Von der Leyens Bundeswehrreform Wie viel ist Attraktivität wert?
29.10.2014, 15:08 Uhr
Überraschende Auszeit. Wegen eines Feueralarms muss Verteidigungsministerin von der Leyen die Bundespressekonferenz kurzfristig verlassen.
(Foto: REUTERS)
Verteidigungsministerin von der Leyen legt ein Gesetz vor, das die Attraktivität der Bundeswehr steigern soll. Dabei geht es um mehr als WLAN auf der Stube und Kita-Plätze in jeder Kaserne. Die Pläne kosten hunderte Millionen Euro.
Die Leiterin der Bundespressekonferenz weißt die Verteidigungsministerin darauf hin, dass sie nur noch 15 Minuten hat. Ursula von der Leyen reißt die Augen auf. "Was ist mit der Feuerwehr-Viertelstunde?" Gleich zu Beginn ihres Gesprächs mit Journalisten hatte ein Feueralarm die Runde unterbrochen. Alle mussten das Gebäude für ein paar Minuten verlassen. Und diese Minuten fehlen von der Leyen jetzt.
Die Verteidigungsministerin hat an diesem Mittwochmorgen ein großes Mitteilungsbedürfnis. Sie stellt einen Gesetzentwurf vor, der den Dienst bei der Bundeswehr vor allem für qualifizierte Männer und Frauen reizvoller gestalten soll - ein Teil ihrer großen Attraktivitätsoffensive. Da die CDU-Politikerin dafür wiederholt Kritik einstecken musste, will sie diese Pressekonferenz auch dafür nutzen, diese Kritik endgültig zu entkräften.
Anfang Juni stellte sie die Attraktivitätsoffensive erstmals vor. Weniger Versetzungen an andere Standorte, eine Kita und WLAN in jeder Kaserne, bessere Ausbilder. Damals musste von der Leyen sich vom ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat anhören: Die Ministerin komme ihm vor "wie eine gute Hausfrau, die ihre Kinder versorgt." Was die Truppe aber wirklich brauche, sei bessere Ausrüstung. "Von der Leyen hat ganz offensichtlich keine Ahnung von Militär." Kujat entschuldigte sich später zwar für seine Wortwahl, an seiner Kritik hielt er aber fest.
Nun konzentriert sich von der Leyen auf die Teile ihrer Offensive, die ein neues Gesetz erfordern, das "Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr". Die entscheidenden Punkte:
- Die Truppe bekommt erstmals eine Regelung für die Wochenarbeitszeit. Wie bei Beamten soll sie künftig bei 41 Stunden liegen. Ausgenommen sind Soldaten im Auslandseinsatz oder auf hoher See. Wer mehr arbeitet, bekommt seine Überstunden vergütet.
- Soldaten im Heimatdienst erhalten mehr Möglichkeiten, in Teilzeit zu arbeiten.
- Der Sold für freiwillige Wehrdienstleistende steigt um zwei Euro am Tag.
- Besonders gefragte Soldaten können mit Zuschlägen von bis zu 20 Prozent auf ihr Gehalt rechnen.
- Auch wer besondere Risiken eingeht, zum Beispiel die Mitglieder der Kommando-Spezial-Kräfte, kriegen ein Gehaltsplus.
- Hinzu kommen deutliche Verbesserungen bei der Rente. Ein Oberstabsarzt etwa, der 20 Jahre gedient hat, kann jährlich bis zu 1300 Euro mehr erhalten.
Doch noch ehe von der Leyen ihr Gesetz in der Regierung abgestimmt und präsentiert hatte, ertönte wieder diese Kritik. Diesmal berichteten Medien, dass die Attraktivitätsoffensive dafür sorge, dass bei der Ausrüstung der Truppe gespart werden müsse. Schon 2016 fehlten 300 Millionen Euro. Die "Bild"-Zeitung zitierte aus einem internen Papier der Bundeswehr: "Sollten die Verdrängungseffekte anderer Ausgabenbereiche zu Lasten der militärischen Beschaffungen weiter anhalten, wird dies die Fähigkeiten der Bundeswehr auf der Zeitachse deutlich reduzieren." Kritik die wehtut, denn in den vergangenen Wochen machte die Truppe durch diverse Berichte über Mängel und nicht einsatzbereites Gerät Schlagzeilen.
0,89 Prozent des Verteidigungsetats
Von der Leyen antwortet mit einem Beispiel: "Wir haben zurzeit vier U-Boote, von denen aus personaltechnischen Gründen nur zwei gefahren werden können", sagt sie. Auch bei anderen Bundeswehrpannen habe es nicht nur am Material gelegen, sondern oft auch daran, dass Techniker und Prüfer gefehlt hätten. Von der Leyen sagt, die Einsatzfähigkeit der Truppe dürfe nicht immer nur eindimensional betrachtet werden. Natürlich brauche sie neues Gerät, aber eben auch qualifiziertes Personal, dass es bedienen kann. Und wenn es darum gehe, dieses Personal anzuwerben, habe die Bundeswehr noch großen Nachholbedarf angesichts der Konkurrenz insbesondere durch den deutschen Mittelstand.
Von der Leyen bezeichnet es als "Risiko", das eine gegen das andere auszuspielen. Die Kosten für ihre Reform hält sie zudem für überschaubar. 2015 wird die Attraktivitätsoffensive knapp 120 Millionen Euro kosten, 2016 rund 300 Millionen, 2017 und 2018 werden es dann 270 und 250 Millionen sein. "Das ist eine wichtige Summe, aber das ist in der Relation etwas, das wir ohne weiteres umsetzen können." Der gesamte Wehretat umfasst 2015 rund 32 Milliarden Euro und steigt bis 2018 auf 33 Milliarden Euro. Die Attraktivitätsoffensive macht höchstens 0,89 Prozent aus.
Als sie nach dem Feueralarm ihre Pressekonferenz fortsetzten konnte, sagte von der Leyen über Pannen in der Truppe: "Wenn ein Kratzer auf der Windschutzscheibe ist, dann wird die ganze Flotte gegroundet." Was sind dagegen schon ein paar Minuten Zeitverlust durch eine heulende Sirene? Von der Leyen bekommt ihre Argumente unter. Und am Ende gelingt es ihr irgendwie auch noch, ihre Forderung nach einem neuen "Weißbuch" noch in dieser Legislaturperiode unterzubringen, einem neuen Sicherheitspolitischen Gesamtkonzept der Bundesregierung.
Quelle: ntv.de