Person der Woche Marine Le Pen, die Sprengmeisterin Europas
24.03.2015, 12:32 Uhr
Bei den Regionalwahlen erlebt Frankreich einen dramatischen Rechtsruck. Der rechtsextreme Front National überflügelt sogar die regierenden Sozialisten. Wie gefährlich ist die Vorsitzende?
Es ist eine Demütigung für François Hollande. Zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt bekommt der Staatspräsident ein landesweites Wahlergebnis, das irgendwo zwischen Schmach, Denkzettel und Untergang anzusiedeln ist. Hollande ist so unbeliebt wie saure Milch. Seine Sozialistische Partei (PS) wird nicht nur von der konservativen UMP dramatisch geschlagen, sondern auch vom der rechtsradikalen Front National (FN) überholt.
Der Triumph der Rechtsradikalen verschiebt die Fundamente der Fünften Republik. Die Rechtsradikalen sind aus den schmuddeligen Nischen der Gesellschaft mitten hinein in die Breite des Bürgertums aufgestiegen. Sie haben den Ruch einer keifenden Protestpartei verloren, und werden zusehends eine staatsverändernde Kraft. Die politischen Positionen - hartes Vorgehen gegen Islamisten, Beschränkung der Zuwanderung, Kürzung der Sozialleistungen für Nicht-Franzosen bis hin zur Reduzierung der EU und der Abschaffung des Euro - werden mehrheitsfähig. Frankreich droht damit von einem pro-europäischen Schlüsselstaat zum neo-nationalistischen Sprengmeister Europas zu werden.
Nächste Präsidentin?
Es ist inzwischen sogar denkbar, dass Marine Le Pen die nächste Präsidentin Frankreichs wird. Schon jetzt ist ihr Aufstieg für die Geschichte Europas eine Zäsur. Marine Le Pen wurde am 5. August 1968 geboren. Europa erlebte damals just den Höhepunkt der linksgerichteten Studentenbewegung, Martin Luther King war gerade ermordet worden, in Frankreich herrschten nach den Mai-Unruhen Revolutionsstimmung, der Vietnam-Krieg mobilisierte die Jugend Europas zu wütenden Protesten, an der Spitze der Single-Charts stand am Anfang August 1968 der Song "Jumpin' Jack Flash" von den Rolling Stones. Kurzum: Die Achtundsechziger rockten erst die Straßen, dann die Parlamente. Europa startete einen historischen Linksruck.
Es ist daher wie eine Rache der Geschichte, dass nun eine rechte "Achtundsechzigerin" die Landkarte Europas neu schreiben könnte. Marine Le Pen ist die jüngste von drei Töchtern des langjährigen Rechtsradikalenführers Jean-Marie Le Pen und seiner ersten Ehefrau. Nach Abschluss eines Jurastudiums in Paris erhielt sie 1992 ihre Anwaltszulassung, arbeitete bis 1998 als Anwältin und startete eine Parteikarriere. Politisch trat sie in die braunen Fußstapfen ihres Vaters und ist seit dem 16. Januar 2011 seine Nachfolgerin als Vorsitzende des Front National.
Zugleich aber emanzipiert sie sich auch demonstrativ von ihm und verurteilte öffentlich dessen Radikalität und Antisemitismus. Marine Le Pen verfolgt - anders als ihr Vater - die Strategie, rechtsradikale Position weichzuspülen und weiblich-umgänglich zu verpacken. "Entdiabolisierung" des Front National ist ihr Ziel, um Wählerschichten aus der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen. Zu ihren Sympathisanten zählen heute selbst Prominente wie die Schauspielerlegenden Alain Delon und Brigitte Bardot.
