Politik

Habeck im ntv.de-Interview "Zeit, die Köpfe ins Wasser zu stecken und abzukühlen"

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Habeck will in Neu-Delhi auch kontroverse Themen ansprechen.

Habeck will in Neu-Delhi auch kontroverse Themen ansprechen.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Robert Habeck hofft auf ein besseres zweites Halbjahr für die Ampel, auch wenn diese ihre Leistungen nicht verstecken müsse. Im ausführlichen Interview mit ntv.de spricht der Bundeswirtschaftsminister zudem über seine heute beginnende Indien-Reise. Das Land habe "das Potenzial, eines der wachstumsstärksten Länder zu werden", sagt der Grünen-Politiker im ausführlichen Interview mit ntv.de. Das berge große Chancen für Deutschland und Europa, auch mit Blick auf die zu große Abhängigkeit von China. Habeck geht die Diversifizierung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen nicht schnell genug voran. Doch auch in Indien erwarte er "schwierige Diskussionen", insbesondere wegen Indiens enger Beziehungen zu Russland.


ntv.de: Der Bundeskanzler, der Finanzminister, die Außenministerin, der Verteidigungsminister und der Arbeitsminister waren bereits in Indien. Nun folgt der Wirtschaftsminister. Was erhofft sich die Bundesregierung von dieser Charme-Offensive?

Robert Habeck: Indien ist mit etwas über 1,4 Milliarden Einwohnern das einwohnerstärkste Land der Welt - knapp vor China. Und Indien hat das Potenzial, eines der wachstumsstärksten Länder zu werden. Natürlich ist China aktuell wirtschaftlich deutlich stärker, aber ökonomisch gesehen gehört Indien zu einem der spannendsten Länder. Es ist auch im geopolitischen Kontext ein unglaublich wichtiges Land, auch wenn wir schwierige Diskussionen führen. Wir wollen vor diesem Hintergrund eine sehr viel engere Zusammenarbeit, ohne naiv zu sein.

Ähnlich viel Aufmerksamkeit schenkt die Bundesregierung zwei weiteren BRICS-Staaten, Südafrika und Brasilien. Ist das Ausdruck einer Machtverschiebung, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt nun um Schwellenländer buhlen muss?

Wir reisen ja nicht nur dorthin. Aber es sind nun mal wirtschaftlich wichtige Länder, die zugleich Regionalmächte sind. Deutschland und die EU und auch die USA müssen sich in einem neuen globalen Umfeld behaupten. Das gilt natürlich zuerst mit Blick auf China, aber auch viele andere Länder entwickeln sich schnell. Wir können uns eine wirtschaftspolitische Hybris nicht mehr leisten. Wir müssen uns schon bemühen und im globalen Wettbewerb mitspielen statt an der Seitenlinie zu stehen. China und die USA werden auch in Zukunft die großen handelspolitischen Schwergewichte sein. Genau darum ist es zwingend, dass Deutschland und Europa sich Partner suchen. Und natürlich spielt auch die Geopolitik eine Rolle. Indien ist ein Gegengewicht zu China und ein wichtiger Player im Indo-Pazifik.

Fruchten die Bemühungen schon?

Ja, es gibt Fortschritte. Ein Beispiel: Die EU führt - und das ist absolut in unserem Interesse - Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Es ist aber nicht so, dass Indien mit wehenden Fahnen versucht, Premiumpartner des Westens zu werden. Es kauft zum Beispiel viel Öl für wenig Geld aus Russland. Die Beziehung zu Indien ist wichtig, aber eben auch kompliziert. Das werden wir adressieren und auch kritische Felder ansprechen.

Indien soll nach dem Willen der Bundesregierung eine Schlüsselrolle spielen bei der Diversifizierung der deutschen Wirtschaft, also bei der Verringerung der Abhängigkeit von China. Für Firmen, die ihre Produktionsstandorte aus China weg verlagern, ist Indien nicht unbedingt die allererste Wahl. Was muss sich ändern?

Es geht doch zuallererst gar nicht um Produktionsverlagerung von China in andere Länder. Es geht vor allem um Neuinvestitionen. Insofern kann Indien - wenn das Vertrauen weitergewachsen ist - ein interessanter Standort sein.

Sie haben die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen erwähnt. Der erste Versuch war 2013 nach jahrelangen Gesprächen gescheitert. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es diesmal klappt?

Na ja, es gibt immerhin eine neue Dynamik, zu der auch die Bundesregierung auf europäischer Ebene beigetragen hat. Es sind bereits einige Handelsabkommen auf dem Weg, das wichtigste ist das mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Da gibt es auf beiden Seiten den festen Willen, zu einem Abschluss zu kommen. Bei Indien hat die Europäische Union die Verhandlungen 2022 wieder aufgenommen und zuletzt im Juni verhandelt. Aber die Debatten und die Diskussion bei Mercosur lässt sich nicht ein zu eins auf Indien übertragen.

