Schwarz-Gelb in der Halbzeitpause Kanzlerin drückt es so aus: "Scheiße"
30.06.2011, 14:31 Uhr
Was soll da noch kommen? Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Rösler in der Bundestagsdebatte zum Atomausstieg.
(Foto: AP)
Die schwarz-gelbe Zwischenbilanz der Unionsfraktion fällt mager aus. Kein Wunder - es ist eine Liste des Versagens. Das gilt für die ambitionslose Energiewende ebenso wie für die Außenpolitik oder die Wahlrechtsreform. Selbst die Kanzlerin bemüht einen Ausdruck aus dem Fäkalbereich.
20 Monate nach der Konstituierung des 17. Deutschen Bundestags hat die Unionsfraktion eine Halbzeitbilanz der schwarz-gelben Koalition vorgelegt. Überschrift und Website sind identisch: "Dem Land geht es gut." Das mag so sein. Doch für die Koalition gilt dies nicht: Seit Monaten sind Union und FDP in den Umfragen ohne Mehrheit, der "Spiegel" nennt Schwarz-Gelb "eine Regierung der Fehlschläge".
Unionsfraktionschef Volker Kauder führt vor allem die niedrige Arbeitslosigkeit als Pluspunkt an. "Politik kann eine solche Entwicklung nicht erzwingen, sie kann sie nur fördern", schreibt er fast schüchtern in der Einleitung zur Zwischenbilanz. "Ich denke, dass die christlich-liberale Koalition dies geschafft hat."
Wer sich durch die Zwischenbilanz klickt, ist überrascht vom mageren Angebot. "Frieden und Freiheit in der Welt - wo engagiert sich Deutschland konkret?" lautet eine von drei Überschriften der Rubrik "Internationale Politik". Unter "Innen und Recht" werden ganze zwei Fragen abgehandelt, ebenso unter "Umwelt, Energie, Infrastruktur" sowie "Gesundheit und Verbraucher".
Kein Wunder. Denn in Wahrheit ist die Bilanz der Koalition eine lange Liste des Versagens. Denn sie kann es einfach nicht. Beispiele:
ENERGIE: Union und FDP haben sich nach Fukushima zwar zu einem Atomausstieg durchgerungen. Doch die "Energiewende" bleibt ambitionslos. Wie schon im schwarz-gelben Energiekonzept vom Herbst 2010, als die Laufzeiten der Atomkraftwerke noch verlängert wurden, bleibt die Koalition bei dem Ziel, die erneuerbaren Energien bis 2020 auf 35 Prozent zu bringen. Die Lücke, die durch die Abschaltung der Kernkraftwerke gerissen wird, soll allein mit Kohle und Gas geschlossen werden.
AUSSENPOLITIK: Im UN-Sicherheitsrat hat Deutschland sich enthalten, als es um den Militäreinsatz gegen Libyen ging, bot aber diensteifrig an, stattdessen mehr in Afghanistan zu tun, um die Verbündeten zu entlasten. Zur Begründung sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle, eine Zustimmung im Sicherheitsrat hätte Deutschland zur Teilnahme an dem Einsatz verpflichtet - "kompletter Unsinn", wie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, bei n-tv.de befand. All das fand eine Woche vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz statt. Genutzt hat es nichts, die FDP sackte in beiden Ländern ab, in Rheinland-Pfalz gar unter die Fünf-Prozent-Hürde.
GRIECHENLAND: Auch in der Euro-Krise fährt die Bundesregierung einen Schlingerkurs. Mitte Mai behauptete Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Griechen, Spanier und Portugiesen früher in Rente gehen als Deutsche und mehr Urlaubstage haben - was faktisch falsch ist. Einen Monat später lobte sie, dass die griechische Regierung "in einem Jahr Erhebliches geschafft" habe, "das sollten wir anerkennen". Auch jenseits der Rhetorik ist keine Linie erkennbar: Zunächst forderte Merkel eine Beteiligung der privaten Anleger an den Griechenland-Hilfen, ließ sich dies dann aber vom französischen Präsidenten ausreden - was dem klaren Auftrag des Bundestags widerspricht, wie der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler monierte.
BUNDESWEHRREFORM: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, ohne dass irgendjemand wusste, was danach kommt. Mittlerweile ist klar, dass sich bis zum 1. Juli mehr als 10.000 Freiwillige gemeldet haben dürften. Die befürchtete Lücke ist also ausgeblieben. Dennoch wird das ursprüngliche Ziel von 15.000 Freiwilligen verfehlt - ebenso wie das Ziel, mit der Bundeswehrreform Geld zu sparen.
HARTZ IV: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine neue Festlegung der Regelsätze bis zum 31. Dezember 2010 forderte, wurde erst im März 2011 umgesetzt, weil Familienminister Ursula von der Leyen viel zu spät in echte Verhandlungen mit der Opposition einstieg.
WAHLRECHT: Selbst untereinander haben Union und FDP sich nicht vor Ablauf einer weiteren vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist auf eine Wahlrechtsreform einigen können. Nun gibt es zwar einen schwarz-gelben Kompromiss, doch muss der noch durchs Parlament. Damit hat Deutschland nach dem 1. Juli kein verfassungskonformes Wahlrecht mehr. Zudem ist völlig unklar, ob der schwarz-gelbe Kompromiss Bestand hat: SPD und Grüne haben bereits Klagen angekündigt.
GESUNDHEITSREFORM: Unvergessen sind "Gurkentruppe" und "Wildsau" beim Zoff um die Gesundheitsreform. Offizielle Linie der Koalition ist zwar, dass die Reform vom Sommer 2010 "eine zukunftsfeste Finanzarchitektur" geschaffen hat. Doch bezahlt wird das von den Versicherten. Und erst im Mai forderte der CSU-Gesundheitspolitiker Max Straubinger, die Reform zurückzuziehen. Übrigens stieg zum 1. Januar 2010 nicht nur der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung. Auch die Arbeitslosenversicherung wurde teurer.
ANTI-TERROR-GESETZE: Monatelang stritten Union und FDP über die schlichte Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze. Auf einmal einigen sie sich. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nennt dies einen "Erfolg bürgerlicher Politik". Doch selbst der Erfolg hat einen Beigeschmack: Was sollte der Streit, wenn die Einigung so unspektakulär ist?
STEUERSENKUNGSDEBATTE: Von Entlastung also keine Spur. Die größte Peinlichkeit bleibt die ewige Debatte um Steuersenkungen. Jeder wirtschaftlichen Vernunft zum Trotz, nach der in guten Zeiten gespart werden muss, um in schlechten Zeiten nicht vollends baden zu gehen, kommt das Thema in schönster Regelmäßigkeit auf den Tisch. Dabei geht es um nichts anderes als die Rettung der FDP. Den meisten Wählern ist dies jedoch zu teuer erkauft: Schwarz-Gelb hat es geschafft, dass selbst unter den FDP-Wählern nur noch 28 Prozent Steuersenkungen für richtig halten.
"SCHEISSE": Schließlich der Stil der angeblich "bürgerlichen" Koalition. Immer wieder versichern Union und FDP einander, wie gern man zusammenarbeite. Doch ein Jahr nach "Wildsau" und "Gurkentruppe" nennt die Kanzlerin die Behandlung des Koalitionspartners durch ihre eigene Partei "Scheiße".
Quelle: ntv.de