Fragen und Antworten zur Wahl Wie die Ära Netanjahu enden könnte
17.03.2019, 12:43 Uhr
Wahlplakat in Tel Aviv
(Foto: REUTERS)
In Israel wird in drei Wochen ein neues Parlament gewählt. Als Favorit für das Amt des Regierungschefs gilt nach wie vor Amtsinhaber Benjamin Netanjahu. Doch seine Gegner haben ein mächtiges Bündnis geschmiedet. Außerdem droht Netanjahu eine Anklage in mehreren Korruptionsaffären. Fragen und Antworten zum Votum am 9. April.
Wer hat Chancen auf das Amt des Premierministers?
Seitdem der ehemalige israelische Generalstabschef Benny Gantz vor einigen Monaten die politische Bühne betreten hat, scheint die Macht von König Bibi, so wird Netanjahu von seinen Kritikern genannt, in Gefahr zu sein. Der hochdekorierte Offizier ist zum neuen Hoffnungsträger für die Opposition des jüdischen Staates geworden. Und nach seinem Zusammenschluss mit einem weiteren Rivalen Netanjahus hat er eine realistische Chance, Premierminister zu werden.
Das neu formierte blau-weiße Bündnis - bestehend aus den Parteien "Widerstandskraft für Israel" unter Gantz' Führung und "Es gibt eine Zukunft" des Fernsehjournalisten Yair Lapid - liefert sich laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Partei des Ministerpräsidenten. Sollten Lapid und Gantz die Wahl für sich entscheiden, planen sie ein Rotationsverfahren für das Amt des Regierungschefs.
Warum wurden die Wahlen vorgezogen?
Netanjahu hat bereits mehrere Koalitionskrisen überstanden. Ausschlaggebend für die vorgezogenen Wahlen aber war das Austreten von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und seiner Partei "Yisrael Beiteinu" aus der Fünf-Parteien-Koalition, was Netanjahus Bündnis mit einer nur knappen Mehrheit von 61 Sitzen zurückließ. Als seine Partei jedoch versuchte, ein Gesetz zu verabschieden, das ultraorthodoxe Juden zum Militärdienst verpflichten sollte, zerbrach die Koalition schließlich im März vergangenen Jahres, die Knesset wurde aufgelöst und Neuwahlen für den 9. April ausgerufen.
Ein weiterer Grund für die Neuwahlen ist, dass Netanjahu unter Korruptionsverdacht steht. Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit entschied, in drei Fällen Anklage gegen ihn zu erheben.
Warum gibt es in Israel so viele Parteien?
Viele Menschen in Israel glauben, das Ende der Ära Netanjahus zu spüren. Egal ob er die Wahl nun gewinnt oder verliert: Der Streit um sein Erbe hat bereits begonnen. Da er die dominierende Figur seiner Partei ist und dort stets jahrelang seine Gegner verdrängte, findet der Kampf um die künftige Führung Israels außerhalb von Likud statt. Die meisten der neuen Parteien, die sich links und rechts von Netanjahu gebildet haben, werden von Personen geleitet, die sich selbst als nächsten Ministerpräsidenten sehen.
Doch die israelische Gesellschaft ist äußerst heterogen, mit zahlreichen politischen Spaltungen, die entlang der ideologischen, ethnischen und religiösen Linien verlaufen. Sichtbar ist das an der Menge an Parteien, die in der Lage sind, die 3,25-Prozent-Hürde zu überspringen. Lange Zeit hatten Netanjahu und seine konservative Likud-Partei keinen Gegner zu fürchten, weil bei vergangenen Wahlen viele Parteien hauptsächlich angetreten sind, um die 3,25-Prozent-Hürde nur irgendwie zu überwinden. Das Ergebnis ist eine politische Fragmentierung, bei der Minderheiten im Parlament zwar ausreichend vertreten sind, doch politische Stabilität und gute Regierungsführung stets gefährdet sind.
Welche Rolle spielen die arabischen Parteien?
Die Araber in Israel sind keine homogene politische oder ideologische Gemeinschaft. Die verschiedenen Strömungen spiegeln sich in den vier arabischen Parteien - Hadash, Vereinigte Arabische Liste, Balad und Ta'al - wider, die sich vor einigen Jahren zur "Vereinigten Liste" zusammengeschlossen haben. Aufgrund von gegenseitigem Misstrauen und Anschuldigungen ist dieses Bündnis jedoch wieder zerbrochen. 2019 will jede dieser Parteien einzeln antreten.
Neben den internen Turbulenzen in den arabischen Parteien wird das im Sommer verabschiedete "Nationalstaatsgesetz" die Wahlkampfteilnahme im arabischen Sektor definitiv beeinflussen. Es soll den jüdischen Charakter des Staates Israel festschreiben und sorgt für Widerstand bei der arabischen Minderheit.
Welche Koalitionen könnten sich bilden?
Um die Parlamentswahlen zu gewinnen, wird es für Netanjahu oder Gantz nicht reichen, nur die Mehrheit der Stimmen zu bekommen. Entscheidend wird sein, wie die Block-Bildung verläuft. Das blau-weiße Bündnis könnte mit dem linken Spektrum, darunter die Sozialdemokraten und die Meretz-Partei, eine Koalition bilden. Premierminister Netanjahu wird auf vertraute rechte Kräfte, wie etwa die religiösen Parteien setzen. Beide müssen aber hoffen, dass es die kleinen Parteien, die mit dem jeweiligen Gegner koalieren wollen, nicht bis in die Knesset schaffen.
Was passiert, wenn Netanjahu vor der Wahl angeklagt wird?
Wird in Israel ein Premierminister wegen einer schweren Straftat, wie etwa Bestechung, für schuldig befunden, dann endet laut Gesetz seine Amtszeit automatisch und umgehend. Trotzdem gilt auch für ihn zunächst die Unschuldsvermutung und das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren.
Obwohl er vom Generalstaatsanwalt in drei Fällen angeklagt wurde, lehnt Netanjahu seinen Rücktritt bisher ab. Da sich der Schuldspruch hinziehen kann, wäre "Bibi" als wiedergewählter Regierungschef beim anstehenden Gerichtsverfahren in einer guten Position. Für öffentliche Korruption sieht das israelische Gesetz harte Strafen vor. Bei einem Schuldspruch wäre nicht nur sein Amt als Regierungschef beendet, sondern wohl auch seine politische Karriere insgesamt sofort vorbei.
Könnte der Ausgang der Wahl den Nahost-Friedensprozess wiederbeleben?
Das Wort "Frieden" ist in Israel längst ein Fremdwort. Bei einer Wiederwahl Netanjahus - der auch mit ultrarechten Gruppen koalieren möchte - wird die Zweistaatenlösung, trotz Trumps möglichem Friedensplan, weiter ignoriert werden. Zwar erwähnte Gantz das "Israel nicht über ein anderes Volk herrschen dürfte", doch sein Parteiprogramm bleibt in Bezug auf den Umgang mit den Palästinensern vielen Beobachtern ein Rätsel.
Den Friedensprozess wiederzubeleben, ist eine sehr hohe Erwartung an den neuen Wahlsieger und insgesamt eher schwer vorstellbar. Denn trotz der mächtigen Lobby der jüdischen Siedler, dem rechten Nationalismus und der allgemeinen Frustration angesichts stagnierender Friedensgespräche, ist die vorsätzliche Ignoranz der breiten israelischen Öffentlichkeit der wichtigste Wegbereiter für eine fortschreitende Besetzung palästinensischer Gebiete. Und das wiederum hindert die palästinensische Seite, auf Israel zuzugehen.
Quelle: ntv.de