Wieso nicht?

Mit Indien geht es vor allem um IT-Dienstleistungen, Pharma-Patente, Industriegüter. Bei Mercosur war der Agrarbereich ein Feld, wo es viele Ängste und Vorbehalte gab. Wir als Bundesregierung haben ein großes Interesse daran, dass die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und Indien gelingen. Aber ja, es gibt da noch viel Gesprächsbedarf.

Doch auch im Industriebereich dürfte es schwierig sein. Schließlich hat die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi protektionistische Tendenzen, errichtet Importschranken und kündigt Investitionsabkommen. Während der Corona-Pandemie verbot sie die Ausfuhr von Corona-Impfstoff ...

Während der Pandemie haben sich viele Länder abgeschottet, nicht nur Indien. Das Land war von der Pandemie schwer getroffen, das war eine Ausnahmesituation. Wir sehen aber auch bei Indien ein großes Interesse die Verhandlungen beim EU-Freihandelsabkommen erfolgreich zu beenden. Die Regierung will, dass europäische Unternehmen und damit auch deutsche Unternehmen dort investieren.

Wie viel Strahlkraft hat Deutschland als Volkswirtschaft, wenn wir beim Wachstum derzeit auf dem letzten Platz der OECD-Staaten stehen?

Bis heute spüren wir die Folgen der hohen Abhängigkeit von russischen fossilen Importen. Aber wir haben uns im vergangenen Jahr gemeinsam mit unseren Unternehmen gegen die Energiekrise gestemmt - und zwar erfolgreich. Und das wird auch im Ausland mit hohem Respekt verfolgt. Wir haben gute Betriebe, es kommen relevante Investitionen und Ansiedlungen nach Deutschland. Wir sind ein starker Standort. Aber ja: Die Herausforderungen sind groß, die strukturellen Probleme der letzten Jahrzehnte - Fachkräftemangel, Demografie - schlagen jetzt zu Buche. Und wir waren zu langsam beim Ausbau der erneuerbaren Energien und haben zu zögerlich in die Zukunft investiert.

Kann die Botschaft an Indien auch sein: Seht, was passieren kann, wenn man sich von fossilen Energieträgern abhängig macht?

Die Botschaft lautet anders: Die Märkte der Zukunft drehen sich um die grüne Energie. Nachdem Deutschlands Wohlstand über viele Jahrzehnte maßgeblich auf der Basis von fossiler Energie erwirtschaftet wurde, möchte ich nicht mit dem moralischen Zeigefinger auftreten. Aber die Zukunft liegt in grünen Produkten. Wenn Indien Stahl nach Europa verkaufen will, dann muss es grüner Stahl sein, sonst öffnet sich der europäische Markt nicht oder ein CO2-Preis wird bei Einfuhr fällig.

Demokratie-Indikatoren zeigen für Indien nach unten. Ist Indien ein Beispiel dafür, dass auf der Suche nach neuen strategischen Partnern in der Welt nicht immer die reine Lehre gilt?

Es gibt wahrscheinlich keine denkbare Welt und schon gar keine politische, in der man immer die reine Lehre durchziehen kann. Welche Lebensmittel wollen wir konsumieren? Wie gehen wir mit Rüstungsexporten um? Da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Dazwischen sind viele Grautöne. Und jede Frage ist immer im Kontext zu sehen, das zeigt nicht zuletzt der russische Angriffskrieg in der Ukraine, wo die Staatengemeinschaft viele schwierige Fragen beantworten musste. Indien ist ein Land mit einer eigenen Kultur, eigenen Traditionen, eigenen Herausforderungen, eigenen Problemen. Es gibt dort auch Werte und Normen, die unseren nicht entsprechen. Dennoch kann es ein wichtiger Handelspartner werden. Gleichzeitig meiden wir schwierige Fragen wie die Menschenrechtslage nicht.

Wenn Indien eine Alternative sein soll: Haben Sie denn den Eindruck, dass in der deutschen Wirtschaft schon ein Umdenken stattgefunden hat oder ist der Abbau von Abhängigkeiten mehr ein Lippenbekenntnis?

Die Achtsamkeit ist gestiegen. Aber Umsteuern braucht Zeit. Umso wichtiger ist, dass wir es angehen. Die deutsche Wirtschaft hat lange Zeit sehr stark einseitig auf China gesetzt. Und es gibt in China für deutsche Unternehmen noch immer eine Menge zu gewinnen, aber auch eine Menge zu verlieren. Fragen des Marktzugangs sind weiter schwierig, ganz zu schweigen von Fragen der Risikostreuung. Wir müssen uns breiter aufstellen.

Indien beteiligt sich nicht an den Sanktionen gegen Russland, der Handel floriert. Wie sehr stört Sie diese indisch-russische Freundschaft?

