Politik

"Letzte Generation" bei Lanz "Wir machen das nicht aus Spaß"

Carla Rochel vertritt in der Sendung von Markus Lanz die "Letzte Generation".

Carla Rochel vertritt in der Sendung von Markus Lanz die "Letzte Generation".

(Foto: ZDF und Cornelia Lehmann)

Sie setzen sich auf Straßen, kleben sich fest, verursachen Staus. Denn sie wollen kämpfen. Gegen den Klimawandel, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Am Abend ist eine junge Frau zu Gast bei Markus Lanz im ZDF. Sie gehört zur Gruppe "Letzte Generation".

Carla Rochel wirkt, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Sie ist zwanzig Jahre alt, studiert in Heidelberg. Ihre Familie sei schon immer "sehr politisch" gewesen, sagt sie, berichtet von Diskussionen beim Abendbrot.

Vor Kurzem war Carla Rochel im Knast. Nicht das erste Mal. Denn sie gehört zur Gruppe "Letzte Generation". Sie und ihre Mitstreiter setzen sich auf Straßen, manche kleben sich fest, mit einfachem Sekundenkleber. "Weil wir dieses Unrecht der Klimakatastrophe nicht mehr aushalten können und weil wir gerade alles verlieren, das wir kennen und an das wir uns gewöhnt haben", erklärt sie am Mittwochabend in der ZDF-Talkshow Markus Lanz, der hin und wieder seine Rolle als Moderator verlässt, um ihre Aktionen zu kritisieren.

Zu tun hat es Carla Rochel an diesem Abend auch mit Grünen-Urgestein Jürgen Trittin. Der hat 1977 zum ersten Mal einen Bauplatz für ein Atomkraftwerk besetzt, erzählt er. Das war der "schnelle Brüter" in Kalkar. Am Ende war er maßgeblich an den ersten Gesetzen zum Ausstieg aus der Atomenergie beteiligt. Das war 22 Jahre später. An ihm könnte sich Carla Rochel ein Beispiel nehmen und sich politisch betätigen, statt auf der Straße zu kleben. Doch das will sie nicht. Parteiarbeit dauere ihr zu lange. Vor allem: Die Klimakatastrophe müsse man jetzt aufhalten, nicht in zwanzig Jahren.

Billiges Bahnticket und Tempolimit

Zu ihrer Gruppe gehören Menschen aller Art, sagt Rochel: Jugendliche genauso wie Rentner, die sich Sorgen machen um die Zukunft ihrer Enkel. Sie selber war Aktivistin bei Fridays for Future. Aber: "Man hat gesehen, dass deren Proteste einfach ignoriert wurden, trotz einer Million Menschen auf der Straße", sagt sie. "Die Antwort von der Regierung war ein verfassungswidriges Klimapaket. Die Verfassung, auf die wir uns einmal geeinigt haben, wird einfach ignoriert. Das Grundgesetz wird durch den Dreck gezogen." Als sie das begriffen habe, da habe sie verstanden: Mit ein paar Schildchen und Demos erreichst du nichts.

Ende Januar hat sie sich das erste Mal in Berlin auf einer Straße festgeklebt. "Wir haben uns das gut überlegt", erzählt sie. "Wir gehen nur auf die Straße, wenn es sicher ist. Und natürlich bilden wir immer eine Rettungsgasse." Die vorbeifahrenden Autofahrer reagieren teils genervt, teils mit Verständnis auf die Demonstranten. Rochel berichtet von einer Mutter, die ihrer kleinen Tochter den Grund für die Sitzblockade erklären wollte und mittendrin zu weinen begann.

Was die Demonstranten erreichen wollen, überrascht dann doch in seiner Einfachheit: Das Neun-Euro-Bahnticket müsse wiederkommen, und ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen. "Wenn diese Dinge da sind, gehen wir von der Straße", verspricht Rochel.

