Person der Woche

Person der Woche Klaus Wowereit: Er war besser als sein Ruf

IMG_ALT
Umstritten: Klaus Wowereit.

Umstritten: Klaus Wowereit.

(Foto: dpa)

Ist er ein "Bruchpilot", ein Verschwender oder die Personifizierung eines coolen Berlin? In dieser Woche tritt Klaus Wowereit zurück - dienstältester Regierungschef eines deutschen Bundeslandes. Zeit für eine Bilanz.

Sie rufen ihn "Bruchpilot", weil der Bau des Berliner Flughafens so gut vorankommt wie ein Stein - nämlich gar nicht. Sie lästern über "Bruder Leichtfuß", weil er das Partyleben zur neudeutschen Lebensform kultiviert hat. Und sie schimpfen über den "Arm, aber sexy"-Verschwender, der Milliarde um Milliarde aus Süddeutschland in einer sozialistischen Dauer-Faulenzer-Fete an der Spree versenkt.

Klaus Wowereit polarisiert auch nach 13 Jahren als Regierender Bürgermeister in Berlin die Republik. In dieser Woche tritt er zurück und es wird höchst unterschiedliche Bilanz gezogen. Die Kritiker nehmen das Flughafen-Desaster und projizieren es auf die ganze Stadt. Von Bildung bis Kriminalität, von der Verschuldung bis zur Arbeitslosigkeit - Berlin hat tatsächlich gewaltige Probleme und in der Ära Wowereit sind sie kaum kleiner geworden. Als er sein Amt übernahm, hatte Berlin 40 Milliarden Euro Schulden. Heute sind es mehr als 60 Milliarden. Diese Bilanz ist nicht nur schlecht, sie ist miserabel.

Die Stadt leidet - von der brutalsten Kriminalität über die höchste Feinstaub-Belastung und die schlechteste S-Bahn bis zum höchsten Drogenkonsum - unter traurigen Rekorden. Familienfreundlich ist Berlin so wie Grönland ein Badeparadies ist. Kein Wunder, dass der Anteil der Haushalte, in denen nur eine Person lebt, inzwischen auf unglaubliche 54,3 Prozent gestiegen ist.

Bis heute bleibt Berlin wesentlich auf Transferzahlungen aus dem Rest der Republik angewiesen, die wirtschaftliche Entwicklung liegt irgendwo zwischen kümmerlich und bescheiden. So leben ausgerechnet in der Hauptstadt 19,4 Prozent der Bevölkerung – also jeder fünfte Einwohner - von Hartz IV. Wowereit ist es in seinen vielen Jahren nicht gelungen, auch nur einen einzigen Dax-Konzern nach Berlin zu locken.

Doch es gibt auch eine andere Seite. Denn Berlin kommt langsam in Bewegung. Die Arbeitslosenquote sinkt, das Wirtschaftswachstum legt zu, vor allem entfaltet die Stadt Strahlkraft. Berlin wächst in weichen Dienstleistungsgewerben - vom Fremdenverkehr bis zur Internet-Szene. Im Wettkampf der attraktivsten europäischen Tourismus-Metropolen ist Berlin mit London und Paris Europameister. Die Stadt ist hip-cool-trendig-angesagt, die Hauptstadt-Werber rühmen es - ein wenig peinlich für eine wahre Metropole - als "the place to be". Aber unbestritten ist Berlin ein kultureller Definitions- und Erlebnisort von großer Magie, Experimentierlust und Weltoffenheit. Diesen Nimbus verdankt die Stadt - das sollte man bei aller Kritik nicht übersehen - auch Klaus Wowereit.

"Wie ein Stadt-Maskottchen"

Wenn das "Time"-Magazine ihn als "Glamour Guy" feiert oder die roten Teppiche zur Stadtsignatur geworden sind - Wowereit hat das neue, coole Berlin wie ein Stadt-Maskottchen personifiziert. Das wurde ihm in Deutschland immer wieder um die Ohren gehauen - und doch entfaltete es auch eine positive Wirkung für das Image der Metropole. Kein anderer Ministerpräsident wird so stark als Personifizierung seines Bundeslandes wahrgenommen wie "Wowi". Schon der Name ist Programm wie "Waldi" und "Poldi" im Fußball. Dieser gescholtene "Wowi" definierte ein Lebensgefühl von Toleranz und Lebensfreude, das Berlin in der Welt positiv profiliert hat. Dazu trug auch der - eigentlich groteske - Satz bei, der ihn zur Ikone gemacht hat: "Ich bin schwul und das ist auch gut so!"

Wäre Klaus Wowereit, wie er es schon einmal erwogen hatte, nach zehn Jahren aus dem Amt geschieden - seine Bilanz hätte etwas Kennedy-haftes. So aber hängt ihm der Flughafen wie ein Mühlstein um seine Amtszeit. Das Großprojekt sollte eigentlich sein Lebenswerk krönen und just die Kritik am unseriösen Äußerlichkeitspolitiker verstummen lassen. Doch nun bleiben davon Häme und Schmach an ihm kleben.

Doch so sehr die Medien ihn in seinen goldenen Jahren überhöht haben, so sehr verzwergen sie ihn nun. Beides wird ihm nicht gerecht. Und doch liegt vielleicht gerade darin die Summe seines politischen Lebens. Er war Projektionsfläche der (nach dem Mauerfall) spannendsten Hauptstadt der Welt. Er verkörperte dieses Pubertierende, sich neu findende und erfindende Berlin im Tolerant-flirtig-experimentell-schlagfertig-witzigen wie im Dekadent-wurschtig-pampig-arrogant-frechen. Leichtfüßig war er in beiden Bedeutungen des Wortes. Aber just diese Leichtfüßig- und -müßigkeit hat Berlin gut getan. Darum war Wowereit in seinem Jahrzehnt tatsächlich Avantgarde.

Der große Ertragende

Diese habituelle Leistung ist nicht zu unterschätzen, vor allem, wenn man weiß, was Wowereit alles zu ertragen gehabt hat. An Intrigen in seiner Partei und in seiner Stadt, an Häme von Schwulen-Hassern und harter Kritik aus allen Medien, aber auch an Schicksalsschlägen. Er wuchs als jüngstes Kind einer Kriegerwitwe in finanziell bescheidenen Verhältnissen mit zwei Brüdern und zwei Schwestern ohne Vater auf. Wowereit pflegte später jahrelang seinen nach einem Unfall querschnittgelähmten Bruder sowie seine krebskranke Mutter. Der zweite Bruder starb bei einem Verkehrsunfall, seine 16 Jahre ältere Schwester verstarb 20-jährig.

Darum ist Wowereit auch ein großer Ertragender, dessen Leistung - eine extrem spannungsgeladene Stadt zusammenzuhalten, sie zu versöhnen und ihr ein derart glitzernd-sympathisches Antlitz zu schenken - gewürdigt gehört.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen