Pinke Penisballons vorm Gericht Zirkusdirektor Trump lässt andere für sich springen
22.05.2024, 01:39 Uhr Artikel anhören
Das übliche Bild der vergangenen Wochen: Donald Trump gibt im Flur des Gerichtsgebäudes eine Stellungnahme ab, neben ihm steht sein Anwalt Todd Blanche.
(Foto: AP)
Im 15. Stock des Strafgerichtshofes von Manhattan lässt Richter Merchan keine Spielchen zu, greift hart durch, und auch Donald Trump muss folgen. Außerhalb gelten jedoch andere Regeln. Das führt zu einem zirkusähnlichen Treiben.
Sex, Schweigegeld, Machtstreben. Darum geht es seit dem 15. April im Prozess gegen Donald Trump in Manhattan. Inzwischen steht er kurz vor dem Abschluss. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung hat ihre Zeugen befragt, ins Kreuzverhör genommen und ihre Beweisführung für beendet erklärt.
Der Anklage zufolge hatte Trump im Präsidentschaftswahlkampf 2016 der Schauspielerin Stormy Daniels über seinen Mittelsmann Michael Cohen 130.000 US-Dollar zahlen lassen. Daniels habe nicht über den Geschlechtsverkehr reden sollen, den die beiden ihrer Aussage zufolge hatten. Laut mehreren Zeugen befürchtete Trump, dass die Veröffentlichung schlecht für seine Siegchancen gewesen wäre. Die Anklage will ihm nachweisen, dass er bewusst die Erstattungen an Cohen tarnte, um illegale Wahlkampffinanzierung zu verstecken. Dafür droht ihm sogar eine Gefängnisstrafe.
Es ist der erste Strafprozess gegen einen früheren US-Staatschef, im New Yorker Gericht wird also Geschichte geschrieben. Trump und seine MAGA-Unterstützer haben jedoch einen kleinen Zirkus daraus gemacht. Trump verhält sich darin wie der Direktor, der stellenweise die Linie vorgibt, aber ansonsten seine Anhänger, Politiker und Juristen für sich springen lässt. Was das bedeutet und außerhalb des Gerichtssaals noch vor sich geht? Eine Auswahl.
Kamerafront, Demonstranten und Kunstaktion
Auf der Straße vor der gräulichen Trutzburg im südlichen Manhattan summt an jedem Verhandlungstag ein riesiger medialer Bienenstock, der die Vorkommnisse im Gerichtssaal kommentiert. Darin sind Kameras nicht zugelassen. Produktionsteams stellen sich deshalb in Reihe auf der anderen Straßenseite auf, um ihre Reporter mit dem Gebäude im Hintergrund in Szene zu setzen. Blöd nur für die Bilder, dass nicht etwa die vordere Eingangstür zu sehen ist, sondern das riesige Baugerüst, das sie verdeckt. Um hineinzukommen, kampieren Besucher schon in der Nacht und stehen Journalisten jedes Mal sehr lange an. Oder sie zahlen jemandem 50 US-Dollar pro Stunde, damit er ihnen bis morgens einen vorderen Platz in der Reihe freihält.
Die Geschworenen, die Zeugen sowie Trump selbst betreten und verlassen das Gerichtsgebäude durch andere Türen. Im Flur des 15. Stocks hat Trump sich vor und nach jedem Verhandlungstag über die angebliche Hexenjagd gegen ihn beschwert, die Demokraten und seinen Rivalen, über US-Präsident Joe Biden, gelästert sowie die Tagespolitik kommentiert. An manchen Tagen ist er danach auf Wahlkampftermine in der Nähe gegangen. So versucht der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, mögliche negative Folgen seiner obligatorischen Anwesenheit Gericht abzumildern. Doch New York City ist für ihn und die MAGA-Welt politisches Feindesland. Die Wähler der Stadt entscheiden sich üblicherweise mit überwältigender Mehrheit für die Demokraten.
Auf der Plaza auf der anderen Seite der Straße und Kameras stehen an den Verhandlungstagen auch einige wenige Anhänger Trumps, die ihre Ansichten kundtun. An einem Tag heißt es auf einem Aufsteller etwa: "The Deep State American Stasi vs. Donald Trump". Einige Dutzend Meter entfernt werden mögliche Trump-Gegner von der Polizei eingepfercht. "Niemand steht über dem Gesetz", ist dort von vielen die Botschaft. Am vergangenen Donnerstag stoppt plötzlich ein Kastenwagen vor dem Gerichtsgebäude. Ein Künstler lässt pinkfarbene Penisballons mit den Gesichtern von Richter Juan Merchan, des klagenden Staatsanwalts Alvin Bragg sowie Jack Smith in Richtung des Verhandlungssaals im 15. Stock steigen. Die Polizei ist präsent - und beobachtet das Treiben lediglich.
Der Selbstmörder
- Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
- Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
- Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
- In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
- Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).
Am 18. April jedoch ist es damit nicht getan. Maxwell Azzarello ist nach Manhattan gekommen. Er lässt sich zunächst mit einem Schild fotografieren: "Trump ist mit Biden verbündet und sie stehen davor, einen faschistischen Staatsstreich zu führen", ist darauf zu lesen. Er lässt ein paar Flugblätter mit den Titeln wie "Geheimnisse unserer verrotteten Welt" fallen, auf denen er vor einem kurz bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch warnt. Dann holt er Brandbeschleuniger aus seinem Rucksack, übergießt sich damit und setzt sich selbst in Flammen. Zwei Tage später stirbt Azzarello in einem Krankenhaus an den Folgen.