Politisch "gefährlicher als ihr Vater"
Gleichzeitig legt die Partei unter ihrer Führung den Ruf als grimmige Männerpartei ab und erfährt immer stärkeren Zulauf von Frauen der Arbeiterklasse, eine Entwicklung, die den sozialistischen Finanzminister Pierre Moscovici zu der Warnung veranlasste, sie sei politisch "gefährlicher als ihr Vater". Denn Marine Le Pen aktiviert viele Ressentiments der klassischen Linken und der Rechten zugleich, sie wettert gegen den Kapitalismus und die internationalen Finanzmärkte, ihre Tiraden gegen die Globalisierung könnten auch von Attac oder der Linkspartei stammen. Wie Syriza pflegt sie eine marktfeindliche Ideologie, findet offene Märkte übel und propagiert einen "ökonomischen Patriotismus". So verlangt sie den Austritt Frankreichs aus dem Euro und die Rückkehr zum Franc, um die finanzpolitische Entscheidungsgewalt aus Brüssel nach Paris zurückzuverlagern. Mit ihrem linken Repertoire spricht sie zusehends auch die klassische Arbeiterschaft in Frankreich an. Das Wort vom "Links-Lepenismus" macht die Runde.
Le Pen verfolgt gezielt den Anspruch, das wahre, lagerübergreifende Erbe des Gaullismus zu vertreten. Und so ist sie als eine nationalistische Demagogin unterwegs. Für den Fall eines Wahlsieges hat Le Pen den Austritt Frankreichs aus der Nato und eine Vertiefung der Kooperation mit Russland versprochen. Sie bedient damit anti-amerikanische Stimmungen und donnert: "Wir sind kein Pudel der Vereinigten Staaten."
Sie lehnt eine multikulturelle Gesellschaft strikt ab und bekämpft den angeblich schädlichen Einfluss der Einwanderung. Sie verlangt rigorose Kürzungen bei der Sozialhilfe für Nichtfranzosen sowie strikte Ausweisungsgesetze für kriminelle Immigranten. Zur Bekämpfung der Kriminalität schlägt sie ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe vor.
Den größten Zuspruch erfährt Le Pen in ihrem Kampf gegen die vermeintliche "Islamisierung" Frankreichs. Sie sieht die Straßen Frankreichs jeden Freitag von betenden Muslimen "besetzt" wie Frankreich im Zweiten Weltkrieg von den Nazis.
Neue Jeanne d’Arc
Le Pen stilisiert sich gerne als eine Art neue Jeanne d’Arc. Sie suggeriert, dass die "classe politique" in Paris ihre einst stolze Nation fremden Mächten ausgeliefert habe - neben den Muslimen vor allem der Herrschaft von EU und Euro, dem "kalten Monster" von Brüssel.
Das Links-Rechts-Propagandadoppel verfängt. Innenpolitisch rechts und wirtschaftspolitisch links verknüpft sie, um alle Ressentiments (gegen Banken wie gegen Ausländer) zu bündeln. Tatsächlich kann man an Marine Le Pen studieren, wie sehr sich Europas Extreme, rechte wie linke, doch in derselben freiheits- und marktfeindlichen, anti-europäischen Ideologie ähneln. Zwischen ihr und Alexis Tsipras sind die Wege ganz kurz, wenn beide wettern, dass die Völker im Namen Europas angeblich darben müssen, weil Brüssels Austeritätspolitik die Massen ins Elend treibe.
Privat hat Marine Le Pen ebenfalls ein mehrseitiges Leben, zumal sie Privates gerne mit Politischem vermischt. Sie war mit dem Geschäftsmann und FN-Politiker Franck Chauffroy verheiratet und hat aus dieser Ehe drei Kinder. Nach der Scheidung heiratete sie in zweiter Ehe den nächsten FN-Funktionär Éric Lorio, von dem sie inzwischen ebenfalls geschieden ist. Zurzeit ist sie mit dem Vizepräsidenten des Front National, Louis Aliot, zusammen. In den vergangenen Tagen kursierten - inzwischen dementierte - Gerüchte, das Paar werde sich bald trennen. Wie dauerhaft diese Beziehung auch ist, Marine Le Pen versteht es geschickt, sich so inszenieren, als sei sie sowieso nur mit Frankreich wirklich verheiratet. Sie habe unbändige Kraft, um für die "große Nation" zu kämpfen: "Es kommt mir vor, als sei ich als Kind in einen Zaubertrank geplumpst, ein bisschen wie Obelix." Nur dass der im Kern ein gutmütiger Zeitgenosse war, der sein Dorf zusammenhalten wollte. Marine Le Pen will Europa am liebsten sprengen. Die Chancen, dass ihr das gelingen könnte, werden größer.
Quelle: ntv.de