Politik auf Basis von 1,5 Grad Wie Deutschland die Klimaziele schaffen kann
22.06.2022, 14:51 Uhr
Trotz ihrer Betonung von Wind und Sonne hat die Ampel auch hier erheblich Luft nach oben, schreibt Andreas Jung.
(Foto: picture alliance/dpa)
Trotz der vielen aktuellen Herausforderungen darf sich beim Klimaschutz keine Lücke auftun. Leider hat die Klimapolitik der Ampelkoalition erheblich Luft nach oben.
In der Klima- und Energiepolitik erleben wir eine Gleichzeitigkeit größter Herausforderungen. Um unseren Teil zum Pariser Klimaschutzabkommen beizutragen, muss unser Land bis 2045 klimaneutral werden - und auf dem Weg dahin müssen wir unsere gesetzlichen Etappenziele einhalten. Angesichts von Putins völkerrechtswidrigem Krieg müssen wir uns mit Hochdruck von russischen Energieimporten lösen. Und im globalen Wettbewerb gilt es zu zeigen: Unser Modell der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ist im Kontext einer wertegebundenen internationalen Zusammenarbeit der Planwirtschaft autokratischer Systeme überlegen.

Andreas Jung ist stellvertretender CDU-Vorsitzender und Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Klimaschutz und Energie.
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Es gibt eine gemeinsame Antwort auf diese Herausforderungen: Deutschland muss energisch voranschreiten. "Energisch voran" - so der Titel unserer Initiative - heißt, Erneuerbare als Heimatenergien turbomäßig auszubauen, einseitige Abhängigkeiten durch vielfältige Handelsbeziehungen zu ersetzen und immer offen zu sein für neue Technologien, wie etwa die Möglichkeiten der Kohlendioxidabscheidung. Heimatenergie und Handelsvielfalt, Effizienz und Innovation, marktwirtschaftliche Vernunft und Technologieoffenheit: das sind die Grundsteine für Klimaneutralität, Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.
Was bedeutet das konkret? Das feste Fundament muss eine am 1,5-Grad-Limit orientierte konsequente Klimapolitik sein, mit dem Klimaschutzgesetz als Maßstab. Es gilt weiter die gesetzliche Verpflichtung, beim Verfehlen eines Jahresziels unmittelbar nachzusteuern. Das gilt auch in einer Zeit, in der etwa beim Kohleausstieg Umwege gegangen werden müssen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, zur Kompensation des zusätzlichen CO2-Ausstoßes umso mehr Vorschläge für Einsparungen an anderer Stelle vorzulegen. Die Lehre aus früheren Krisen ist: Der Klimaschutz muss trotzdem mit Nachdruck vorangebracht werden, es darf sich keine Lücke auftun.
Für die Ampel ist Effizienz das fünfte Rad am Wagen
Damit ist klar: Wir müssen ohne Schieflage in allen Bereichen entschieden vorangehen. Der Ausbau der Erneuerbaren hat herausragende Bedeutung, aber auch Energieeffizienz oder die Wasserstoff-Strategie. Bei der Klimapolitik der Ampel dagegen ist die Effizienz das fünfte Rad am Wagen. Viel Porzellan wurde zerschlagen, neue Weichen für die Förderung effizienter Neubauten sollen aber erst im nächsten Jahr gestellt werden. Warum wird so viel Zeit verschenkt? Überall im Land werden Projekte auf Eis gelegt. Warum wird die Wasserstoff-Strategie nicht mit dem gebotenen Nachdruck vorangebracht? Wo ist hier der Einsatz der Bundesregierung für Pragmatismus statt Bürokratie auf europäischer Ebene? Warum wird im Bundeswirtschaftsministerium über den Rückbau des Gasnetzes spekuliert, statt leistungsfähige Infrastruktur mit einem Bundeswasserstoffplan voranzubringen?
Beim Ausbau der Erneuerbaren haben Sonne und Wind eine zentrale Bedeutung. Wir müssen aber die Potenziale aller Ökoenergien nutzen. Das versäumt die Ampel: Bei Geothermie wäre mehr drin. Biogas wird gedeckelt, obwohl in der akuten Krise auch mehr Strom durch Biogas einen Beitrag zur Unabhängigkeit von russischem Gas leisten könnte. Und die Wasserkraft wird von der Ampel ausgetrocknet. Statt den Rahmen für einen naturverträglichen Ausbau zu setzen, wird ohne Nachbesserung Rückbau erfolgen. Wir haben ein herausragendes öffentliches Interesse am Ausbau aller Erneuerbaren, die Ampel dagegen nimmt die Wasserkraft ausdrücklich davon aus. Mit einem Kastendenken von Ökoenergien erster, zweiter und dritter Klasse wird die Energiewende misslingen. Es dürfen keine Potenziale leichtfertig vergeben werden. Und sie wird nur zum Erfolg, wenn gleichzeitig zum Ausbau der Kapazitäten Netze und Speicher so vorangebracht werden, dass erneuerbarer Strom immer und überall zur Verfügung steht.
Die Energiewende gelingt nur als Gemeinschaftswerk
Trotz ihrer Betonung von Wind und Sonne hat die Ampel auch hier erheblich Luft nach oben. So würde ein Windkonsens Verlässlichkeit für alle Beteiligten bringen. Aber so etwas geht nicht par ordre du mufti, sondern nur mit Partnerschaft auf Augenhöhe - verständigen statt überstülpen! Die Energiewende gelingt nur als breit getragenes Gemeinschaftswerk, nicht mit Durchregieren der Ampel von oben. Eine Deutschland-Reise des Ministers ersetzt nicht einen gemeinsam entwickelten Weg. Robert Habeck hat für eine solche Verständigung keinen einzigen Versuch unternommen. Die Regierung spricht von einem "Pakt mit den Ländern" und schlägt gleichzeitig einseitig einen Pflock nach dem anderen ein. So vergibt sie die große Chance für ein breites Bündnis von Bund, Ländern und Kommunen. Der Prozess zur Klimaneutralität geht aber nur mit dem Zusammenwirken aller Ebenen und er dauert länger als die Regierungszeit der Ampel.
Bei der Sonne brauchen wir ein klares Signal für einen Boom auf Deutschlands Dächern. Wer sich ein Solardach aufs Privathaus setzt, sollte dafür keine Steuern zahlen. Und es muss auch Schluss sein mit dem Flickenteppich beim Netzanschluss der Anlagen: Es muss genauso einfach werden, eine Solaranlage anzuschließen wie einen Elektroherd. Auf die Freude an der Sonne auf dem Dach darf nicht mehr der lange Schatten der Bürokratie fallen. Das beantragen wir im Deutschen Bundestag.
Mit alldem muss es uns insgesamt gelingen, dass wir in Deutschland und in europäischer Partnerschaft die Klimaziele so erreichen, dass wir als klimaneutrales Industrieland den Einklang von Ökologie, Sozialem und Wirtschaft schaffen. Nur dann leisten wir nicht nur unseren eigenen Beitrag zum Pariser Abkommen, sondern setzen auch internationale Impulse für den gemeinsamen Erfolg beim Kampf gegen den Klimawandel. In diesem Sinne haben wir eine doppelte Verantwortung - alles, was wir hier für den Klimaschutz tun, muss auch "weltfähig" sein. Und so müssen wir energisch vorangehen.
Quelle: ntv.de