Die historisch gewachsene Zurückhaltung Indiens ist aus europäischer Sicht schwer genug zu verstehen. Dass Indien durch seine hohen Ölimporte aus Russland aktiv von den Sanktionen gegen Russland und der Gesamtlage profitiert, finde ich nicht richtig.

Das werden Sie auch zur Sprache bringen?

Ja, so wie ich das schon bei früheren Gesprächen gemacht habe. Und ich höre natürlich auch die Argumente der indischen Partner, die sagen: "Wir wollen kein russisches Öl, aber wir brauchen Öl. Wir sind unserem Land verpflichtet und kaufen es so billig wie möglich."

Deutschland und Europa leiden unter einer Hitzewelle. Auch Indien durchlitt dieses Jahr Extremtemperaturen …

… und wurde nun von einem starken Monsun getroffen. Was wir derzeit erleben, ist erst der Anfang: Wir sind bei 1,2 bis 1,3 Grad globaler Erderwärmung. Selbst wenn wir sofort aufhören würden, fossile Energien zu verbrennen, ist schon so viel CO2 in der Atmosphäre, dass es unvermeidlich heißer und das Wetter extremer werden wird. Wir müssen mindestens verhindern, dass bestimmte Kipppunkte überschritten werden. Und schon das wird schwer genug. Natürlich muss Politik verschiedene Fragen miteinander in Ausgleich bringen: soziale Fragen, das verfügbare Investitionskapital, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Aber die Zielrichtung muss uns allen klar sein. Die fossilen Energieträger sind vielleicht kurzfristig billiger, dauerhaft aber fatal teurer. Das dürfte auch in Indien der Fall sein.

Die Transformation verlangt aber auch Ihnen persönlich viel ab. Haben Sie nach Ihrer kleinen Deutschlandreise in der vergangenen Woche den Eindruck, dass die Bevölkerung dem Beispiel der FDP folgen und sich schlagartig in das Heizungsgesetz verlieben wird?

Mein Eindruck ist, dass sich die Debatte politisch beruhigt hat. Die Inhalte des Gesetzes sind geeint und Anfang September berät das Parlament es abschließend. Jetzt ist es wichtig, nach der zugespitzten Debatte ruhig zu erklären, wie der Umstieg funktioniert und wie der Staat unterstützt, damit die Umsetzung dann pragmatisch vonstatten gehen kann. Unterm Strich war es ein schwerer Weg, aber wenn das Gesetz durch ist, haben wir dann auch etwas Weitgehendes geschafft: den Einstieg in die Dekarbonisierung des Heizens.

Sie haben dafür aber viel Prügel einstecken müssen. Droht Ihnen ein Gerhard-Schröder-Effekt, dessen Sozialstaatsreformen erst unter seiner Nachfolgerin Wirkung entfalteten?

Deutschland verbraucht 30 Prozent seiner Energie im Wärmebereich. Bis 2045 speist sich dieser Sektor dann aus erneuerbaren Energien. Solche Gesetze werden für Generationen geschrieben. Und mit Verlaub: Vergleiche mit Gerhard Schröder möchte ich hier nicht ziehen. Er hatte Erfolge als Kanzler, aber er hat sie durch seine Freundschaft mit Putin leider zunichte gemacht.

Sie haben auch Sachsen besucht. Wissen Sie, warum im Osten den Grünen und auch Ihnen persönlich besonders viel Abneigung entgegenschlägt?

Die Gründe, warum bestimmte Erzählungen im Osten stärker verfangen, sind vielschichtig und oftmals sehen wir auch eine starke Stadt-Land-Debatte, die dahintersteht. Ich habe in Sachsen Mitarbeiter von Handwerksbetrieben, Vertreter der Handelskammern, Unternehmerinnen und Unternehmer getroffen. Wir haben geredet, einander kennengelernt. Es wurden Sorgen geäußert und hier und da gab es ein Nicken, ein Blick und ein Lächeln. Ich hoffe, dass dieser direkte Kontakt vielleicht hilft, den Raum fürs Gespräch zu öffnen. Es gibt keine andere Region, wo ich in den vergangenen eineinhalb Jahren als Minister so oft war wie im Osten Deutschlands. Ich werde weiter diesen Austausch suchen.

Warum wird das zweite Halbjahr für Sie und Ihre Kabinettskolleginnen angenehmer als das erste?

Noch angenehmer? (lacht) Die Bilanz der Ampel fällt merkwürdig auseinander. Mit dem, was wir vorangebracht haben, müssen wir uns nicht verstecken. Da haben wir enorm viel geschafft. Unsere Außendarstellung ist dagegen kritikwürdig gewesen. Niemand in der Regierung hat davon profitiert. Aus dem Lauf heraus ist das schwer zu ändern, aber jetzt haben alle Beteiligten ein bisschen Zeit, die Köpfe ins Wasser zu stecken und abzukühlen. Danach wird es ein noch besseres halbes Jahr.

Mit Robert Habeck sprachen Sebastian Huld und Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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