Parade der Politiker
Da Trump selbst auf der Anklagebank sitzt, koordinieren dessen Berater offenbar die Besuche von Politikern. Jeden Tag jetten andere nach New York; die meisten, um in den Gerichtssaal zu paradieren und sich hinter Trump zu setzen. Dort hält es sie aber nicht; viele von ihnen gehen nach draußen, um vor den Mikrofonen Stellungnahmen abzugeben. Die Republikaner nutzen die mediale Aufmerksamkeit, greifen die Prozessbeteiligten sowie Demokraten an und stellen Trump zugleich als verfolgtes Unschuldslamm dar. Dieser freut sich offenbar darüber: "Sie sprechen sehr schön über mich", sagte er am Montag.
Trump selbst darf in der Zeit des Prozesses nicht alles sagen oder in sozialen Medien veröffentlichen. Mehrfach hat er jedoch gegen die verhängte Schweigepflicht verstoßen und zukünftige Zeugen, den Richter und andere Beteiligte beschimpft. Der Richter verhängte Geldstrafen und drohte, ihn bei einem weiteren Verstoß hinter Gitter zu bringen. Im Gerichtssaal darf der sonst so redefreudige Ex-Präsident sich ohnehin nicht laut äußern, er tuschelt nur gelegentlich mit seinen Anwälten. Bis zuletzt hielten diese sich offen, ob der Ex-Präsident auch selbst in den Zeugenstand treten würde, bevor sie schließlich darauf verzichteten.
Die wohl bemerkenswerteste Rede hielt der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson vergangene Woche auf der Plaza. Der "Scheinprozess" sei ein "Hohn auf die Gerechtigkeit", polterte der Republikaner in die Mikrofone, damit werde die Justiz missbraucht. Minutenlang attackierte er die Staatsanwaltschaft und den Richter, sie seien korrupt und steckten mit den Demokraten unter einer Decke: "Sie tun dies absichtlich, um ihn vom Wahlkampf abzuhalten." Dies sei Wahleinmischung vonseiten der Justiz.
Der Hintergrund: Viele von Trumps Verbündeten kritisieren die Auswahl des Richters, der vor vier Jahren als Kleinspender der Demokraten registriert wurde sowie wegen dessen Tochter, die für Politiker der Demokraten tätig war.
Johnson ist der ranghöchste Politiker nach US-Präsident Joe Biden. Viele weitere haben sich im Verlauf des Gerichtsprozesses vor Ort geäußert. Die Abgeordnete Lauren Boebert etwa echauffierte sich darüber, dass Trump angeblich nicht darüber informiert worden sei, welches Verbrechen er begangen haben soll. Ihr Kollege Matt Gaetz äußerte sich ebenfalls und erregte wegen eines Fotos Aufsehen. Er postete eine Aufnahme von sich, wie er im Gerichtsgang hinter Trump steht: "Standing back and standing by, Mr. President", hatte er dazu geschrieben, eine Referenz auf die Pro-Trump-Miliz "Proud Boys", die an der Erstürmung des Kongresses am 6. Januar 2021 beteiligt war.
Keine Spielchen erlaubt
Trumps Verteidiger hatten permanent den Kronzeugen Cohen attackiert und ihm Lügen vorgeworfen. Am vorletzten Tag der Zeugenbefragungen riefen Trumps Verteidiger überraschend den Anwalt Robert Costello in den Zeugenstand. Richter Merchan ließ ihn nach Abwägung zu, warnte aber: "Ich werde nicht zulassen, dass es einen Prozess in einem Prozess gibt." Costello, ein enger Freund von Trumps früherem Anwalt Rudy Giuliani, hatte früher mit Cohen zu tun und sollte ihn zusätzlich diskreditieren. Doch vor allem tat er dies mit sich selbst.
Hörbar kommentierte Costello mehrere Entscheidungen des Richters abfällig. Dieser ermahnte den Zeugen zunächst streng, schickte danach sogar die Geschworenen und Journalisten aus dem Saal, um Costello erneut zu rügen. Merchan drohte Trumps Anwälten, ihren Zeugen zu entfernen und seine Aussagen komplett streichen zu lassen, würde der sich nicht benehmen. Das tat er danach. Es war einer der hitzigsten Momente des Prozesses.
Nun neigt sich der Zirkus dem Ende zu. Diese Woche sind keine Verhandlungstage mehr angesetzt, dafür am Dienstag kommender Woche die Abschlussplädoyers. Danach wird der Richter die Geschworenen ausführlich darüber informieren, unter welchen Gesichtspunkten sie beraten und über Trumps Schuld oder Unschuld zu entscheiden haben. Spricht die Jury den Ex-Präsidenten schuldig, wird der Richter das Strafmaß festsetzen. Bleiben die Geschworenen uneinig, wird Merchan einen Fehlprozess ohne Urteil verkünden müssen. Dann entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie die Anklage aufrechterhält, einen neuen Prozess anstrebt oder nicht. Dann käme der Zirkus bestimmt wieder.
Quelle: ntv.de