"Dafür der ganze Aufwand?" fragt Lanz. Das sei erst der Anfang, aber mit irgendwas müsse man ja anfangen, antwortet Rochel. "Wir wollen von der Bundesregierung ein Zeichen, dass sie verstanden hat, was die Klimakatastrophe bedeutet." Deswegen haben die Aktivisten für den heutigen Donnerstag ein Gespräch mit Bundeskanzler Scholz und drei Ministern vorgeschlagen. "Wir sind diskussionsbereit", sagt Rochel.

Trittin ist unzufrieden

Hier schaltet sich Jürgen Trittin ein. Er kann ein gewisses Verständnis für die Demonstranten nicht leugnen. Er scheint sich an seine Jugend zu erinnern, wirkt manchmal sogar etwas melancholisch. Er sagt: "Wir müssen sehr schnell umsteuern, und wir müssen sehr schnell sehr viel CO2 einsparen." Aber diese Art von außerparlamentarischem Protest funktioniere nur, wenn er politisch institutionalisiert werde, erklärt er. Tatsächlich hatten sich in den 1970er Jahren die ersten "Grünen Listen" gegründet, um der Anti-AKW-Bewegung eine politische Stimme zu geben. Allerdings hat Trittin Zweifel, wenn es um die Forderungen der "Letzten Generation" geht. Ein Tempolimit auf Autobahnen brächte Einsparungen von etwa fünf Millionen Tonnen CO2. In der aktuellen Krise ist das seiner Ansicht nach viel zu wenig. "Das, was im Bereich der erneuerbaren Energien seit 2001 auf den Weg gebracht worden ist, hat dazu geführt, dass heute in der Stromerzeugung so viel CO2 eingespart wird, wie die gesamte PKW-Flotte verbraucht", erklärt er stolz.

Schließlich kommt Lanz auf einen Unfall zu sprechen, der sich vergangene Woche in Berlin ereignet hat. Dabei hatte ein Betonmischer eine Radfahrerin überrollt und eingeklemmt. Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr hatte wegen einer Demonstration der "Letzten Generation" den Unfallort verspätet erreicht, die Frau erlag später ihren Verletzungen. Seitdem wird über eine Mitschuld der Klimaaktivisten geredet, die Rochel zurückweist. Ein Vermerk der diensthabenden Notärztin gibt ihr Recht: Das Fahrzeug wäre auch dann nicht zum Einsatz gekommen, wenn es früher dagewesen wäre. Die Feuerwehr hat die Angelegenheit untersucht, ihre Ergebnisse will sie in den nächsten Tagen veröffentlichen. Experten verweisen darauf, dass dem beteiligten Betonmischer möglicherweise eine wichtige technische Vorrichtung fehlte: Ein Abbiegeassistent, der den Unfall verhindern hätte können.

Kartoffelbrei auf Gemälden

Zum Schluss kommt Lanz auf die Aktionen zu sprechen, bei denen Gemälde mit Kartoffelbrei und Tomatensuppe bespritzt worden sind. "Auch da achten wir auf Sicherheit", sagt Rochel. Die Gemälde seien durch Glasscheiben geschützt, die Lebensmittel könnten schnell abgewischt werden. "Wir machen das, weil all diese Kunst nichts mehr Wert sein wird, weil sie in den Fluten versinken wird, weil meine Kinder keine Chance mehr haben werden, sich Kunst im Museum anzuschauen", begründet sie die Aktionen. Das kann Moderator Markus Lanz nun gar nicht überzeugen: Er kenne da so bestimmte Stellen in den Dolomiten, da könne man die Bilder schon zwischenlagern, sagt er.

Auch wenn am Ende der Sendung die Ziele der Klimaaktivisten doch sehr ernüchternd wirken, und auch, wenn nach wie vor viele Menschen mit Unverständnis auf die Aktivisten reagieren werden - wenn Rochel Sätze sagt wie "Wir machen das nicht aus Spaß", dann wird ihre Verzweiflung deutlich, dass aus der "Last Generation" eine "Lost Generation" werden könnte.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen