Faktencheck zur Wahl Wie geht es den Niederländern wirklich?
15.03.2017, 10:02 Uhr
Geert Wilders behauptet, die Niederlande seien im Verfall begriffen. Ministerpräsident Mark Rutte sagt, er habe das Land aus der Krise geführt. Was stimmt?
Gewählt wird heute die Zweite Kammer des Parlamentes im Binnenhof, der seit Jahrhunderten das Zentrum der politischen Macht in den Niederlanden ist. Die Zweite Kammer hat 150 Sitze, die nun neu vergeben werden.
Ebenfalls im Binnenhof befindet sich die Erste Kammer, deren Funktion in etwa mit der des Bundesrates vergleichbar ist. Ihre Zusammensetzung wird von den Provinzparlamenten bestimmt.
Die Niederlande wählen ein neues Parlament und mit Spannung wird erwartet, wie die rechtpopulistische PVV unter Geert Wilders bei dem Votum abschneiden wird. Emotional aufgeladen hat die PVV den Wahlkampf unter anderem mit Forderungen nach einem Koran-Verbot oder mit der Ankündigung eines EU-Austritts des Landes - falls es eine Regierung unter Wilders geben wird. Neben den rechtspopulistischen Themen konnte Wilders jedoch auch damit punkten, dass er den Niederländern große soziale Entlastungen in Aussicht gestellt hat.
Wilders behauptet, Ministerpräsident Mark Rutte habe das Land in vielen Bereichen heruntergewirtschaftet, die Menschen seien regelrecht ausgebrannt. Doch was ist dran an den Behauptungen? Wie geht es den Niederländern wirklich? Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung nimmt wichtige Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft unter die Lupe. Ein Faktencheck:
Arbeitsmarkt:
Beim Thema Beschäftigung geht es den Niederlanden vergleichsweise sehr gut. Zwar war etwa die Jugendarbeitslosigkeit 2015 mit 11,3 Prozent deutlich höher als vor der Krise (5,3 Prozent). Doch die Werte sinken seit Jahren beständig. Mit 11,3 Prozent hat das Land eine der geringsten Jugendarbeitslosigkeitsquoten in der EU. Auch die Zahl junger Menschen zwischen 20 und 24 Jahren, die weder eine Arbeit noch eine Ausbildung haben, sei mit 7 Prozent weit unter dem EU-Schnitt von 17 Prozent, so die Studie.
Insgesamt liegt die Arbeitslosigkeit bei 6,9 Prozent. Drei Prozent der Niederländer sind langzeitarbeitslos. Das sind niedrige Werte, jedoch nur europäisches Mittelfeld. Eine ganze Reihe großer und kleiner Volkswirtschaften, unter anderem Deutschland und Dänemark, schneidet besser ab.
Wenn Geert Wilders davon spricht, dass junge Migranten nur sehr schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind, hat er laut der Studie recht: Im EU-Vergleich belegen die Niederlande hierbei den vorletzten Platz. Auch ältere Arbeitslose über 50 Jahre haben es demnach sehr schwer, wieder einen Job zu finden.
Belastung privater Haushalte:
Geert Wilders spricht oft davon, dass es mit den Niederlanden wirtschaftlich bergab gehen würde. Ministerpräsident Mark Rutte hingegen behauptet, eine seiner großen Leistungen sei es gewesen, das Land aus der Krise zu führen. Beim TV-Duell der Kontrahenten zu Wochenbeginn sagte Wilders, Rutte wisse gar nicht, wie es bei den Menschen zu Hause aussehe. Richtig ist, dass die Regierung den Niederlanden 2008 eine strenge Sparpolitik auferlegt haben, um die Folgen der weltweiten Finanzkrise abzufedern.
Die Schere zwischen der sehr gut verdienenden Oberschicht und der Mittel- und Unterschicht mit vergleichsweise kleinen Einkommen öffnet sich schnell. Der Grund dafür liegt der Studie zufolge in der sehr großen Verschuldung privater Haushalte, eine der höchsten in Europa.
Etliche Bürger seien von Armut bedroht, doch der Staat verstehe es vergleichsweise gut, diese zu bekämpfen, so die Autoren. 17 Prozent der Niederländer waren 2015 armutsgefährdet – der drittniedrigste Wert im EU-Vergleich. Der Anteil der Menschen in Altersarmut ist EU-weit der geringste.
Sozial- und Rentenpolitik:
Geert Wilders sagte in dem TV-Duell, er schäme sich dafür, in einem Land zu leben, das seine Gefangenen besser behandele als seine Senioren. Eine gewagte Aussage. Das niederländische Rentensystem hat der Studie zufolge EU-weit immer noch Vorbildcharakter. Unabhängig davon, ob jemand jemals Beiträge gezahlt hat, bekommt er in den Niederlanden ab dem 65. Lebensjahr mindestens 45 Prozent seines Durchschnittslohns oder 70 Prozent des Mindestlohns ausgezahlt. Auch die Kinderbetreuungsquote lag in den Niederlanden 2015 mit 45 Prozent weit über dem EU-Durchschnitt von 28 Prozent.
Globalisierung, Abschottung, "Nexit"
Die Niederlande haben eine jahrhundertealte Tradition der internationalen Handelsbeziehungen und der Vernetzung in der Welt. Geert Wilders stellt genau diese Tradition infrage und fordert, die Grenzen zu schließen und aus der EU auszutreten. Bei vielen Bürgern findet er mit dieser Forderung Gehör, denn viele Niederländer fürchteten sich vor den Folgen der Globalisierung, so die Studie. Knapp 40 Prozent rechnen mit "bedrohlichen" Folgen. Vor allem die PVV-Wähler fürchten sich vor der internationalen Vernetzung: 57 Prozent empfinden die Globalisierung als Bedrohung.
Tatsächlich hat die Globalisierung für die Wirtschaft des Landes positive Auswirkungen. Im Untersuchungszeitraum zwischen 1990 und 2014 stieg das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um jährlich 690 Euro - als direkte Folge der Globalisierung. In anderen EU-Staaten wie Irland, Finnland, Österreich oder Deutschland war dieser Zugewinn der Studie zufolge jedoch noch deutlicher.
Quelle: ntv.de