Politik

Europa hadert mit seinem Gewicht Wo ist die EU im syrischen Friedensprozess?

Das soll nicht wieder passieren: Bomben, die auf Aleppo in Syrien fliegen. Derzeit hat die EU aber wenig Einfluss darauf.

Das soll nicht wieder passieren: Bomben, die auf Aleppo in Syrien fliegen. Derzeit hat die EU aber wenig Einfluss darauf.

(Foto: AP)

Ob die Waffenruhe in Syrien hält, hängt vor allem von Russland und den USA ab. Die EU ist nur Beobachter, obwohl sie von Flüchtlingsbewegungen viel stärker betroffen ist.

Die Waffenruhe in Syrien hält. Zum Glück. Noch. In Europa bangen Außenpolitiker angesichts des fragilen Friedens in dem geschundenen Bürgerkriegsland. Denn scheitert das Abkommen, könnte das wieder neue Fluchtbewegungen in Richtung Europa auslösen.

Dass man in Europa besorgt ist, hat noch einen weiteren Grund: Die Waffenruhe haben die USA und Russland ausgehandelt. Die EU war von dem Bürgerkrieg zwar deutlich stärker betroffen als die beiden großen Spieler auf der Welt, doch sie ist trotzdem nur Beobachter. Mit dieser Rolle hadert sie zusehends.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in seiner Rede zur Lage der Union mit Blick auf den Friedensprozess in Syrien: "Wo ist die Union, wo sind ihre Mitgliedstaaten, wenn über eine Lösung verhandelt wird?" Und Juncker ging noch weiter: "Selbst wenn Europa stolz darauf ist, eine weltgewichtige Soft Power zu sein, dürfen wir nicht naiv sein. Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht Soft Power allein nicht mehr aus." Juncker setzt auf ein gemeinsames Hauptquartier für Auslandseinsätze und langfristig eine europäische Armee.

Ähnlich äußerte sich wenige Tage zuvor bereits der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok: "Wir haben keine politische Kraft", klagte er im Deutschlandradio. Wie Juncker forderte auch Brok eine echte europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Syrische Opposition fordert mehr Einsatz Europas

Zumindest, wenn es um mehr diplomatisches Gewicht geht, gibt es noch viele solcher Stimmen. "Für einen Ausweg aus dem andauernden syrischen Dilemma sind im Moment Russland und die USA entscheidend. Die EU kann keinen von den beiden ersetzen", sagt der Vorsitzende der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer n-tv.de. "Die EU sollte sich dafür einsetzen, das amerikanisch-russische Duo Schritt für Schritt in eine multilaterale Runde unter Beteiligung der Türkei, Saudi-Arabiens und des Iran, aber auch Chinas, der Vereinten Nationen und der EU selbst zu überführen. Nur ein solcher multilateraler Rahmen bietet eine Chance, den Konflikt auszutrocknen."

Die europäischen Sozialdemokraten bringen mit Verve ihre Außenbeauftragte Mogherini in Stellung, um mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Selbstverständlich könne die Gemeinschaft noch mehr leisten, sagt der SPD-Abgeordnete im Europaparlament Knut Fleckenstein n-tv.de. "Die Arbeit fängt doch jetzt erst an - sofern der Waffenstillstand hält. Über Federica Mogherini wird sich die EU beim Wiederaufbau Syriens maßgeblich einbringen." Auch Fleckenstein, der im Auswärtigen Ausschuss sitzt, geht davon aus, dass es einen nachhaltigen Frieden nur dann geben kann, wenn alle direkt und indirekt Beteiligten am Verhandlungstisch sitzen - neben den regionalen Mächten, Russland und den USA also selbstredend auch die EU.

Auch die syrische Opposition setzt darauf, dass  die EU im Friedensprozess eine größere Rolle spielt. Salem al-Meslet, Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees (HNC), sagte der "Süddeutschen Zeitung": Die Staaten Europas hätten "Großartiges auf der humanitären Seite geleistet". Das Bündnis, in dem Dutzende syrische Oppositionsgruppen zusammenarbeiten, wolle aber "eine größere, eine wirkliche Rolle" der europäischen Staaten bei der Lösung des Konflikts.

In der Bundesregierung ist die europäische Armee kein Thema mehr

Kann die EU diesem Anspruch gerecht werden? Derzeit ringt die Gemeinschaft vor allem mit sich selbst. In der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, dass es um die Solidarität in Europa schlecht bestellt ist. Von den 160.000 Flüchtlingen, die gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt werden sollten, sind bisher nur etwas mehr als 2000 umgesiedelt worden. Einzelne Nationalstaaten sperren sich. Mit Großbritannien ist ein gewichtiges Mitgliedsland auf dem Weg, aus der Gemeinschaft auszusteigen. Die Europaverdrossenheit ist auch in anderen Staaten groß. Die Union droht zusehends in zwei Lager zu zerfallen, den Club-Med, die südeuropäischen Mitglieder, die mehr Europa wollen, und den Visegrad-Staaten, den Osteuropäern, die mehr Nationalstaat bevorzugen. Einer gemeinsamen außenpolitischen Haltung, geschweige denn einer weiteren Vertiefung in der Außen- und Verteidigungspolitik, ist das nicht zuträglich.

Die Bundesregierung scheint Pläne wie eine europäische Armee auch schon längst in die Kategorie unrealistisch aussortiert zu haben. Während dieses Ziel noch im Koalitionsvertrag von 2013 steht, ist es im neuen Weißbuch, den Leitlinien der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nicht mehr zu finden. Aber immerhin: Mit den Briten zeichnet sich ab, dass einer der größten Gegner dieses Vertiefungsschritts die Gemeinschaft verlässt. Das eröffnet neue Möglichkeiten.

Sehr wohl im Weißbuch formuliert ist zudem das Bewusstsein, dass die EU "administrative Schwerfälligkeiten" und "Redundanzen" überwinden muss, um den schwindenden amerikanischen Anspruch, die Welt zu gestalten, kompensieren zu können. Die Rolle der EU bei den Friedensverhandlungen in Syrien ist allerdings ein deutliches Zeichen dafür, dass der Weg dorthin noch sehr weit ist.

Quelle: ntv.de

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