Person der Woche Tsipras, der Mann mit den drei Gesichtern
30.06.2015, 10:51 Uhr
Griechenlands Premier treibt sein Land aus ideologischen Gründen ins Chaos. Der Sozialist will lieber die Weltrevolution als seinen Landsleuten helfen. Seine Koalition aus Linken und Rechtsradikalen hätte Europa eine Warnung sein müssen.
Alexis Tsipras hat drei Gesichter. Das erste ist sympathisch, denn es zeigt einen jugendlichen Helden, der sich klug und frisch als Anwalt der Schwachen in Griechenland engagiert und schließlich politisch Furore macht. Dieser freundlich-kümmernde Tsipras hat pflichtbewusst Wehrdienst bei der Marine abgeleistet, ist Familienvater mit zwei Kindern, studierter Bauingenieur und Umarmer leidender Putzfrauen wie Rentnerinnen. Er kann reden, dass die Herzen weinen, und lachen, dass die Bäuche wackeln.
Das zweite Gesicht zeigt einen unsicheren, zu jungen Ministerpräsidenten. Völlig unerfahren taumelt er in ein Amt, das ihm viel zu groß ist. Er ist der geborene Oppositionelle, ein Geist, der stets verneint. Ein Regent hingegen ist er nicht. Seine Identität erwächst aus dem Widerstand, aus dem Besser-Wissen, nicht aus dem Besser-Machen. Die plötzliche Regierungsmacht hat er selber kaum ernsthaft erhofft, sie ist ihm zugefallen wie einem Brandstifter die Löschspritze. Tsipras' Regierung war darum von Anfang an verquer - von der unnötigen Koalition mit Rechtsradikalen bis zur Berufung eines intellektuellen Spielers als Finanzminister. Sein Kabinett regierte gar nicht, es beschloss nicht einmal Gesetze gegen Reiche, Steuerflüchtlinge oder korrupte Reeder, wie alle Welt dies von einer linken Regierung erwartet hatte. Tsipras blieb vielmehr im Modus des Protestlers, nur diesmal richtete sich sein verbaler Barrikadensturm nicht gegen korrupte Athener Altparteien, sondern gegen Brüssel, Berlin und die ganze westliche Welt von IWF und EZB.
Dieser nicht-regierende Regierungschef war obendrein gefangen in einem Regierungsbündnis, das ihm keinen Spielraum ließ, einen vernünftigen Kompromiss zu suchen. Er wankte umher zwischen stalinistischen Syriza-Kommunisten und Junckers Salon-Streicheleien, zwischen dem präzisen Hilfskatalog der Troika und dem diffusen Neo-Nationalismus seines Koalitionspartners.
"Wir müssen das System überwinden"
Das dritte Tsipras-Gesicht ist das eines Ideologen. Denn neben dem jugendlichen Menschenfreund und dem amateurhaften Politiker gibt es einen aggressiven Tsipras, der intolerant für Linksextremismus kämpft. Tsipras ist der personifizierte Kaderpolitiker, dessen gesamte Karriere bisher aus Funktionärsjobs und Mandaten kommunistischer und sozialistischer Parteien bestand. Nach einer ungestümen Jugend als linker Agitator hat Tsipras in diesem Milieu den Sprung bis an die Führung des linksradikalen Parteienbündnisses Syriza geschafft. Seine Weltsicht klingt - wenn er unter Gleichgesinnten ist - zuweilen nach der westdeutschen DKP der siebziger Jahre. Er spricht vom "Krieg zwischen den Märkten und den Völkern", fordert die Verstaatlichung der Produktionsmittel - allen voran der Banken. Ein Arbeitsmarkt ist für ihn ein Feindbild, er will in klassischer Planwirtschaftsmanier das Land lieber mit Staatsbetrieben und Staatsbeschäftigten bevölkern. Und er sieht sich als Teil eines internationalen Klassenkampfs: "Wir kämpfen diesen Kampf auch für die deutschen Arbeitnehmer", verkündete er wie ein Nachhutführer der sozialistischen Internationale.
Sein politische Leitlinie lautet: "Das vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem hat versagt, wir müssen es überwinden."
Seinen Aufstieg innerhalb der mitunter ruppigen linksextremen Szene verdankt er nicht nur seiner großen demagogischen Rednerbegabung. Er gilt in Griechenlands Politik auch als ein Wolf im Schafspelz, als ein Meister der aggressiven Verletzung. Europa bereite in Griechenland einen "Holocaust" vor, zischte er ohne jede Scham als Oppositioneller. Wenn es um die linke Sache geht, ist der charmante Tsipras sich für keine demagogische Breitseite zu schade. Einen FAZ-Korrespondenten, der es wagte, ihm einmal kritische Fragen nach seinen Beziehungen zu Rechtsradikalen zu fragen, warf er kurzerhand aus dem Büro.
Dass diese Ideologentruppe sich zielsicher mit Rechtsradikalen zu einer Extremistenregierung zusammen getan hat, hätte Europa schon vor Monaten Warnung genug sein können - hier ging es von Anfang an eher um lauten Barrikadensturm denn um faire Kompromisse. Tsipras zeigt insofern seit dem Wochenende sein wahres Gesicht. Die Masken des Diplomatischen sind gefallen, das Antlitz eines bissigen Klassenkämpfers wird sichtbar.
Der Regierungschef versetzt Europa damit einen kleinen Schock, Griechenland aber stürzt er offen in den Ruin. Sein wirres Spiel mit dem linksextremen Feuer ist für seine Landsleute brandgefährlich, für den Rest der Welt wirkt es wie ein irrlichternd trauriges Schauspiel - das Wahnsinnsfinale eines letzten Sozialisten.
Quelle: ntv.de