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Putsch gegen Putin? Der schöne Traum vom "Regime Change"

Auf einer Demonstration am Donnerstag in Düsseldorf.

Auf einer Demonstration am Donnerstag in Düsseldorf.

(Foto: imago images/Michael Gstettenbauer)

Die Hoffnung darauf, dass Putin gestürzt wird, ist Wunschdenken. Aber so sehr der Blick auf eine Ablösung des russischen Machthabers in die Irre führt, so sehr stimmt er auf längere Sicht.

Wenn der Krieg in der Ukraine der eines einzelnen Mannes ist, dann könnte er in dem Moment zu Ende sein, in dem dieser Mann die Macht verliert: Wladimir Putin.

Extreme Blüten dieser Sicht auf die Dinge sind das "Kopfgeld", das ein Exil-Russe auf Putin ausgesetzt hat, oder die Rufe eines US-Senators nach einem Killerkommando. In Wahrheit ist es bloß Wunschdenken, um von der eigenen Ohnmacht abzulenken. Gerade die Bundesregierung hat den Konflikt entlang dieser Logik maximal personalisiert: "Das ist Putins Krieg", sagt der Bundeskanzler. Wie jeder vor ihm in diesem Amt weiß Olaf Scholz um die Kriegsverbrechen Deutschlands in Russland, weshalb er bei der Auseinandersetzung einen möglichst großen Unterschied zwischen den Menschen dort und ihrem Anführer machen will. Alles, was Deutschland unter seiner Regie tut, richtet sich demnach gegen den Kriegsherrn Putin und seine Kreml-Clique, nicht gegen die Russen.

Diese Fokussierung mag ihre guten Gründe haben, trotzdem ist sie Ausdruck erheblicher Ratlosigkeit, und zwei große Schwachstellen hat sie auch: Erstens ist sie nur die Hälfte der Wahrheit. Und zweitens befeuert sie allerlei Hoffnungen auf einen "Regime Change", die mit der Realität wohl nur wenig zu tun haben.

Denn natürlich treffen die drastischen Wirtschaftssanktionen die Menschen in Russland hart. Die Regale in den Supermärkten leeren sich, viele Waren werden über die von außen angefachte Inflation zusehends unerschwinglich. Die Mittelschicht wird ihrer Wohlstandshoffnung beraubt und nicht nur die Beschäftigten in den russischen VW-Werken arbeitslos. Die EU und die USA haben einen Krieg eröffnet, den sie zu führen verstehen: einen Wirtschaftskrieg aus der Position des klar Stärkeren. Schuld daran trägt allein Putin, doch die Lasten können seine milliardenschweren Oligarchenfreunde noch am leichtesten verkraften - anders als etwa die zig Millionen russischen Rentner.

Der Kreml hat dem Volk das Hirn gewaschen

Zum anderen schießen wegen der fadenkreuzartigen Fokussierung auf Putins Person die Fantasien ins Kraut, wer in Russland einen "Regime Change" herbeiführen oder herbeiputschen könnte. Die Generäle? Die westverliebten Oligarchen aus Angst um ihr Geld? Der KGB? Das scheint Wunschdenken zu sein - verständlich, aber irreal. Selbst der KGB-Chef zitterte vor Angst, als er öffentlich von Putin zurechtgewiesen wurde. Auch deutet kaum etwas darauf hin, dass die Oligarchen die politischen Kräfte mobilisieren könnten, den Kreml-Chef zu stürzen. Sie haben vor langer Zeit ihren Deal mit Putin gemacht, sich also aus der Politik verabschiedet, um ungestört ihren Geschäften nachgehen zu können, und wer es von ihnen nicht tat, ist zumeist ins Ausland geflohen oder sitzt im Gefängnis.

Und schließlich ist der Mut der Demonstranten gegen Putins Krieg atemberaubend, sie setzen sich der vollen Wucht seines Machtapparates aus, und trotzdem gehen sie auf die Straßen etlicher Städte in Russland. Aber vor einer Massenbewegung ist das Aufbegehren bislang weit entfernt. Der Kreml hat dem eigenen Volk über Jahre das Gehirn gewaschen, es mit krudem Nationalismus vergiftet und fast alle unabhängigen Medien mundtot gemacht. Zwar ließen sich viele Intellektuelle oder Wissenschaftler nicht täuschen, aber wenn sie ihre Stimme erheben, fehlt der Resonanzraum im Volk. Diese Enthauptung der Gesellschaft ist Putin gelungen, jetzt schützt sie ihn.

Aber: So sehr der Blick auf einen baldigen "Regime Change" in die Irre führt, so sehr stimmt er auf längere Sicht: Über ein stabiles Zusammenleben auf dem gemeinsamen Kontinent wird mit Russland nicht zu reden sein, solange Putin im Kreml herrscht. Heißt: Der anstehende Neustart der Beziehungen kann, wenn überhaupt, erst nach einem Wechsel erfolgen. Ohne Wladimir Putin, der so viel Blut an den Händen hat. Genug ist genug.

Quelle: ntv.de

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