl 2020 vorbereitet, aber nie veröffentlicht haben. Ansonsten tauchen Deepfakes im Westen bisher fast ausschließlich in humoristischen Kontexten auf. Eine Ausnahme sind vereinzelte Eilmeldungen über mögliche Angriffe, wie beispielsweise ein gefaktes Video über eine Attacke auf das Pentagon. Dieses wurde unter anderem vom staatlichen russischen Sender "Russia Today" (RT) verbreitet, aber in kürzester Zeit aufgeklärt.
In anderen Ländern spielen KI und besonders Deepfakes auch heute schon eine größere Rolle in der demokratischen Meinungsfindung. Gerade Taiwan und Moldawien wurden bei ihren letzten Wahlen sehr wahrscheinlich Opfer gezielter chinesischer und russischer Manipulation. Dabei zirkulierten unter anderem Deepfakes und manipulierte Audioaufnahmen der Kandidaten, die den beiden Regimen kritisch gegenüberstanden - in beiden Fällen allerdings erfolglos.
Ausmaß der Einflussnahme kaum zu ermitteln
Es wird insgesamt immer schwieriger, den Überblick zu behalten, welche Informationen woher ihren Ursprung haben. Viele Inhalte wandern durch dutzende unterschiedliche Accounts und Quellen. Häufig starten Falschmeldungen auf RT.com - einem russischen Staatsorgan. Obwohl RT in der EU gesperrt ist, fanden Wissenschaftler des German Marshall Fund of the United States 3019 einzigartige Links auf 316 Domänen in der EU, die mehr oder weniger identische Inhalte verbreiteten. Weltweit schaffen es diese Inhalte so in 40 Länder auf sechs Kontinenten. Die Medien, die die Inhalte verbreiten, reichen von Staatsmedien in Ländern wie Kambodscha, Libanon, Namibia, Nigeria, Zimbabwe und Jemen zu harmlos wirkenden Webseiten in den USA, wie manstuffnews.com oder einer Seite, die mit einem Priester in Texas verbunden ist.
Einmal legitimiert, werden Narrative dann häufig über verschiedene Social-Media-Plattformen gestreut. Teilweise organisch, aber auch häufig mit Hilfe von russischen Bot-Farmen. Das amerikanische Justizministerium hat gerade erst verkündet, die Operation einer russischen Bot-Farm offengelegt zu haben. Ein russischer Geheimdienstmitarbeiter hatte zusammen mit einem Redakteur von Russia Today KI genutzt, um knapp 1000 Profile auf X zu kreieren, die vortäuschten, amerikanische Staatsbürger zu sein, und die russische Propaganda zum Krieg in der Ukraine verbreiteten.
Auch ein Sprecher von Meta bestätigte, dass russische Operationen, die auf die Ukraine zielen, "aggressiv und hartnäckig" seinen. Die Summe vergangener Vorfälle und die klare Motivation seitens Russlands machen es auf jeden Fall sehr wahrscheinlich, dass Russland und China auch aktuell wieder daran arbeiten, über alle verfügbaren Medien Einfluss auf die US-Wahl zu nehmen. Das volle Ausmaß der Einflussnahme und wie effektiv diese ist, wird sich vermutlich nicht feststellen lassen. Der breite Einsatz von beispielsweise Deepfakes wäre zwar relativ offensichtlich. Kommen diese nicht stark zum Einsatz, kann es entweder daran liegen, dass Russland sie nicht als effektives Mittel zur Beeinflussung sieht oder nicht über ausreichend Fähigkeiten verfügt, diese im breiten Stil einzusetzen. Aber viele andere Methoden sind deutlich unauffälliger und, wenn überhaupt, nur mit hohem Aufwand zu ermitteln. Ein klares Indiz liefert der Wahlausgang: Ein Sieg der Demokraten wäre auch ein Scheitern Russlands und Chinas.
Der Autor: Max Orgeldinger (35) ist Geschäftsführer von TLGG - Deutschlands erster Social-Media-Agentur und Digital-Beratung, die einige der größten Unternehmen in Deutschland und darüber hinaus berät.
Quelle: ntv.de