Grüner Parteitag Worum es für die Grünen in Münster geht
11.11.2016, 09:48 Uhr
Reinhard Bütikofer: Der frühe deutsche Grünen-Chef führt seit 2012 die Europäischen Grünen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ab heute treffen sich die Grünen zu ihrer Bundesdelegiertenkonferenz. Abgesehen von den üblichen Überraschungen lassen sich mühelos Punkte für Konflikt anführen. Die grundsätzliche Frage für die Partei ist aber eine ganz andere.
Wenn sich die Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen an diesem Wochenende zu ihrem Parteitag in Münster versammeln, ist eines gewiss: es wird eine durchaus lebendige Veranstaltung. Harmonie pur ist noch nie ein grünes Markenzeichen gewesen. Da zudem bei Grünen-Parteitagen die Delegiertenbasis eine größere Rolle spielt als bei anderen Parteien - und das durchaus selbstbewusst - ist immer mit Überraschungen zu rechnen. Oft genug habe ich mich vor Parteitagen gefragt, was wohl diesmal die Überraschung sein würde. Dieselbe Frage stellen sich vor diesem Wochenende Simone Peter und Cem Özdemir.
Doch über dem Parteitag in Münster liegt diesmal eine besondere Spannung. Dafür sind die Punkte, die im Vorfeld für Aufregung gesorgt haben mehr Indikator als Grund.
- Sollen wirklich ab 2030 nur noch Autos neu zugelassen werden, die keinen Verbrennungsmotor mehr haben?
- Wollen wir wirklich zu diesem Thema ausgerechnet den Daimler-Chef Dieter Zetsche hören?
- Wollen wir uns, nachdem vor vier Jahren eine sachlich wie kommunikativ verkorkste Steuerpolitik Mitursache für ein bescheidenes Wahlergebnis war, tatsächlich noch einmal auf eine Diskussion um die Vermögenssteuer einlassen?
- Wollen wir Winfried Kretschmann, diesen wertkonservativen Grünen aus der baden-württembergischen Provinz, die Rolle als Grünes Zugpferd auch über die Grenzen seines Bundeslandes hinaus einräumen, die er dort so außerordentlich erfolgreich wahrnimmt?
Die Liste ließe sich leicht verlängern. Aber nur, wenn man einen Schritt zurück macht und das Gesamtbild betrachtet, statt sich in diese einzelnen kontroversen Punkte zu verbeißen, sieht man, dass es letztlich um eine einzige, dafür sehr gewichtige Frage geht: Können wir Grüne für die Bundestagswahl 2017 gemeinsam einen Kurs finden, mit dem wir das Dümpeln in der Zehn-Prozent-Zone hinter uns lassen, klar die drittstärkste Partei in Deutschland werden und damit entscheidenden Einfluss auf den weiteren Weg unseres Landes gewinnen?
Es liegt auf der Hand, dass unterschiedliche Flügel in einer Partei sich immer wieder neu zusammenraufen müssen. Dass es verschiedene Strömungen gibt, ist so lange kein Problem, wie sie wirklich Strömungen sind und keine stehenden Gewässer. Wenn sich innerparteiliche Lager gegenseitig belauern, belagern, blockieren oder immer nur auf einen recht kleinen gemeinsamen Nenner einigen können, dann leidet darunter die Attraktivität des ganzen Projektes. Der Parteitag wird zeigen, wie gut das die verschiedenen Seiten verstanden haben.
Zu einer Zeit, in der die Attraktivität und Orientierungskraft der früheren Volksparteien ständig abnimmt, in der der Populismus von Rechts in unserem Land und um uns herum immer wieder neue Erfolge feiert - gerade erst Trump, - und in der man den Eindruck hat, es überlagerten sich im selben historischen Moment mehr Krisen als man früher in einem ganzen Jahrzehnt erlebte; zu einer solchen Zeit können es sich die Grünen gar nicht leisten, keinen Ehrgeiz zu zeigen, nicht selbst zur Orientierungspartei zu werden, gesellschaftliche Bewegungen zu ignorieren, woher immer sie kommen, sich in der Dialogbereitschaft einzuschränken.
Unsere Gesellschaft ist längst bereit zu mehr Veränderung als viele ihr zutrauen. Aber sie will auch Sicherheit im Wandel. Überall sucht sie Leitideen, die beides versprechen. In diesem Wettbewerb müssen wir mitspielen.
Quelle: ntv.de