Politik

Linksextrem und antisemitisch Was ist das für ein Verein, der jetzt verboten wird?

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Auf einer propalästinensischen Demonstration in Duisburg wurden am Montag auch Samidoun-Fahnen gezeigt.

Auf einer propalästinensischen Demonstration in Duisburg wurden am Montag auch Samidoun-Fahnen gezeigt.

(Foto: picture alliance / Jochen Tack)

Bundeskanzler Scholz kündigt im Bundestag ein Verbot des Vereins Samidoun an. Wie die Terrorgruppe Hamas propagiert Samidoun die Vernichtung Israels. Anders als bei der Hamas ist dieses Ziel jedoch eingebettet in eine linksextreme Ideologie.

Wenn auf deutschen Straßen eine Terrorgruppe bejubelt wird, die gerade hunderte Menschen ermordet und Dutzende entführt hat, dann ist das nicht nur widerwärtig, sondern auch illegal. Aufsehen erregte zuletzt vor allem ein Verein namens Samidoun, dessen Mitglieder am vergangenen Samstag, dem ersten Tag des Hamas-Überfalls auf Israel, süße Backwaren auf einer Jubelfeier von fünfzig bis sechzig Personen in der Sonnenallee verteilten. Einer Straße, die durch den Berliner Bezirk Neukölln führt.

Anders als die Hamas ist Samidoun nicht islamistisch. Der Verein gilt als Vorfeldorganisation der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), einer linksextremistischen Terrorgruppe mit Sitz in Damaskus, deren Anhängerschaft der Verfassungsschutz in Deutschland auf einhundert Personen schätzt. Bei allen ideologischen Unterschieden zur Hamas gibt es eine zentrale Gemeinsamkeit: Wie die Hamas fordert Samidoun die "Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer" - also vom Jordan, der zwischen Westjordanland und dem Königreich Jordanien fließt, bis zum Mittelmeer.

Die Forderung ist gleichbedeutend mit dem Ruf nach einer Vernichtung Israels, die von Samidoun mit einer antiimperialistischen und "linken" Rhetorik vorgebracht wird. Auch auf traditionellen Kundgebungen der deutschen Linken ist Samidoun mitunter vertreten, etwa im vergangenen Jahr bei der Demonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Am vergangenen Samstag feierte Samidoun auf "X", dem früheren Twitter, den Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel als "Widerstand", der nun begonnen habe.

Spendensammlungen und Propaganda

Dem Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin zufolge wurde Samidoun 2011 gegründet. Das Netzwerk mit Hauptsitz in den USA setze sich für palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen ein - vor allem für Häftlinge mit Verbindungen zur PFLP. Der Landesverfassungsschutz beziffert das Personenpotenzial der PFLP in Berlin auf 50 Personen. Anhänger von Samidoun hätten sich wiederholt an Demonstrationen beteiligt, bei denen antisemitische und israelfeindliche Parolen skandiert worden seien.

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel sagte dem RBB, er beobachte, dass der Nahost-Konflikt auch an einzelnen Schulen in seinem Bezirk ausgetragen werde. Dies betreffe vor allem Schülerinnen und Schüler, die zu Hause viele arabische Medien konsumierten. Pro-palästinensische Demonstrationen gebe es vermehrt, seit Samidoun in Neukölln aktiv sei, so der SPD-Politiker. Im Mittelpunkt stehe fast immer die Hetze gegen Israel und Juden. Das dürfe die Politik nicht akzeptieren.

Tatsächlich soll nun Schluss damit sein. In einer Regierungserklärung im Bundestag kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz am Morgen ein Verbot von Samidoun an. "Unser Vereinsrecht ist ein scharfes Schwert. Und dieses Schwert werden wir als starker Rechtsstaat hier ziehen", so Scholz. Die Ankündigung war offenkundig auch als Zeichen gedacht - normalerweise wird ein solches Verbot nicht vom Kanzler in einer Rede im Bundestag verkündet, sondern vom Bundesinnenministerium mitgeteilt. In der Regel laufen dann bereits Durchsuchungen in den betroffenen Vereinen.

"Rote Hilfe" beendet Zusammenarbeit mit Samidoun

Die PFLP steht seit 2002 auf der Terrorliste der Europäischen Union. Anders als in Israel und dem Westjordanland ist die Organisation laut Bundesamt für den Verfassungsschutz in Deutschland "nicht terroristisch tätig". Die in Deutschland aktiven Anhänger der Gruppe "verbreiten insbesondere israelfeindliche Propaganda und versuchen, politische Unterstützung sowie Spenden zur Unterstützung ihrer Strukturen und des bewaffneten Kampfes in Nahost zu generieren". Ehemalige PFLP-Terroristen würden gezielt zur Indoktrinierung nach Deutschland eingeladen.

Als linksextreme Organisation, die sich für Häftlinge einsetzt, hat Samidoun auch Verbindungen zum Verein "Rote Hilfe", laut Bundesverfassungsschutz eine der wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus. Deren primäres Betätigungsfeld sei "die Unterstützung linksextremistischer Straftäter sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit". Am Mittwoch teilte die Rote Hilfe mit, Samidoun habe "linke Grundprinzipien" verletzt, zu denen - wie es in der Pressemitteilung heißt - auch der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg gehörten. Die bislang laufende Kampagne zur Unterstützung eines Samidoun-Aktivisten werde daher "mit sofortiger Wirkung" beendet.

"Eindeutiges Signal"

Scholz kündigte im Bundestag zudem ein Betätigungsverbot für die Hamas an. Die Hamas selbst ist in Europa wie die PFLP längst als terroristische Organisation eingestuft - als Organisation gibt es sie formal in Deutschland nicht, daher kann sie auch nicht verboten werden. Die Verwendung von Kennzeichen der Hamas war schon bisher strafbar.

Die Anhängerschaft der Hamas schätzt das Bundesamt für den Verfassungsschutz auf 450 Personen, der Berliner Verfassungsschutz spricht - bezogen auf die Hauptstadt - von einem Potenzial von 100 Personen. Mitglieder und Anhänger der Hamas hätten in Deutschland vorrangig zwei Ziele, heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht: "Zum einen versuchen sie über Spendensammlungen, die Hamas zu unterstützen. Zum anderen sind sie daran interessiert, den politischen und gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland propalästinensisch im Sinne der Hamas zu beeinflussen." Mit dem Betätigungsverbot soll das verhindert, zumindest aber erschwert werden.

Beide Verbote sollen "schnellstmöglich" vollzogen werden, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte. Die Verbote seien "das eindeutige Signal, dass jede Solidarisierung und jede Unterstützung des Terrors der Hamas unterbunden wird".

Quelle: ntv.de

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