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Soldaten im "Camp Fox" in Polen Wie die Bundeswehr die NATO-Ostflanke schützt

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Rund 320 Männer und Frauen der Bundeswehr sind m Südosten Polens stationiert.

Rund 320 Männer und Frauen der Bundeswehr sind m Südosten Polens stationiert.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit dem Einschlag einer wohl verirrten ukrainischen Rakete in Polen wird klar: Der NATO-Luftraum muss besser geschützt werden. Nun ist die Bundeswehr mit Patriot-Flugabwehrsystemen vor Ort. Politisch sorgte die Verlegung für Spannungen - doch im militärischen Alltag läuft es besser.

Eisiger Wind treibt Schneeflocken über ein Feld. Fünf schwere Militärlaster stehen auf Betonplatten, ihre kastenförmigen Aufbauten zeigen schräg in den Himmel. Es sind Abschussrampen, geladen mit jeweils vier Lenkflugkörpern. Hundert Meter weiter steht "das Auge" - ein riesiges Radargerät, mit dem der Luftraum abgesucht wird. In Miaczyn, einem kleinen Dorf nahe der Stadt Zamosc im Südosten Polens, schützen Einheiten der Bundeswehr mit Patriot-Flugabwehrsystemen ein Stück der NATO-Ostflanke.

Kontingentführer Oberst Jörg Sievers auf dem Gelände des Patriot-Luftabwehrsystems.

Kontingentführer Oberst Jörg Sievers auf dem Gelände des Patriot-Luftabwehrsystems.

(Foto: picture alliance/dpa)

Rund 320 Männer und Frauen der Bundeswehr sind seit Ende Januar dort im Einsatz. Sie bedienen insgesamt drei Patriot-Systeme an zwei Standorten. "Camp Fox" nennt sich das Lager in Miaczyn. Stacheldrahtrollen umgeben das Gelände, Generatoren wummern, in einem beheizten Zelt gibt es Schutz vor der Kälte und heißen Kaffee. Von hier bis zur polnisch-ukrainischen Grenze sind es 33 Kilometer. Oberst Jörg Sievers sieht die Sache pragmatisch. Der Kontingentführer formuliert das wahrscheinlichste Einsatzszenario für die Patriot-Staffel so: "Dass sich eine Rakete durch einen menschlichen Fehler bei der Programmierung oder durch technisches Versagen verflogen hat und wir sie abfangen müssen."

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das EU- und NATO-Mitgliedsland Polen zum Frontstaat geworden. Im vergangenen November schlug in dem ostpolnischen Dorf Przewodow eine Rakete ein, zwei Männer wurden getötet. Soweit bisher bekannt, war es eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete. Der Einschlag machte vielen klar: Polens Luftraum muss besser geschützt werden. Was folgte, war ein Gerangel, das typisch ist für das derzeit angespannte deutsch-polnische Verhältnis.

Zusammenarbeit mit polnischen Soldaten "hervorragend"

Die damalige Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht vereinbarte mit ihrem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak, deutsche Patriots nach Polen zu verlegen. Doch dann schlug Blaszczak plötzlich vor, Deutschland solle die Patriots besser in der Ukraine stationieren. Berlin reagierte verschnupft. Schließlich einigte man sich doch. Im militärischen Alltag gebe es diese Misstöne nicht, versichert Oberst Sievers. "Auf der Arbeitsebene läuft die Kooperation mit der polnischen Armee hervorragend." Das muss sie auch, denn der Ernstfall erfordert blitzschnelles Handeln. "Wir würden nicht unterscheiden, ob das eine ukrainische oder russische Rakete ist. Jede Rakete, die angeflogen kommt, ist eine Waffe und wird durch uns bekämpft. Die Entscheidungszeit dafür beträgt drei bis fünf Minuten", erklärt der 53-jährige Offizier.

Der Luftraum über Zamosc wird von der Bundeswehr und dem Air Operations Center der polnischen Armee in Warschau beobachtet. Nähert sich eine Rakete oder ein Marschflugkörper, darf der deutsche Kontingentführer die Entscheidung treffen. Beim Anflug eines Flugzeugs oder Hubschraubers muss dagegen klar sein, dass es ein feindliches Objekt ist. "In diesem Fall würde der Bekämpfungsbefehl vom polnischen Luftverteidigungskommando kommen", sagt Sievers. Parallel dazu überprüfe das ein Bundeswehr-Offizier mit Sitz in Warschau. Den versehentlichen Abschuss einer Passagiermaschine hält Sievers für unwahrscheinlich: "Im ukrainischen Luftraum findet derzeit keine zivile Luftfahrt statt."

Region ist Schauplatz deutscher Kriegsverbrechen

Mit ihren Patriot-Systemen schützt die Bundeswehr nicht nur die Stadt Zamosc, sondern auch eine ganz besondere Eisenbahnlinie. Die Güterbahnstrecke Nr. 65 verläuft von Schlesien über Zamosc bis an die polnisch-ukrainische Grenze. Im kommunistischen Polen wurde sie in russischer Breitspur gebaut, um Schwefel und Kohle in die Sowjetunion zu transportieren. Keine andere Bahnstrecke mit der auch in der Ukraine gebräuchlichen Breitspur beginnt so weit im Westen. Deshalb hat die Linie nun eine zentrale Bedeutung für die Versorgung der Ukraine mit westlicher Militärhilfe. Regelmäßig rollen hier Waggons mit gut getarnten schweren Waffen Richtung Osten.

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Die Region um Zamosc war im Winter 1942/43 Ort eines großen deutschen Kriegsverbrechens, der "Aktion Zamosc". Nach der NS-Rassenpolitik sollte das strategisch wichtige Gebiet zum "Musterbezirk germanischer Wehrbauern" werden. Um für sie Platz zu schaffen, wurden rund 100.000 Polen aus 300 Dörfern vertrieben.

Was sagen die Menschen hier zur Anwesenheit der Bundeswehr auf polnischem Boden? Ältere Leute würden sich sicher noch an die NS-Kriegsverbrechen erinnern, die jüngere Generation betrachte die Welt aber anders, sagt Ryszard Borowski, Bürgermeister der Gemeinde Miaczyn. "Die Menschen fühlen sich sicherer durch die Anwesenheit der Bundeswehr mit ihren Patriots. Und Putin hat hoffentlich ein bisschen mehr Respekt."

Quelle: ntv.de, Doris Heimann, dpa

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